Die vielen Aspekte von Hass und Terror
Wolfgang Gappmayer war 16 Jahre alt, als ein Amoklauf sein Leben veränderte. Ein 36-jähriger Eigenbrötler erschoss in Salzburg sechs Menschen. „Ein Opfer war mein Vater“, sagt Gappmayer.
26 Jahre später sitzt der Rechtsanwalt in seiner Kanzlei in Wien. Die Themen Hass, Amok und Terror haben ihn nicht losgelassen. Vor Kurzem hat er ein Buch zum Thema herausgegeben. „Natürlich ist das auch eine gewisse Aufarbeitung meiner persönlichen Geschichte“, sagt er. Doch der Auslöser, dass dieses Buch erschien, war der Terroranschlag von Wien am 2. November 2020.
Gebündeltes Wissen
Der Jurist war auf der Suche nach Literatur, die sich aus mehreren Blickwinkeln mit dem Thema beschäftigt – und wurde nicht fündig. Also suchte er selbst nach Experten, bat sie um ihre Einschätzung. Herausgekommen ist das Praxishandbuch „Hass, Amok, Terror – und ihre Bekämpfung mit den Mitteln des Rechts“.
Psychiater wie Reinhard Haller oder Heidi Kastner kommen hier ebenso zu Wort wie Verfassungsschützer und Polizisten, Deradikalisierungs-Experten, Juristen oder Journalisten. „Für mich persönlich interessant waren die Einschätzungen der Psychiater. Wie kann es zu so einer Tat kommen? Was sind die Trigger? Und auch die polizeilichen Aspekte waren spannend. Welche Abläufe werden in so einem Fall in Gang gesetzt? Das ist ein Feld, in das ich vorher keinen Einblick hatte“, sagt Gappmayer.
Aber auch die Arbeit der Medien in solchen speziellen Situationen und das Spannungsfeld – was erzählen, zeigen und schreiben und was nicht – hat er erstmals bewusst wahrgenommen. Er habe das Wissen aller Experten bündeln wollen, erklärt Gappmayer. Und er hat auch selbst eines der Kapitel beigesteuert. Denn Gappmayer vertritt als Rechtsanwalt auch immer wieder Verbrechensopfer. „Als Opfer ist man in solchen Situationen fremdbestimmt. Und das in einem besonders intimen Moment“, weiß er. „Man kann selbst keine Entscheidungen treffen. Zum Beispiel, wenn es um die Beerdigung eines Angehörigen geht. Da muss man erst die behördliche Freigabe abwarten. Das ist eine enorme Belastung.“
Emotionen
Die Strafverfolgungsbehörden hätten in solchen Akut-Phasen wenig Möglichkeiten, an die Hinterbliebenen oder Opfer zu denken. „Natürlich ist das mittlerweile besser geworden. Aber für die Behörden steht die emotionale Belastung Einzelner in solchen Momenten nicht im Vordergrund.“
Er selbst sei nach dem Amoklauf, bei dem sein Vater – er war Vizebürgermeister und Schuldirektor – erschossen wurde, unter Schock gestanden. „In dieser Phase läuft vieles wie im Film ab.“ Natürlich habe es ihn belastet, dass der Vater plötzlich weg war. „Und ich weiß nur, dass er kein Zufallsopfer war. Man ist versucht, verstehen zu wollen, warum, sucht ein Motiv.“ Doch der Schütze richtete sich später selbst.
Gappmayer gab sich erst später als Student auf Spurensuche, durchforstete Archive und alte Zeitungsartikel. „Aber restlose Klarheit gibt es für die Hinterbliebenen bei solchen Ereignissen nie“, weiß er jetzt.
Ins Gesicht schauen
Den Abend des Terroranschlags verbrachte der Jurist übrigens mit seinen Kindern daheim. Ein Trigger sei das Verbrechen für ihn aber nicht gewesen, sagt Gappmayer. „Aber vielleicht denkt man mit so einer persönlichen Geschichte mehr und auf eine andere Weise darüber nach.“
Er selbst rät Verbrechensopfern übrigens dazu, dem Täter bei der Gerichtsverhandlung ins Gesicht zu sehen. „Viele wollen das nicht. Was ja auch verständlich ist. Aber oft ist das Phantom in der Erinnerung übermächtig.“ In der Realität werde jemand, den man durch die Situation geschuldet als groß und gefährlich erlebt hat, plötzlich sehr viel kleiner, ungefährlicher. „So etwas kann sehr viel relativieren.“
Und die Conclusio aus seinem Buch? Kann das Recht Hass, Amok und Terror bekämpfen? „Das Recht steckt nur den Rahmen. Aber wir haben grundsätzlich ausreichend Mittel, um Hass, Amok und Terror zu bekämpfen.“ Doch habe das Thema auch einen starken kulturellen Aspekt. „Wir müssen Normen und Werte vermitteln, den zwischenmenschlichen Umgang fördern. Das bringt mehr, als sofort nach einer Rechtsänderung zu schreien, wenn etwas passiert ist.“
Das Buch
Hass, Amok, Terror und ihre Bekämpfung mit den Mitteln des Rechts.
444 Seiten, 64 Euro, erschienen im MANZ Verlag Wien. ISBN: 978-3-214-02508-3
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