Migranten und der doppelte Corona-Effekt
Zugewanderte Menschen sind seit Beginn der Corona-Pandemie verstärkt von ausländerfeindlichen Anfeindungen betroffen.Das sieht nicht nur die Wiener Magistratsabteilung für Integration (MA 17) so, die zuletzt vermehrt Beratungsgespräche mit Menschen unterschiedlicher Communities führte. Das gleiche Phänomen beschreibt auch der ZARA-Rassismusreport 2020.
Der Grund: Migranten "werden mit der Corona-Krise in Verbindung gebracht", wie es im Report heißt.
Sind Migranten aber wirklich Treiber der Pandemie? Die Antwort ist komplex. Tatsächlich haben sie ein überdurchschnittliches Infektionsrisiko. Aber das hat nichts mit Vorsatz zu tun. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Und reichen von Armut bis zu verfehlter Kommunikation.
Migranten nutzen weit häufiger soziale Netzwerke. Deswegen sind Verschwörungsmythen weiter verbreitet.
Vorweg: Dass das Corona-Risiko bei Migranten höher ist als im Rest der Bevölkerung, besagt etwa ein EU-Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA). Zahlen für Österreich, die das bestätigen, gibt es allerdings nicht.
Dafür hat Dänemark im Oktober eine Studie vorgelegt. Dort betrafen 26 Prozent der Covid-19-Fälle Menschen mit "nicht-westlicher Ethnie", obwohl diese Bevölkerungsgruppe nur 9 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht.
Aber warum dürfte das auch in Österreich zutreffen?
Sprachprobleme
Corona-Informationen in verschiedenen Sprachen gibt es theoretisch genug. Von Einrichtungen wie dem Integrationsfonds oder dem Fonds Soziales Wien werden Texte in bis zu 17 Sprachen angeboten.
In der Praxis kommen diese Informationen bei einem Großteil jedoch nicht an. "Man darf nicht vergessen, dass viele einen niedrigen Wissensstand haben und teilweise Analphabeten sind", sagt Christina Schilling, Leiterin des Wiener Flüchtlingshauses AWAT. "Sie wissen dann nur, was ihnen die Leute erzählen."
Oder eben das, was man über Social Media erfährt. Und dann wird es gefährlich. "Wir wissen, dass Verschwörungsmythen in sozialen Netzwerken entstehen", sagt Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. "Und für Migranten sind sie eine noch bedeutendere Quelle."
Das zeige auch die Studie "Mediennutzung in der Corona-Pandemie", die Peter Filzmaier im Auftrag des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) durchgeführt hat. Der Verschwörungstheorie, dass das Coronavirus künstlich hergestellt und absichtlich verbreitet worden sei, stimmen 70 Prozent der Afghanen "sehr" zu. Weitere 28 Prozent glauben "eher" daran.
Auch in anderen Migrantengruppen ist dieser Anteil auffallend hoch. Bei Personen ohne Migrationshintergrund liegt der Anteil hingegen nur bei 10 Prozent. Dass bei Menschen aus Syrien und Afghanistan Verschwörungsmythen besonderen Anklang finden, sei wenig überraschend, sagt Filzmaier.
"Die Menschen kommen aus einem Kriegsgebiet, wo auch chemische Waffen eingesetzt wurden. Da liegt es nahe, dass man es für glaubhaft hält, dass das Coronavirus auch so etwas ist", so der Politikwissenschaftler.
Auch Misstrauen gegen den Staat sei verständlich, wenn man vor den Taliban geflüchtet ist. Um dem entgegenzuwirken, müsse man versuchen, diese Zielgruppe auf den sozialen Netzwerken zu erreichen.
Neue Social-Media-Kampagne
Das Integrationsministerium hat reagiert und Ende März eine Social-Media-Kampagne ins Leben gerufen. "Integrationsbotschafter mit Migrationshintergrund stehen dabei im Mittelpunkt, die gezielt Menschen aus den jeweiligen Communities ansprechen sollen", sagt Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP).
Die Botschafter reichen von Farhad Mohamadi, Versicherungskaufmann aus Afghanistan, bis zu Ex-Schwimmerin Mirna Jukic, die kroatische Wurzeln hat. Bisher haben die fremdsprachigen Postings rund 300.000 Menschen der Zielgruppe erreicht, teilt das Ministerium auf KURIER-Anfrage mit.
Armut als Treiber
Im November schlug Intensivmediziner Burkhard Gustorff von der Klinik Ottakring Alarm. 60 Prozent der Intensivpatienten hätten Migrationshintergrund. Dass besonders diese Bevölkerungsgruppen auf der Intensivstation landen, lässt sich auch mit Zahlen erklären. Denn Armut wirkt sich eklatant auf den Gesundheitszustand und Vorerkrankungen aus.
Integrationsbotschafter sollen auf Social Media gezielt Menschen aus den jeweiligen Communities ansprechen.
Während nur 4 Prozent der gut verdienenden Menschen in der Altersgruppe der 40- bis 64-Jährigen unter mehrfachen Gesundheitseinschränkungen leiden, sind es bei Niedrigverdienern 21 Prozent. Also mehr als fünfmal so viel. Das zeigt eine Analyse der Statistik Austria aus dem Jahr 2017.
Und dass besonders Menschen ausländischer Herkunft von Armut betroffen sind, das beweist der aktuelle Wiener Integrationsmonitor.
Rund 75 Prozent der Bevölkerung aus Drittstaaten (ohne Türkei und ehemaliges Jugoslawien) lebten in den 20 Prozent der einkommensschwächsten Haushalte Wiens. Bei der österreichischen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund waren es nur 12 Prozent.
Beengte Wohnungssituation
Armut geht oft mit einer beengten Wohnsituation einher. Diese ist auch in Grundversorgungseinrichtungen wie dem Haus AWAT ein Thema. "Bei uns schlafen fünf Menschen, die einander gar nicht kennen, in einem Zimmer", sagt Leiterin Schilling.
Dazu kämen auch Gemeinschaftsküchen. In dem eingangs erwähnten FRA-Report wird das ebenfalls bestätigt. Übervolle Unterkünfte seien ein wesentlicher Faktor bei der Verbreitung des Coronavirus.
Unbekannte Maßnahmen
Bei der Studie des ÖIF wurden die unterschiedlichen Migrationsgruppen gefragt, welche Maßnahmen zur Corona-Eindämmung sie spontan nennen können.
82 Prozent der Syrer nannten Ausgangssperren, 0 Prozent die Maskenpflicht. Bei Österreichern ohne Migrationshintergrund zählten 65 Prozent die Maskenpflicht, dafür nur 16 die Ausgangssperren auf.
Menschen aus der Türkei oder mit BKS-Hintergrund (Bosnisch-Kroatisch-Serbisch) in der zweiten Generation haben ähnliche Angaben gemacht wie Österreicher ohne Migrationshintergrund.
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