Elfriede Eder hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren viele Briefe geschrieben. An den Gesundheitsminister zum Beispiel, oder an den Wiener Bürgermeister. Antwortschreiben hat sie keine oder nur kurze, unpersönliche und wenig hilfreiche bekommen.
Auch an den KURIER hat die 84-Jährige geschrieben. Darum sitzen sie und ihr
91-jähriger Ehemann Rudolf nun am hübsch gedeckten Esstisch ihrer geräumigen Wohneinheit in einer Wiener Seniorenresidenz und erzählen, was ihnen das Herz schwer und das Gemüt trübe macht.
„Vor acht Jahren sind wir in die Seniorenresidenz übersiedelt. Im Vertrag wurde uns ein völlig freies und unabhängiges Leben versprochen. Am Anfang war es wirklich schön. Dann kam Corona und wir haben zwei Jahre lang wie völlige Einsiedler gelebet“, erzählt Frau Eder. Das sei schwer gewesen, aber verständlich – man habe ja zu Beginn der Pandemie nicht gewusst, welche Bedrohung das Virus gerade für die Älteren bedeutet.
Doch mit Beginn des heurigen Sommers war es vorbei mit dem Verständnis der Eders. „Endlich hieß es, alles wird locker, Masken weg, freies Leben. Aber der Herr Bürgermeister verpasste uns, den lieben Alten, den 48-Stunden PCR-Test und jetzt sitzen wird endgültig allein herum“, sagt Frau Eder und wirkt dabei weniger wütend als enttäuscht.
Was sie meint: Um jemanden in den Wiener Seniorenheimen zu besuchen, muss man nach wie vor ein negatives PCR-Testergebnis herzeigen, das nicht älter als 48 Stunden sein darf. Und das, während man in der U-Bahn seit dem Ende der Quarantänepflicht sogar neben positiv Getesteten sitzen könnte, ohne es zu wissen.
„Druck auf die Seele“
Die Testpflicht für Besucher habe dazu geführt, dass die Bewohner viel weniger Besuch bekommen, erzählen die Eders. „Bestenfalls auf den Bänken vor dem Haus empfangen wir Gäste, die sich aber ohnehin abgewöhnen, zu kommen.“ Gegen die Maske im Haus hätten sie nichts einzuwenden, aber der Druck auf das Seelenleben steige mit jedem Tag. Einsamkeit als Kehrseite der Sicherheit. Bei vielen Bewohnern hinterlasse das vermehrte Alleinsein schon merkliche Spuren. „Der körperliche und geistige Verfall ist bereits sichtbar“, sagt Frau Eder und bietet noch ein (zugegeben, es ist das dritte) Stück Kuchen an. Sie freut sich über den Besuch. „Draußen weiß ja fast niemand, dass es Menschen gibt, die gerade wirklich vom Leben ferngehalten werden.“ Darauf wollen die Eders die Öffentlichkeit nun aufmerksam machen. Auch wenn sie fürchten, dass sie deshalb aus der Seniorenresidenz geworfen werden könnten, wie sie – nur halb im Scherz – sagen. Den KURIER haben sie darum gebeten, nicht ihren echten Namen zu nennen.
Obwohl die Einsamkeit Spuren hinterlasse, haben die beiden der Jugend ihre Treffen und Partys nie missgönnt, wie sie sagen. Aber jetzt, nach drei Impfungen und je einer durchgemachten Covid-Infektion, wollen auch die Eders ihre Geburtstage wieder mit ihren Kindern und Enkeln feiern. So viel Zeit bleibe ihnen dafür nicht mehr, sagen sie, nicht bitter, nur voller Ungeduld.
Dass diese nach zweieinhalb Jahren wirklich nicht unberechtigt ist, versteht man auch auf politischer Seite. Die Seniorenvertreter von ÖVP und SPÖ wissen durchaus, dass der Schutz der berühmten „vulnerable Gruppe“ vor dem Coronavirus auch schwerwiegende psychische Folgen haben kann. „Corona hat die Isolation älterer Menschen in Senioreneinrichtungen noch stärker werden lassen. Man kann an Einsamkeit sterben, das muss bei den Corona-Regeln auch berücksichtigt werden“, sagt der Präsident des roten Pensionistenverbands Peter Kostelka zum KURIER. Für ihn ist es im Hinblick auf die Sicherheit der Heimbewohner nicht erklärbar, „dass infiziertes Personal in unmittelbaren Kontakt Betreuungsarbeit in Pflegeheimen leisten darf und andererseits Besuche teilweise nur mit einem negativen Testergebnis erlaubt sind“.
Eigenverantwortung
Auch die Präsidentin des türkisen Seniorenbundes Ingrid Korosec hält fest: „Es ist wichtig, die richtige Balance zwischen Schutz vor Corona und Verhinderung von Vereinsamung zu finden.“ Impfen, testen und gegebenenfalls Maske tragen, stünden aber in keiner Relation zu einer Erkrankung oder Verzicht auf einen Besuch seiner Liebsten. „Regeln sind wichtig, Eigenverantwortung überlebenswichtig“, sagt Korosec.
Die Eders sind bereit, Eigenverantwortung zu übernehmen: „Wir Alten wissen schon, wie wir uns schützen und wir wollen die kurze Zeit, die wir noch haben, in Freiheit mit unseren Familien verbringen.“ Gleichzeitig wissen die beiden Eheleute auch, dass sie einen großen Vorteil haben, der vielen anderen Bewohnern vorbehalten bleibt: Sie haben einander. „Mein Glück ist, dass ich sie habe“, sagt Rudolf Eder und schaut mit sanftem Blick auf seine Frau, die er vor vielen, vielen Jahren bei der Arbeit kennengelernt hat. Sie fragt zum Abschied, ob man nicht noch ein Stück Kuchen mitnehmen mag.
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