Der Skitourismus in Tirol als Coronavirus-Drehscheibe

Der Skitourismus in Tirol als Coronavirus-Drehscheibe
Nach der Sperre der Tiroler Skiregionen Ischgl/Paznauntal und St. Anton steht nun die gesamte Arlbergregion und Sölden unter Quarantäne.

Lech ist seit Dienstagmittag dicht. Und mit dem Nobelskiort, in dem es fünf Corona-Fälle gibt, sind auch die benachbarten Vorarlberger Tourismusgemeinden betroffen. Es handle sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme, erklärte Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher.

Bis zur Corona-Sperre von St. Anton am Freitagnachmittag bildeten Lech & Co noch einen gemeinsamen Skiverbund mit dem Tiroler Arlbergort. Der stellt gemeinsam mit dem im nahen und ebenfalls isolierten Paznauntal gelegenen Ischgl eine Hotspot-Region für die bisherige Ausbreitung des Coronavirus dar. In Tirol und über die Grenzen Österreichs hinaus.

Fatales Interview

Wie berichtet, hat sich Ischgl vergangene Woche innerhalb weniger Tage als Corona-Brandherd entpuppt. An der Aufgabe, zu erklären, wie sich dort Hunderte Urlauber aus Skandinavien und Deutschland mit dem Coronavirus infizieren konnten, und ob das mit Behördenversagen zu tun hat, ist Tirols VP-Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg Montagnacht in der ZiB2 grandios gescheitert. Er sieht sich nun mit Rücktrittsaufforderungen konfrontiert.

Dienstagabend räumte Landeshauptmann Günther Platter erstmals Fehler ein. „Wir müssen die Abläufe auf den Prüfstand stellen und klären, was besser gemacht werden hätte können.“

Tatsächlich versucht die Politik derzeit weltweit, die richtige Balance bei der Verhängung von Maßnahmen zu finden. Für Europa ist Italien das unfreiwillige Testlabor, für Österreich ist es Tirol.

„Ein Buch von hinten zu lesen, ist immer einfach“, sagte Platter am Montag zum KURIER zur Frage, ob Tirol nach den ersten Corona-Fällen zu zögerlich gehandelt hat. In Bezug auf Ischgl liest sich das Buch von hinten so:

Nach Meldungen vom 5. März von aus dem Skiort nach Hause zurückgekehrten und dort nach einigen Tagen positiv getesteten Isländern spüren die Behörden am 7. März den infizierten Barkeeper eines Après-Ski-Lokals auf.

Krasse Fehleinschätzung

Die Ansicht der Landessanitätsdirektion, wonach die Ansteckung von Gästen „aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich“ wäre, sollte sich später als krasse Fehleinschätzung entpuppen.

Platter selbst nannte Ischgl Dienstagfrüh (10. März) vergangener Woche – nachdem tags zuvor 15 Personen im Umfeld des Barkeepers positiv getestet worden waren – „eine Herausforderung“. Auf die Frage, ob der Ort möglicherweise unter Quarantäne gestellt werden muss, meinte der Landeshauptmann, dass „man die Lage eigentlich relativ gut beurteilen“ könne.

Der möglicherweise verpasste Moment zur Eindämmung der weiteren Ausbreitung von Ischgl aus ist hier zu finden. Denn in den folgenden Tagen explodierten die Fallzahlen mit Bezug zu diesem Skiort geradezu.

Chaos bei Abreise

Am Donnerstag veranlasste Platter dann das Aus für den Skibetrieb in Ischgl ab Freitag und – vor jedem anderen Bundesland – das komplette Aus der Wintersaison nach Sonntag. Als Bundeskanzler Sebastian Kurz am Freitag eine Quarantäne für Tirol ankündigt, bricht dort Chaos aus. Wie viele Touristen unkontrolliert vor Einrichtung der Sperren abreisen, ist unklar.

Sölden abgeriegelt

Nach der Arlbergregion folgte Dienstagabend auch noch der Skiort Sölden. Für den Bürgermeister Ernst Schöpf (ÖVP) war das keine Überraschung: "Ich bin als Realist davon ausgegangen, dass das Damoklesschwert über uns hängt". Der Ort sei nun - wie immer nach der Saison - "wie ausgestorben", beschrieb er die Stimmung. 

Im Laufe des Dienstagnachmittags hätten sich die Anzeichen verdichtet, dass es zu einer Isolierung kommen könnte. Nicht zuletzt hatte ihn der Bezirkshauptmann darauf vorbereitet, um 18.00 Uhr habe es schließlich ein Gespräch mit Landeshauptmann Günter Platter (ÖVP) gegeben.

Der Ablauf der Sperre sei ruhig verlaufen. Im Gegensatz zu den bereits zuvor gesperrten Gemeinden St. Anton und im Paznauntal seien seit Montag schon alle Gäste abgereist. Neben den Einheimischen blieben nun noch 300 Mitarbeiter der Tourismusbetriebe übrig. Die davor eingeführte Ausgangssperre erleichtere jetzt ebenfalls die Situation, sagte Schöpf. Die Umstellung sei nicht mehr so groß. Talauswärts gäbe es ohnehin nur wenige Berufspendler, Firmen und Baubranche seien schon "lahmgelegt".
 

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