Der "Jahrgang Corona" - Matura, und jetzt?
Einmal noch mit den Schulfreunden feiern. Oder gemeinsam auf Interrail fahren, so, wie es möglicherweise auch die Eltern gemacht haben. Über ein Studium oder zumindest ein Semester im Ausland nachdenken und sich vielleicht schon in diesem Sommer das Geld dafür mit einem Ferialjob erarbeiten:
Was für Generationen von jungen Menschen bisher selbstverständlich war, bleibt dem Corona-Jahrgang vorenthalten. Weder Reisen noch der gewünschte Sommer-Job oder ein Praktikum sind für die meisten jetzt drin.
Reisebeschränkungen und Einstellungsstopps
Die Pandemie macht dies so gut wie unmöglich. Sie setzt dort Grenzen, wo die Zeichen eigentlich auf „Aufbruch“ stehen. „Die Corona-Krise ist entwicklungspsychologisch schwierig“, sagt die Wiener Soziologin Christine Geserick. Denn die Frage „was will ich nach der Matura machen?“ trifft nun auf Lockdown, Reisebeschränkungen und Einstellungsstopps.
Das Auseinanderdriften von Hoffnung und Möglichkeit könnte die Jugendlichen besonders stark treffen. „Soziologen beobachten, dass der Einzelne heute einen enormen Druck verspürt, aus den vielfältigen Wahlmöglichkeiten, den richtigen Lebensweg zu wählen, was etwa Beruf, Partnerschaft, Wohnort angeht.
Die alten sozialen Zwänge, etwa in Form elterlicher oder gesellschaftlicher Erwartungen, gibt es so nicht mehr. Das schafft zwar neue Freiheiten, aber eben auch neue Unsicherheiten“, sagt Geserick. Wer bin ich eigentlich? Was will ich wirklich machen? Was, wenn ich scheitere?
Begrenzte Möglichkeiten
„Einerseits ist dieser Druck, die richtigen Lebensentscheidungen zu treffen, groß. Andererseits werden nun mit einem Schlag die Möglichkeiten extrem limitiert. Es bleibt allerdings zu hoffen, dass sich biografisch wichtige Vorhaben wie ein Studium oder das Jahr im Ausland auch für die Corona-Generationen doch noch realisieren lassen.“
Elf Jugendliche aus ganz Österreich erzählen hier, wie es nun für sie weitergehen wird. Was aus ihren Plänen wird und wie sie ihre Zukunft einschätzen. Junge Menschen über Vorstellungen und Wirklichkeit, Wünsche, Träume und Hoffnungen.
Timo Müllner, 18, Ella Lingens-Gymnasium, Gerasdorf
Ich werde Zivildienst machen. Danach möchte ich Maschinenbau studieren. Ich wollte eigentlich ein Gap-Year machen, eine Art soziales Jahr im Ausland. Ich weiß aber nicht, ob das noch was wird. Ich hätte gerne in Afrika geholfen, eine Schule aufzubauen. Ich glaube, uns ist etwas genommen worden. Wir wurden um Chancen betrogen.
Wir können nirgendwo hinfahren, wir wissen nicht, wie es weitergeht. Das ist bitter. Dadurch wird uns Lebenserfahrung fehlen und das wird uns in Zukunft schaden. Ich hoffe, dass ich Zeit im Ausland nachholen kann. Aber man sagt ja, was man nicht als Junger macht, macht man später auch nicht mehr. Eigentlich wollte ich in den Sommerferien einen Ferialjob machen.
Jetzt weiß ich gar nicht, ob die mich überhaupt nehmen. Mit Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit überall, wer nimmt da einen AHS-Schüler, der nichts als Matura vorzuweisen hat? Das geht mir schon durch den Kopf. Es geht jetzt einfach ums Weiterleben, so blöd das klingt.
Ich rede viel mit meinen Freunden darüber. Mein Jahrgang hat echt die Arschkarte gezogen. Wir können weniger Party machen und manche sagen, unsere Matura gilt auch nicht so viel. Aber wir haben das Gleiche geleistet.
Miriam Amman, 19, Bildungsanstalt für Elementarpädagogik, Feldkirch
Jetzt wollte ich eigentlich aufs Frequency-Festival fahren. Wir wollten uns auch ausgiebig von den Schulkameraden verabschieden, aber man ist in den Möglichkeiten sehr eingeschränkt. Das ist traurig, aber ich bin froh, dass niemand in meiner Umgebung erkrankt ist.
Und, im Gegensatz zu Menschen, die gerade auf der Flucht sind oder alles verloren haben, bin ich noch gut davongekommen. Die Matura ist das Ende eines Lebensabschnitts, ausgerechnet jetzt müssen wir Abstriche machen. Wir hätten uns das anders gewünscht. Ich arbeite jeden Sommer, seit ich 15 bin, in einem Gasthaus. Heuer wird auch das anders.
Ich wollte mir eigentlich in Wien einen Job suchen, das scheint jetzt schwierig. Ich will Englisch und Geschichte studieren. Dazu wäre ein Auslandsaufenthalt wichtig. Auch das scheint in naher Zukunft unrealistisch. Wir tragen es mit Fassung. Es ist nicht cool. Aber ich akzeptiere, dass es nicht geht .
Philip Hanreiter, 18, AHS De La Salle, Strebersdorf
Das Schlimmste an Corona war für mich, dass ich nicht trainieren konnte. Sport ist mein Lebensmittelpunkt. Schon mein Uropa war Fußballspieler (Franz Hanreiter, ehem. österr. Fußball-Nationalspieler, Anm.) Ich habe eine Torwart-Trainer-Ausbildung, ich möchte auch die ÖFB-Trainer-Lizenz.
Jetzt werde ich erst einmal Zivildienst machen. Dass ich wegen Corona nirgendwo hinfahren kann, stört mich nicht. Das Ausland ist für mich nicht in Frage gekommen, ich möchte jeden Abend heimkommen, um mein Training nicht zu verpassen.
Das einzige, worum es mir leid tut, ist die Maturrareise. Wir wären zu X-Jam nach Kroatien gefahren. Für mich persönlich war Corona sogar ein Glücksfall. Ich bin, ehrlich gesagt, nicht der beste Schüler. In der Zeit der Quarantäne ist es mir gelungen, durch viele Hausarbeiten doch noch eine zweite Chance zu bekommen. Unser Jahrgang allerdings wird abgestempelt.
Uns wird man sagen: Euch wurde die Matura geschenkt. Man wird sagen, dass wir Glück hatten. Dass es ein spezielles Jahr war. Das wird in vielen Köpfen bleiben. Das ist bitter. Unsere Maturafeier wollen wir jedenfalls nachholen. Das gehört dazu. Man geht ja in einen neuen Lebensabschnitt
Leah Vybiral, 17, AHS Beethovenplatz, Wien
Ich bereite mich seit eineinhalb Jahren auf den Medizin-Aufnahmetest an der Uni vor. Ich war immer von Wissenschaften begeistert. Früher war es mehr die Physik, aber dann habe ich mir eingestanden: Es ist die Medizin. Und davon bringt mich nichts und niemand mehr ab. Auch nicht Corona!
Der Test war für Juli geplant und wurde nun nach hinten verschoben. Ich weiß, er ist sehr schwierig, aber ich will das unbedingt. Mich interessiert die Chirurgie, aber auch die Neurologie fände ich sehr interessant. Unser Gehirn ist so unerforscht, das beeindruckt mich wahnsinnig.
Eigentlich wäre eine USA-Rundreise auf dem Plan gestanden, aber die ist nun absolut nicht möglich. Ich kann das nicht ändern, also was soll es. Seit Corona sehe ich die Welt anders. Ich habe gemerkt, wie dankbar ich für Dinge bin, die früher selbstverständlich waren.
Dilek Altunbek, 18, Vienna Business School Augarten, Wien (auf dem Gruppenfoto oben)
Ich werde im Herbst auf der TU Ingenieurwesen studieren. Ich hätte gerne ein Ferialpraktikum in Frankreich gemacht. Das mache ich eben nächstes Jahr. Trotz der Umstände muss man das Glas halb voll sehen. Die Zeit des Lockdowns war allerdings sehr schlimm, so ganz ohne Freunde, diese Geschichte werden wir noch unseren Enkeln erzählen.
Yvrel Musasa, 23, Vienna Business School Akademiestraße, Wien
Jeder von uns hatte Pläne. Meine Familie wollte aus der ganzen Welt anreisen, um bei meiner Maturafeier anwesend zu sein, das ist jetzt Wasser gefallen. Unsere Maturareise haben wir ohnehin in Österreich geplant, das werden wir sicher noch machen. Ich werde im Herbst zum Bundesheer gehen.
Danach möchte ich in der Personalverrechnung arbeiten. Ich hatte einige Jobmöglichkeiten im Ausland, weil ich durch meine Familie viele Kontakte habe, das wird jetzt wohl nicht klappen. Das ist enttäuschend. Ich glaube schon, dass wir als Maturajahrgang Pech haben. Ich bin allerdings im Kongo geboren, dort hatten wir die Lockdown-Situation schon.
Meine Eltern und ich sind vor dem Bürgerkrieg geflüchtet, daher weiß ich, es ist schlimm, aber Menschen sind Wesen, die sich gut anpassen können – wir schaffen das.
Ines Cerkez, 19, Vienna Business School Augarten, Wien
Ich werde im Herbst Publizistik und Kommunikationswissenschaft studieren, daran ändert Corona auch nichts. Allerdings wollte ich im Juni mit meinen Freundinnen nach Zypern fliegen, daraus wird nun nichts. Wir haben vor, das nachzuholen. Es ist schade, dass wir diesen neuen Lebensabschnitt nicht feiern können, auch die letzten gemeinsamen Wochen wurden uns genommen.
Es wird nicht einmal eine Maturafeier geben. Wir sind enttäuscht, aber wir tragen es mit Fassung. Man muss das Beste draus machen.
Elena Karapetian, 20, Vienna Business School Augarten, Wien
Corona ändert nichts an meinen Plänen. Ich bereite mich auf den Aufnahmetest für das Medizinstudium vor, das hätte ich ohnehin gemacht. Auch meine Sorge, dass wir als Corona-Maturanten abgestempelt werden, hält sich in Grenzen. Schließlich haben wir die Schulzeit bis hierher auch bewältigt.
Das ist ja nicht nichts. Allerdings war die Zeit des Lockdowns eine große psychische Belastung. Das wird uns bestimmt für die Zukunft prägen. Wir mussten auf vieles verzichten, auf das gemeinsame Feiern, den gemeinsamen Maturaabschluss. Aber es schweißt auch zusammen. Ich glaube, die Menschen werden generell mehr zusammenhalten. Wir werden das nicht so schnell vergessen.
Theresa Eder, 18, BORG Mistelbach
Die Corona-Krise wird uns nachhaltig beeinflussen, natürlich. Meine persönlichen Entscheidungen sind aber nur zum Teil davon betroffen. Ich habe mich auf der Fachhochschule für Journalismus und Medienmanagement und am Institut für Publizistik beworben.
Ende April wäre die Aufnahmeprüfung gewesen, sie wurde wegen Corona verschoben. Seit Kurzem weiß ich, dass ich einen Termin am 9. Juni habe. Lange haben wir nicht gewusst, ob es überhaupt einen Aufnahmetest gibt. Diese Zeit der Unsicherheit war sehr quälend. Ich war oft bei der Berufsberatung und habe mit Freunden und Familie über meine berufliche Zukunft gesprochen, und dann diese Unsicherheit.
Unsere Klasse wollte eigentlich gemeinsam auf Urlaub fahren. Ob das nun stattfindet, wissen wir noch immer nicht. Ich hatte außerdem vor, mit meinen Freundinnen nach Paris zu fahren. Das fällt jetzt ins Wasser. Die Corona-Krise hat uns als Gemeinschaft sehr gestärkt.
Wir haben uns gegenseitig versichert, wir bleiben alle in Kontakt und wollen einander unterstützen. Ja, es schweißt zusammen, wenn man so viele Sorgen und Ängste teilt. Manche von uns glauben, dass wir jetzt abgestempelt werden, sie haben Angst, dass es heißt, unsere Matura ist weniger wert. Es gibt viele Zweifel. Ich teile sie nicht.
Andreas Oliva, 19, HTL Mössingerstraße, Klagenfurt
Der Lockdown war schwierig für mich, weil ich gerne unter Leuten bin. Sogar meine Freundin hab ich nur selten gesehen. Daher war das Wiedersehen mit den Schulkameraden extrem schön. Das hat mir vor Augen geführt, wie wichtig gute Freunde sind.
Gleich nach der Matura hätte es zwei Dinge gegeben, auf die ich mich sehr gefreut hatte. Einerseits der große Schulball, ich bin selbst im Ballkomitee. Der wurde aufgrund von Corona abgesagt. Und dann die Maturareise, die wohl auch ins Wasser fällt. Die ganze Klasse wollte gemeinsam wegfahren. So etwas erlebt man nicht oft im Leben, das finde ich sehr schade. Mit einem Schlag, weg der Traum.
Aber vielleicht werden wir zumindest den Abschlussball in kleinem Rahmen nachholen können. Was ich beruflich machen will? Irgendwas Cooles wird es schon werden! Arzt, Jurist oder doch etwas in der Technik – alles möglich. Mich interessiert sehr viel. Während des Zivi-Jahres werde ich mir das in Ruhe überlegen.
Ich denke schon, dass meine Generation von Corona geprägt ist. Schon das „komplett alleine auf die Matura vorbereiten“ unterscheidet uns von vorherigen Generationen. Normalerweise macht man das gemeinsam. Da mussten wir schnell selbstständig werden. Am schwierigsten aber war für mich die Ungewissheit, die spüre ich immer noch. Ich denke, dieses Gefühl verbindet uns junge Menschen, die gerade am Start ins Leben stehen.
Lukas Berger, 20, BAfEP, Liezen
Als Nächstes steht der Zivildienst auf dem Plan. Den absolviere ich in einer Einrichtung für beeinträchtigte Menschen. Eigentlich hätte ich das Jahr gerne im Ausland gemacht, das ist nun leider nicht möglich. Aber das ist okay, viel wichtiger war mir, dass ich etwas mit Menschen machen darf.
Da ich selbst mit Rückenproblemen kämpfe, möchte ich beruflich später gerne als Physiotherapeut arbeiten oder auch im Sportbereich. Ich habe in der Schule für Elementarpädagogik viel gelernt, vor allem im zwischenmenschlichen Bereich, das war eine enorme Bereicherung.
Die Maturareise habe ich noch nicht storniert. Ich hoffe immer noch, dass sie vielleicht stattfindet. Auf der anderen Seite würde ich mir viel Geld sparen, wenn sie gestrichen wird. Sollte dem so sein, dann feiere ich eben zu Hause, in der Natur mit ein paar Freunden.
Da bin ich eigentlich sowieso am Allerliebsten. Ich lebe ja am Land und dadurch hatte ich immer die Möglichkeit, viel draußen zu sein, auch während des Shutdowns. Ich habe diese Zeit genützt, um Neues zu entdecken. Ich möchte alte Fahrräder neu herrichten. Das macht mir viel Freude. Was Corona für uns junge Menschen verändert hat, ist vermutlich die Einstellung zum Reisen. Man ist nun vorsichtiger und möchte auch die heimischen Betriebe unterstützen.
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