Corona-Comeback: Handzahmes Ischgler Après-Ski-Fieber
Hier kann man richtig gut essen, versichert ein Ischgl-Kenner aus dem Großraum Innsbruck, der jedes Jahr mit seinen Freunden in das Dorf im Paznauntal kommt – wegen dem hervorragenden Skigebiet und, um es krachen zu lassen. Der 48 Stunden geschmorte Schweinebauch sei „die perfekte Unterlage“ für eine Tour durch das Nachtleben, so der Tipp.
Das Lokal, in dem es das angepriesene Gericht gibt, heißt Kitzloch. Und es ist vor allem als Après-Ski-Hütte bekannt, in der ein Kellner im März 2020 zum ersten Corona-Fall im Ort wurde. Der Rest ist Geschichte.
Drei Jahre später steht Betreiber Bernhard Zangerl an diesem Abend gegen 20 Uhr am Eingang und platziert hereinströmende Gäste im ausreservierten Lokal. Noch vor einer guten Stunde war das Kitzloch bis unter die rustikalen Deckenbalken gefüllt mit auf Tischen und Barhockern tanzenden Skandinaviern.
Kurz vor 19 Uhr verkündet der DJ „two more songs“ und beendet den Après-Ski-Abend dann mit „Hey Jude“ von den Beatles. Die Gäste – darunter auffallend viele Eltern mit ihren Kindern im Teenager- und jungen Erwachsenenalter – geben sich selbst noch eine Zugabe: „Heeeey, heey Baby. Uh. Ah.“ Dann ist Schluss.
In Windeseile putzt das Personal das Lokal und deckt die Tische für den Restaurant-Betrieb ein. Der Laden läuft. Zangerl ist zufrieden und sagt mit einem Augenzwinkern: „Vielleicht war die Werbung ja auch gut.“
Das bestätigt ein Däne bereits am Nachmittag, als gegen 16 Uhr zunächst auf der Kitzloch-Terrasse die Plätze rar werden. Nach 20 Jahren Ehe und einer Scheidung ist er erstmals wieder im Skiurlaub – mit einer Männerrunde. „Man kann nicht heimfahren, ohne das hier gesehen zu haben“, sagt er. Also kennt er das Kitzloch? „Kennt das nicht ganz Europa?“
Für Zangerl war es 2020 die erste Saison, in der er das Lokal übernommen hatte, als das Schlagzeilen-Gewitter über ihn hereinbrach. Der damals 25-Jährige musste jede Menge Prügel einstecken.
5. März 2020: Die Tiroler Behörden erfahren, dass 14 Ischgl-Besucher aus Island an Corona erkrankt sind. Die Behörden sprechen von einer Ansteckung im Flieger
7. März 2020: Ein Kellner des „Kitzloch“ wird positiv getestet
9. März 2020: Das Lokal wird behördlich gesperrt, am nächsten Tag alle anderen Après-Ski-Bars
13. März 2020: Ischgl, das Paznauntal und St. Anton am Arlberg kommen unter Quarantäne. Polizeikontrollen sind noch nicht eingeführt. Tausende Urlauber ergreifen die Flucht
Bilanz: 11.000 Corona-Infektionen in mehreren Ländern sollen auf Ischgl-Heimkehrer zurückzuführen sein.
Aber schon am Ende der fast sechswöchigen Quarantäne über den Ort gab er sich im KURIER-Interview überzeugt: „Après-Ski ist sicher nicht tot.“ Und er sollte recht behalten. Aber ganz wie früher präsentiert sich der Ort in diesen Tagen dennoch nicht.
Schoko-Riegel für Go-go-Girls
„Spezi, Cola, Fanta, Sprite. Seit zwei Wochen nur Familien“, stöhnt der Barkeeper in einem Restaurant und bestätigt das Bild, das sich vom Nachmittag bis in die Dunkelheit hinein auf den Dorfstraßen zeigt. Erwachsene flanieren mit ihren Kindern durch den Ort, Teenager ziehen allein herum – beinahe wie man es aus Badeorten kennt.
Dabei heißt die Hauptzielgruppe von Ischgl eigentlich DINK – „double income, no kids“ (also verdienende Paare ohne Kinder). Das ungewöhnlich hohe Familienaufkommen treibt schräge Bluten.
Gegen 16.30 Uhr leert sich langsam das Skigebiet und die Schatzi-Bar gegenüber vom Kitzloch am Fuße einer der großen Talabfahrten füllt sich. Zwei kleine Mädchen stehen fasziniert vor dem Tresen der bekannten Après-Ski-Bar, auf der wie eh und je wieder Go-go-Girls in Mini-Dirndln tanzen.
Eine der Frauen bekommt von den Kindern Schoko-Riegel geschenkt, ein angetrunkener Mann steckt der Tänzerin kurz darauf einen Geldschein ins Dekolleté.
Alkoholverbot gegen Partytourismus
Szenenwechsel ins Dorfzentrum. Um 17 Uhr landet Tequila-Bier im Gulli. Zwei Männer des Gemeindewachdienstes haben junge Männer auf das Alkoholverbot aufmerksam gemacht, das auf öffentlichen Plätzen und Straßen gilt. Die Gemeinde hat es im Herbst 2020 eingeführt. Es war die Antwort auf die Kritik am ausufernden Partytreiben, das wegen der rasanten Corona-Ausbreitung am Pandemiebeginn in die Kritik geraten war.
Man wolle den Partytourismus eindämmen, hieß es damals. Wie schon bei der Einführung eines Skischuhverbots im Dorf ab 20 Uhr im Jahr 2016 zielt die Maßnahme vor allem auf Tagesbusgäste ab, die nur zum Feiern kommen – und das ohne Pause. Gerne auch mit selbst mitgebrachten Getränken.
Denn wer durch die Lokale zieht, muss sich das leisten können. Das Geld zerrinnt regelrecht zwischen den Fingern. Sechs Euro für ein kleines Bier hier, 16,50 Euro für einen Gin-Tonic dort. Und dann noch die Hotelzimmer.
Après-Ski-Fieber in Ischgl
Bis zu 1.000 Gäste feiern in der Trofana-Alm.
Après-Ski-Fieber in Ischgl
Kitzloch-Betreiber Zangerl freut sich, wieder volles Haus zu haben.
Après-Ski-Fieber in Ischgl
Familien vor der Champagnerhütte.
Après-Ski-Fieber in Ischgl
Ex-Tourismuschef Steibl ist jetzt Wirt
Kurzentschlossene hätte die Nacht im Doppelzimmer direkt im Ort am Wochenende um die 500 Euro oder aber auch über 2.000 Euro gekostet. Ischgl mit seinen 12.000 Betten ist ausgebucht. Auch in der kommenden Woche.
Es ist inzwischen 17.30 Uhr. Der Kuhstall – Inbegriff des Après-Ski-Klischees – ist brechend voll. Aus einer anderen Bar tönt ein abgewandelter Ballermann-Hit: „Aber scheiß drauf, Ischgl ist nur einmal im Jahr.“ In unmittelbarer Nachbarschaft steht Andreas Steibl an der Rezeption seines Hotels „Step24“, zu dem auch die Après-Ski-„Lounge 6561“ gehört.
18 Jahre lang war er als Geschäftsführer des Tourismusverbands das Gesicht von Ischgl, bis er 2021 unfreiwillig gehen musste und unter die Hoteliers ging. Hat sich das Nachtleben verändert? „Die Nachfrage ist ungebrochen“, sagt er. Aber bei der Qualität gelte es, stetig nachzubessern.
Kellner mit Trillerpfeifen
Nach 20 Uhr füllt sich die Trofana-Alm, die bis zu 1.000 Gäste fasst. Irgendwann müssen sich die Kellner mit Trillerpfeifen – inmitten der Pandemie noch undenkbar – ihren Weg bahnen. Die Musik bedient jeden Geschmack. Hauptsache Party.
Als sich die gegen 23.30 Uhr dem Ende zuneigt, geht es im Keller-Club der Champagner-Hütte nebenan erst langsam los. Es ist kein Zufall, dass der alte Slogan von Ischgl die Pandemie überdauert hat: „Relax. If you can.“
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