Eine Buchhalterin aus Kiew arbeitet jetzt in Wien in der Pflege
Beide Daumen der erfahrenen Heimhelferin zeigen sofort nach dem vierten und letzten Hausbesuch nach oben. „Ja, die Praktikantin ist sehr gut“, freut sich Brigitte Binder, die schon seit Jahren für Malteser Care mobil im Einsatz ist.
Kurze Nachbesprechung im ruhigen Hof einer Wohnhausanlage im Osten von Wien, genauer gesagt in Kaiserebersdorf. Die schon bald neue Kollegin der Heimhelferin Binder heißt Tanja Marchuk, sie ist Mutter eines zwölfjährigen Sohns und war bis zum 24. Februar 2022 als Buchhalterin in einer Steuerberatungskanzlei in Kiew tätig, stand dort kurz vor ihrem nächsten Karrieresprung.
Arbeitsmarktservice
„Ich bin bereit“, freut sich Tanja Marchuk, dass es nun endlich losgeht. Gemeinsam mit 25 Landsleuten aus der Ukraine hat sie zuletzt einen viermonatigen Heimhilfe-Kurs in der Sozialberufeakademie Wienerwald absolviert.
Der KURIER berichtete und hat dem Arbeitsmarktservice ein bisschen geholfen: Als Helmut Lutz von Malteser Care in einem Interview im Jänner eröffnete, dass er „schon morgen 25 Leute“ einstellen könnte, war es ein Leichtes, ihn auf die Damen und Herren aus der Ukraine aufmerksam zu machen.
Elwira Sebera, Kollegin von Lutz, Pflegedienstleiterin bei Malteser Care, besuchte daraufhin den Lehrgang in Breitenfurt, stellte dort ihren Arbeitgeber vor und kehrte noch vor den abschließenden Prüfungen mit insgesamt vier Bewerbungen in ihr Büro in Wien zurück. Über den Neuzugang Tanja Marchuk freut sich nicht nur Brigitte Binder, auch die Ausbildungsleiterin Sabine Krames stellt ihr ein sehr gutes Zeugnis aus.
Die Buchhalterin hat in Wien und in Deutschland als Au-pair gearbeitet. Damals konnte sie die Basis für ihre mehr als nur respektablen Deutschkenntnisse legen.
Genau erinnert sich Frau Marchuk an den 24. Februar: „Wir haben uns an dem Tag, als die ersten Bomben in Kiew einschlugen, ins Auto gesetzt und sind losgefahren.“
„Wie ein Gefängnis“
Drei Tage lang war sie mit ihrer Schwester, Sohn Makar und der geliebten Hauskatze unterwegs nach Wien – mit banger langer Wartezeit an der Grenze zur EU. „Großes Glück“, betont sie, „hatten wir nach unserer Flucht mit einer Familie, die uns in Schwadorf ihre Wohnung zur Verfügung gestellt hat.“ Bis auf Weiteres dürfen ihr Sohn, der die Mittelschule besucht, und sie darin wohnen: „Das sind großartige Menschen.“
Dennoch fiel ihr – wie den meisten Geflüchteten aus der Ukraine – in Schwadorf bald die Decke auf den Kopf: „Du siehst nichts, du weißt nichts. Wenn du nur zu Hause sitzen und nichts tun kannst, dann ist das wie ein Gefängnis. In der Ukraine hatte ich zwei Jahre keinen Urlaub, der Zwangsurlaub in Österreich war viel anstrengender.“
Eine Bekannte hatte Tanja Marchuk von dem Heimhilfe-Kurs in Breitenfurt erzählt. Anfangs unsicher, ob man sie aus den mehr als hundert Interessenten auswählen wird, freut sie sich heute, dass sie es geschafft hat: „Ich stehe jetzt jeden Tag um 5 Uhr auf. Ich bin gut ausgebildet. Ich fühle wieder das Leben.“
Ein bisschen macht ihr noch der Wiener Dialekt zu schaffen. Doch ihr Praktikum in Kaiserebersdorf sollte sie da optimistisch stimmen. In der Heimhilfe geht es immer auch ums Zuhören, Erzählen und Erzählen-Lassen. Jene Frau, die in ihrem ersten Beruf mit den Zahlen per Du war, kann auch gut mit Menschen. Sie sagt: „Am besten lernt man eine Sprache, wenn man arbeitet und nicht, wenn man mit den Landsleuten in einem Deutschkurs sitzt.“
„Meine Familie in Kiew“
Florian Stummelreiter nickt. Der leitende Mitarbeiter des Hilfsvereins „tralalobe“ hatte die Idee, den Heimhilfe-Kurs anzubieten. Am Freitag verlassen nun die Ersten mit einem Zertifikat den Kurs, was Stummelreiter freut: „Ich bin stolz auf die Absolventen, und stolz auf alle, die hier für uns unterrichtet haben.“
Jedoch vermisst er die im Kurs gezeigte Flexibilität in Politik und Verwaltung. Auch Tanja Marchuk vermisst was: „Meine Familie in Kiew."
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