Böller, die in Wirklichkeit Bomben sind: Wo die illegale Ware herkommt
Erich Rosenbaum hat viel erlebt. Der Chefinspektor, der seit vielen Jahren im Landeskriminalamt Niederösterreich arbeitet, ermittelt auch dann, wenn es zu Unfällen mit pyrotechnischen Gegenständen kommt. „Es war das schlimmste Silvester, das es je gab“, sagt er.
Tatsächlich ist die Bilanz im größten Bundesland tragisch: Ein 18-Jähriger starb in Ternitz, nachdem eine Kugelbombe in einem Plastikrohr zu früh explodiert war. Ein gleichaltriger Freund erlitt schwerste Kopfverletzungen. Ärzte kämpften am Montag noch um sein Leben. Im Spital liegt auch ein 16-Jähriger aus Lichtenau im Waldviertel, der ebenfalls mit einem illegalen Böller hantierte. Sein Zustand sei kritisch, ist zu hören. Sein Vater kam erst vor wenigen Monaten bei einem Bergunfall ums Leben.
Enorme Sprengwirkung
Auch unter Pyrotechnikern ist man sich einig: eine Silvesternacht in dieser Intensität gab es noch nie. „Speziell bei Kugelbomben darf man sich über Tote und Schwerverletzte nicht wundern. Es hat einen Grund, dass diese Artikel genehmigungspflichtig sind und eine Ausbildung voraussetzen“, erzählt Pyrotechniker Alexander Pöllmann. Der Wiener verkauft in zweiter Generation Feuerwerk. Wie einfach man mittlerweile als Laie an verbotene Artikel kommt, macht ihn fassungslos: „Eine Kugelbombe mit fünf Zentimetern Durchmesser kann einen Baum entwurzeln. Da handelt es sich um ein Sprengmittel mit enormer Wirkung.“
Kugelbomben
sorgen beim Feuerwerk für den runden Farbeffekt am Himmel.
Mit Schwarzpulver werden sie Hunderte Meter in die Luft geschossen. Am Boden können sie ganze Bäume entwurzeln
Böller
je nach Ausführung extrem gefährlich. Sogar Zigarettenautomaten werden damit gesprengt
13.000 Aufgriffe
illegaler Pyro-Artikel durch die Polizei gab es an der Grenze Kleinhaugsdorf (NÖ) im Vorjahr
Die in der Fachsprache als Mörserbomben bekannten Sprengkörper gehören der Kategorie F4 an. Für deren Besitz braucht es eine Prüfung. Die kugelförmigen „Bomben“ werden aus Rohren geschossen. Profis verwenden dazu ausschließlich Fernzünder, bei der Zündung halten sie bis zu 50 Meter Abstand.
Illegal im Ausland gekaufte Artikel hingegen werden aus nächster Nähe via Zündschnur gezündet. „Den Jugendlichen fehlt da jegliches Gespür – leider teils mit tödlichen Folgen“, sagt Pöllmann.
In Österreich gibt es die Vorgabe, dass von der Zündung bis zur Explosion zumindest acht Sekunden vergehen müssen. Bei asiatischen, nicht ausreichend geprüften Produkten hingegen kann es zu Fehlzündungen kommen. Teilweise gehen die „Bomben“ dann sofort hoch oder aber erst nach etwa 30 Sekunden – häufig genau dann, wenn unerfahrene Pyrotechnik-Fans sich nähern, um nachzuschauen, warum es zu keiner Zündung kam.
Das kann fatale Folge haben. Personen in einem Umkreis von zwei Metern haben laut Pöllmann keine Chance. Besonders da Kugelbomben in nahezu beliebiger Größe erhältlich sind. Genau das kritisiert der Unternehmer scharf: „Als seriöser österreichischer Anbieter wird man regelmäßig kontrolliert. Aber solange man sich in Tschechien oder der Slowakei nicht an die EU-Gesetze hält, wird es weiter zu Tragödien kommen.“
Internetkäufe
Das Problem beschränkt sich nicht auf skrupellose Straßenverkäufer knapp hinter der österreichischen Grenze (der KURIER berichtete). Auch im Internet sind Feuerwerkskörper der Kategorie F4 erhältlich. Die Kugelbomben werden ohne Alters-Check bis an die Haustür geliefert.
Häufig sind die Pakete nicht als Gefahrengut gekennzeichnet. Ein Brand in einem Zustellfahrzeug oder Logistikzentrum hätte verheerende Folgen. Beim Zoll ist das Problem der falsch deklarierten Ware bekannt. Vor Silvester wurden neben den Grenzen auch Postverteilerzentren kontrolliert.
Insgesamt zog der Zoll 2022 bis Mitte Dezember knapp 2.000 verbotene Knallkörper aus dem Verkehr. Die Polizei konfiszierte ein Vielfaches davon. Klar ist aber, dass die Dunkelziffer die Aufgriffe bei Weitem übersteigt.
Unternehmer Pöllmann wird Böller übrigens künftig komplett aus seinem Sortiment streichen.
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