Blick in dunkle Vergangenheit: Grabungen auf Areal des NS-Lagers Liebenau
Über das einstige Zwangsarbeiterlager Graz-Liebenau war nach 1945 lange Zeit im wahrsten Sinne des Wortes „Gras gewachsen“. In der Zeit des Nationalsozialismus zählte das größte Zwangsarbeiterlager in Graz bis zu 5.000 Insassen. 1947 wurden mehr als 50 Personen, die dort starben, exhumiert. Weitere werden vermutet. Nun findet eine gezielte archäologische Grabung statt: Gefunden wurden unter anderem bereits Schuhe, Porzellan, Kämme und Medizinfläschchen.
Auf besagtem Areal in Graz-Liebenau befanden sich während der NS-Zeit 190 Baracken für verschleppte Zwangsarbeiter, viele Menschen kamen hier zu Tode. Heute befinden sich hier Wohnbauten, Grünflächen, Schrebergärten und ein Kindergarten.
Geschichte des Lagers
Im April 1945 war der Lagerkomplex im Süden von Graz außerdem eine Station der ungarischen Juden auf dem Todesmarsch vom „Südostwallbau“ in Richtung KZ Mauthausen. Dutzende überlebten den Aufenthalt in Graz nicht: 34 der im Mai 1947 unter Leitung der britischen Besatzungsmacht exhumierten 53 Leichen wiesen tödliche Schusswunden auf. Wie viele Menschen insgesamt zu Tode kamen und verscharrt wurden, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.
In den Jahrzehnten nach dem Krieg wurde der sogenannte Grünanger zum Teil als Grünfläche, zum Teil als Barackensiedlung genutzt, umfassende archäologische Untersuchungen blieben jedoch lange Zeit aus. Die Grazer Gedenkinitiative (GI) Graz Liebenau und der Allgemeinmediziner und Psychotherapeut Rainer Possert versuchen seit Jahren, Licht in die dunkle Geschichte zu bringen.
Bau des Kindergartens
Als 1991 die Errichtung eines Kindergartens anstand, wurden im Erdreich die Überreste zweier Todesopfer gefunden. Vom Plan einer Unterkellerung des Kindergartens wurde abgerückt.
„Menschen werden in der Regel in mindestens 160 Zentimeter Tiefe verscharrt. Da war es unwahrscheinlich, dass bei den kellerlosen Neubauten Knochenfunde gemacht wurden, da nur bis zur Fundamenttiefe von etwa 60 Zentimeter archäologisch untersucht werden durfte“, erklärte Possert.
2017, bei den Bauarbeiten zum Kraftwerk Puntigam, kamen weitere Funde aus der NS-Zeit ans Licht.
Weitere Knochenfunde
Zuletzt wurden im Jänner 2021 bei Arbeiten für ein Bauprojekt in der Nähe des Kindergartens Knochen gefunden. Nun lässt die Gedenkinitiative weiter nach Überresten suchen. Finanzielle Unterstützung gibt es sowohl von Bürgermeisterin Elke Kahr als auch vom Finanzressort der Stadt (beide KPÖ). „Jetzt wird mit Unterstützung der Stadt proaktiv gegraben, es ist erstmals eine Forschungsgrabung“, erklärte Possert am Montag in einem Pressegespräch.
Fund bei Gedenktafel
Der aktuelle Grabungsort ist eine Stelle in der Nähe der Tafel, die im September 2020 zum Gedenken an die in Liebenau verübten NS-Gräuel aufgestellt wurde. „Bereits bei der Errichtung der Tafel wurden bedeutsame Gegenstände gefunden, die den Opfern des Todesmarsches im Frühjahr 1945 bzw. den Insassen des Zwangsarbeiterlagers zuzuordnen sind“, so Possert.
Nun wird ein rund 60 Quadratmeter großes Areal neben der Erinnerungstafel bis in die Tiefe von 180 Zentimetern untersucht. Genagelte und genähte Schuhsohlen, Gummischuhwerk, Porzellanfragmente und Besteck, Medizinfläschchen, Glasflaschen, Knöpfe, Glasperlen, Kämme und sogar Zahnbürsten wurden bereits gefunden, berichtete Possert. „Die Kämme etwa sind zum Teil selbst geschnitzt.“
Insassen und Personal
Die Funde wurden ab einer Tiefe von 50 bis 150 Zentimetern gemacht und liegen in einer ungestörten Schicht. „Sie sind sowohl den Lagerinsassen als auch dem Bewachungspersonal zuzuordnen“, erklärte Grabungsleiterin Sandra Schweinzer von der ARGIS Archäologie Service GmbH.
Die Gedenkinitiative verpflichtete sich als Subventionsempfänger der Stadt, alle Funde dem Graz-Museum auszuhändigen. „Wobei wir keinen Einfluss darauf haben, dass die Funde forensisch-archäologisch aufgearbeitet und ausgestellt werden, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, so Possert. „Die Funde werden von uns aufgenommen, fotografiert und dann übergeben“, fügte die Archäologin hinzu. Eine erste Auswertung gebe es in einigen Wochen.
Weitere Verdachtsstellen am Grünanger, die archäologische Knochenspürhunde jüngst markiert haben, können laut Possert nun doch nicht archäologisch untersucht werden. „Diese Stellen wurden zum Teil bereits baulich verändert, bzw. sind sie nicht ohne erheblichen Aufwand freizulegen.“
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