Schädel bei NS-Lager gefunden: „Opfer eines Kriegsverbrechens“

Eines der wenigen Bilder (1940) aus der Zeit als Umsiedlungslager für "Volksdeutsche"
Jener Skeletttteil, der auf dem Areal eines NS-Zwangsarbeiterlagers in Graz entdeckt wurde, weist ein Einschussloch auf.

Das Fundstück lag nicht sehr tief, bloß unter einer rund 20 Zentimeter dicken Erdschicht: Im Jänner wurde bei Grabungsarbeiten am Grünanger in Graz-Liebenau neben weiteren Skelettteilen auch eine Schädeldecke gefunden. Verwittert, mit anhaftendem Gras und Wurzelresten, doch an einer brisanten Stelle: In der Nähe hatten die Nazis eines der größten NS-Zwangsarbeiterlager, das „Lager V“. Dort wurden nach Kriegsende auf Betreiben der Briten 53 Leichen exhumiert, 34 von ihnen mit Schusswunden im Kopf.

Aufgrund der Brisanz des Fundortes wurden die menschlichen Überreste genauer untersucht, das Ergebnis liegt nun vor: „Es erhärtet sich der Verdacht, das es sich um ein mutmaßliches Opfer eines Kriegsverbrechens aus dem Zweiten Weltkrieg handelt“, teilte die Stadt Graz am Donnerstag mit der mehrere Jahrzehnte alte Schädel wies ein Einschussloch auf. Das Opfer war ein Mann.

Für Rainer Possert, engagiertem Kopf hinter der Gedenkinitiative Graz-Liebenau, sind die Konsequenzen dieses Fundes eindeutig: „Die Stadt Graz soll dort endlich auf eigene Kosten graben. Die Verdachtszonen sind bekannt“, fordert der pensionierte Arzt. Die Stadt sei das nie selbst offensiv angegangen, kritisiert Possert. Als im Zuge der Bauarbeiten zum Murkraftwerk 2017 Funde aus der NS-Zeit gemacht wurden, rückte das Lager überhaupt erst wieder in das Blickfeld einer größeren Öffentlichkeit, seither bemühte sich die Stadt um Aufarbeitung, es gab auch eine Ausstellung dazu.

Es gab Hinweise

Mit bis zu 5.000 Menschen und 190 Baracken war es das größte NS-Zwangsarbeiterlager auf dem Grazer Stadtgebiet, auch wenn es 1940 eigentlich als Umsiedlungslager für „Volksdeutsche“ konzipiert wurde. Dort passierten Endphase-Verbrechen, die Exekution von Arbeitern ist historisch nachgewiesen. Belegt ist ebenfalls, dass ungarische Juden in den letzten Kriegstagen auf dem Todesmarsch in Vernichtungslager Zwischenstation im „Lager V“ machten.

Hinweise auf Kriegsverbrechen gab es, schon beim Prozess des britischen Militärgerichts gegen Lagerverantwortliche: „Es liegen noch welche unter der Erde“, hielt der vorsitzende Richter fest. Bloß schaute einfach niemand nach.

Tatsächlich wuchs nach dem Ende des NS-Regimes buchstäblich Gras über das später als „Lager Liebenau“ bekannte Areal: Ab 1947 wurden dort eine Siedlung und Schrebergärten gebaut. Vor zwei Jahren begann die Stadt Graz damit, auf dem Areal einen neuen Wohnbau zu errichten. Diese Arbeiten wurden bereits nach dem Fund im Jänner nach einem kurzen Baustopp fortgesetzt, wie bisher unter archäologischer Begleitung, hieß es von der Stadt Graz.

Weitere Analysen

Allerdings würden die „ersten Ergebnisse der Knochenfunde naturgemäß viele weitere Fragen zum Todesopfer aufwerfen“: Grabungsleiter Pasquale Brandstätter verspricht, „alles, was wissenschaftlich möglich ist, zu tun, um dem Opfer wieder ein Gesicht zu geben“. Beauftragt wurden vorerst forensische, ballistische und anthropologische Untersuchungen. Geplant seien zudem eine Isotopenuntersuchung sowie eine DNA-Analyse. Danach sollen die Knochenfunde (es wurden auch Langknochen entdeckt) an die Kriegsgräberfürsorge übergeben und bestattet werden.

Eine Vorgangsweise, die der Gedenkinitiative nicht weit genug geht. „Es muss mit der Suche nach den Opfern weiter gemacht werden“, fordert Rainer Possert.

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