Bis zu 150 Kirchen weniger: Brisante Studie der Erzdiözese Wien
Von Christian Mayr
Die Studie trägt den sinnigen Titel „Verwerfungen“, zeichnet sie doch für die katholische Kirche in Österreich ein dramatisches Zukunftsszenario, das zu Beginn der Karwoche für viele Gläubige eine Hiobsbotschaft darstellt: Das dem KURIER zugespielte Schriftstück der Erzdiözese Wien im Rahmen der Dechantwoche befasste sich mit der weiteren Entwicklung der Gläubigen, den Finanzen und den Erhaltungskosten für die vielen Kirchengebäude – um dann festzuhalten, dass die bestehenden baulichen Strukturen so nicht mehr leistbar sein werden.
Neu ist, dass seitens der Kirche erstmals konkrete Zahlen genannt werden: „Wenn sich die Anzahl der Katholiken jährlich um 14.000 verringert, dann bedeutet dies, dass diözesan eine jährliche Reduktion von 14 Kirchen erforderlich wäre, um die Last auf die verbliebenen Katholiken gleich zu halten.“ Die Erzdiözese Wien (sie umfasst die Stadt Wien sowie das östliche und südliche Niederösterreich) ist mit knapp 1,1 Millionen Gläubigen die größte des Landes und verfügt aktuell über rund 1.000 Kirchengebäude (3.500 Objekte insgesamt).
Die Zahl zeigt, dass wir aktiv damit umgehen müssen, dass die Belastungen je Katholiken steigen.
Dramatisch in Wien
Doch wenn die Entwicklung so anhält, kann diese Zahl bei Weitem nicht gehalten werden. „Bis 2033 gäbe es dann 850 Kirchengebäude und 2053 dann 620 Kirchengebäude“, heißt es in der Studie. Demnach müsste sich die Erzdiözese schon in den kommenden neun Jahren von 150 Sakralbauten trennen (minus 15 Prozent), bis zur Mitte des Jahrhunderts wären es dann sogar fast 40 Prozent weniger Kirchen. Laut Studie würde es zu jenem Zeitpunkt in der Erzdiözese Wien nur noch rund 700.000 Katholiken geben.
Besonders dramatisch sind die Zahlen für das Vikariat „Wien-Stadt“, wo sich die Anzahl der Gläubigen in den vergangenen Jahrzehnten ohnedies schon halbiert hat. Hier geht es besonders steil bergab – bis 2053 soll die Schäfchen-Herde noch einmal um 43 Prozent im Vergleich zum Jetztstand (ca. 550.000) zusammenschrumpfen.
Dass mit den geringer werdenden Kirchbeiträgen, die drei Viertel des Gesamt-Etats ausmachen, die verwaisten Gotteshäuser im urbanen Raum nicht mehr in dieser Form erhalten werden können, ist evident. So musste die Erzdiözese Wien 2022 mehr als neun Millionen Euro (sechs Prozent der Aufwendungen) nur für „bauliche Zwecke“ in den Pfarren ausgeben – Betriebskosten nicht eingerechnet. Aber nicht jeder Sakralbau in der Stadt ist so bedeutend wie eine Basilika wie die Votivkirche, deren Renovierung 20 Jahre gedauert und gut 30 Millionen Euro verschlungen hat.
Kirchen abgegeben
Für heuer wird im Diözesanhaushalt übrigens ein Fehlbetrag von 4,2 Millionen Euro erwartet. In den vergangenen Jahren wurden bereits einige Wiener Kirchen an andere christliche Gemeinschaften abgegeben und so als Gotteshäuser erhalten – etwa die Neulerchenfelder Kirche an die serbisch-orthodoxe Kirche oder „Maria vom Siege“ an die Kopten. Und von Kardinal Christoph Schönborn wurde vor einem Jahrzehnt eine Strukturreform mit Pfarrzusammenlegungen („Pfarre Neu“) angestoßen. Künftig wird man aber wohl nicht umhinkommen – wie in anderen Ländern längst üblich –, verstärkt Verkäufe durchzuführen und weltliche Nutzungen hinzunehmen.
Kirchen sollen so verwertet werden, dass einem nicht schlecht wird – dass es keine Bordelle werden.
Weckruf
Hinter vorgehaltener Hand spricht man in der Erzdiözese davon, dass die Zahlen auch ein Weckruf Richtung der Pfarren sein sollen, offiziell ist Pressesprecher Michael Prüller um vorösterliche Zurückhaltung bemüht.
Bei den „Verwerfungen“ handle es sich um „eine Reihe von Zahlenspielen zu dem Zweck, die Notwendigkeit eines sparsamen Umgangs mit den Ressourcen zu verdeutlichen“; das Ganze habe „den Charakter eines Gedankenexperiments“ und bilde bloß Trendfortschreibungen ab. „Kein Mensch denkt daran, 14 Kirchen pro Jahr abzugeben. Die Zahl zeigt freilich, dass wir aktiv mit dem Faktum umgehen müssen, dass die Belastungen je Katholiken steigen“, so Prüller.
Derzeit gebe es konkretere Überlegungen für weitere drei Kirchen, die in den nächsten zwei Jahren schlagend werden könnten. „Es wird wohl aufgrund der abnehmenden Ressourcen in den kommenden Jahren damit zu rechnen sein, dass wir noch weitere Kirchen abgeben werden, aber mit Maß und Ziel, auch wenn der steile Anstieg von Bau- und Erhaltungskosten den Pfarren naturgemäß zusetzt.“ Letztlich gehe es mit neuen Nutzungskonzepten auch um neue Finanzierungsperspektiven – und im Endeffekt um Strukturen zur Weitergabe des Glaubens: „Mit wie vielen Kirchen wir das tun, ist sekundär und wird sich nach dem finanziell Machbaren richten müssen. Für uns heißt das im Ressourceneinsatz: intelligent sparen“, erklärt Prüller.
„Fürchtet euch nicht!“
Für Dompfarrer Toni Faber indes sind die genannten Zahlen keine Überraschung: „Es ist ganz normal, dass wir nicht mehr die ganze Gebäudestruktur brauchen, die unter Joseph II. eingerichtet worden ist. Es ist unausweichlich und braucht uns nicht in Furcht und Schrecken versetzen. Wir können uns die Gebäude einfach nicht mehr leisten!“
Alle 500 Meter eine Kirche in der Stadt werde es künftig nicht mehr spielen – „wir werden Zentralkirchen brauchen, dazu kleine Gebetsräume“, so Faber. „Und hoffentlich bei gutem Wind manche Kirchen so verwerten können, dass einem nicht schlecht wird dabei, dass es kein Bordell wird, sondern vielleicht eine Bibliothek oder Ähnliches.“ Aus Holland, Belgien gäbe es viele Beispiele einer sinnvollen Nachnutzung – aber auch schon aus Österreich, wo Ordensgemeinschaften Teile abgetreten und etwa für Wohnzwecke oder Pflegeheime Nachnutzungen gefunden hätten.
Allerdings: „Wenn man Kirchen anderen Konfessionen gibt, ist das fantastisch. Aber wir werden es nicht immer in der Hand haben. Wir werden froh sein, wenn man uns die Kirchengebäude abnimmt“, sagt Faber.
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