"Benzos"-Tote: Warum man die Trenddroge an jeder Ecke bekommt
Wenn man Benzodiazepine will, dann bekommt man sie auch.
Für zwei oder drei Euro beim Dealer auf der Straße, in der Apotheke oder im Medikamentenschrank der Eltern. Benzodiazepine, kurz "Benzos" sind wahre Wundermittel bei Schlafstörungen, Panikattacken und Depressionen - machen aber gleichzeitig sehr schnell abhängig.
Wie viele Österreicher derzeit an einer Sucht leiden, ist schwer zu sagen. Laut Schätzungen des Gesundheitsministeriums sind es rund 140.000 Betroffene. Dass der Umgang bzw. Missbrauch von Benzodiazepinen zunehmend zum Problem wird, zeigt ein Blick in die Statistik.
Die Zahl der Einsätze bei der Berufsrettung Wien wegen einer Medikamenten-Intoxikationen stieg vergangenes Jahr auf einen Wert von 2.190 und damit um 39,5 Prozent, bei den Jugendlichen kam es gar zu einer Verdopplung.
Auch die Zahl der Drogentoten in Österreich ist mit 248 Fällen im Jahr 2022 - aktuelle Zahlen liegen noch nicht vor - vergleichsweise hoch. Eine zentrale Rolle dabei spielen Benzos.
Sitzung im Gesundheitsministerium
"Die Kombination aus Alkohol, Morphium wie Heroin und Benzos ist die Hauptursache für die Drogentoten", erklärt Norbert Jachimowicz, Leiter des Referats für Substitutionsfragen bei der Österreichischen Ärztekammer. Dass das Thema Benzos, vor allem bei Jugendlichen, zunehmend zum Problem wird, weiß man auch im Gesundheitsministerium.
- Im Jahr 2023 wurden insgesamt 1.394.192 Packungen aus der Gruppe der Benzodiazepin-Derivate mit der ÖGK abgerechnet
- Zum Vergleich: Im Jahr 2019 waren es 1.641.685 Packungen, in den Corona-Jahren im Schnitt rund 1.450.000
- Am häufigsten wurden laut ÖGK die Medikamente Halcion, Praxiten und Anxiolit verschrieben
Erst vor wenigen Wochen gab es dazu eine Sitzung, sagt der Mediziner. Wie man dem Problem Herr werden will, steht allerdings noch nicht fest. "Es ist sehr schwer, diesen Markt zu kontrollieren. Die Krankenkassen können keine genaue Auskunft über den tatsächlichen Umfang des Verkaufs dieser Substanzen geben, weil die meisten dieser Substanzen unter Rezeptgebühr verkauft werden. Damit scheinen sie im Kassenbudget nicht auf", sagt Jachimowicz.
Es fehlt an Daten
Da viele Medikamente auch privat verschrieben werden, fehle jegliche Datengrundlage. "Man müsste die tatsächlichen Verkaufszahlen herausfinden, aber das ist sehr schwierig, unter anderem wegen Datenschutz", betont der Experte. Zudem gebe es viele Ärzte, die zu oft und zu leichtfertig Benzodiazepine verschreiben.
"Aber die Begehrlichkeit der Patienten ist groß, manche lassen sich da unter Druck setzen. Dazu kommt das Phänomen, wenn ein Arzt einmal bekannt ist, dass er großzügig mit solchen Verschreibungen umgeht, hat er sofort eine Fülle von Patienten am Hals, die das auch wollen", berichtet der Leiter des Referats für Substitutionsfragen.
Vonseiten des Gesundheitsministeriums heißt es dazu, dass der Missbrauch von Benzodiazepinen ernst genommen werde. "Der Gesetzgeber hat das Risikopotenzial bei der Verschreibung von Benzodiazepinen erkannt und im Vergleich zu anderen psychotropen Stoffen Sonderregelungen geschaffen. So darf z.B. bei der Verschreibung von Arzneimitteln, die psychotrope Stoffe aus der Gruppe der Benzodiazepine enthalten, keine wiederholte Abgabe angeordnet werden", hieß es dazu auf KURIER-Anfrage aus dem Ministerium.
Vom Schlafmittel zum Suchtgift
Das einst sehr beliebte aber gefährliche Benzodiazepin Flunitrazepam dürfe darüber hinaus nur auf Suchtgiftrezept verschrieben werden. Aufgrund massiven Missbrauchs entschied man sich vor rund acht Jahren dazu, den Wirkstoff auf die Suchtmittel-Liste zu setzen. In Medienberichten wird Flunitrazepam am häufigsten im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen unter Einsatz von Drogen genannt. Es wird auch häufig als "Date rape" bezeichnet.
"Diese Maßnahme war durchaus erfolgreich, die Umsätze sind daraufhin stark zurückgegangen", sagt Jachimowicz. Wieso also nicht alle Benzodiazepinen auf die Suchtmittelliste setzen?
Welche Lösung gibt es?
"Das würde jeglichen Rahmen sprengen. All diese Daten zu erfassen und zu kontrollieren wäre viel zu aufwändig. Bei jeder alten Frau, die ein Schlafmittel verschrieben bekommt, müsste man das ja dann auch überprüfen", erklärt Jachimowicz.
Die Verschreibung von Suchtmitteln ist für Ärzte durchaus mit viel Aufwand verbunden: Jedes Rezept muss mit einer Suchtgiftvignette versehen werden, der Arzt muss ein Suchtgiftbuch führen und akribisch dokumentieren, an welchem Tag er welchem Patienten was verschrieben hat.
"Das wird von der Gesundheitsbehörde auch streng kontrolliert. Damals bekamen einige Ärzte Probleme, als das Schlafmittel Flunitrazepam zum Suchtgift erklärt wurde", sagt der Mediziner in Anspielung auf die Verordnung, die im Jahr 2016 in Österreich in Kraft trat.
"Über Darknet kann man sich alles besorgen"
Ob Restriktionen tatsächlich in allen Fällen zum Erfolg führen, bezweifelt der Leiter des Referats für Substitutionsfragen. "Verbietet man Substanzen, erlebt der Schwarzmarkt einen Boom. Über das Darknet kann man sich heutzutage ja alles besorgen. Es bräuchte ein zentrales Register, in dem alle Medikamente aufgenommen werden, auch die privaten. Dann hätte ein Apotheker zum Beispiel auch die Befugnis, Privatrezepte zu überprüfen und Patienten könnten nicht von einer Apotheke zur nächsten gehen und ihre Rezepte immer wieder einlösen", so der Arzt.
Aber bei allen Verschärfungen, die angedacht werden könnten, um das Problem zu lösen, dürfe eines nicht vergessen werden: "Viele Menschen befinden sich in einer depressiven Grundstimmung. Die Leute haben Zukunftsängste, fürchten um ihre Arbeitsplätze, um ihre persönliche Freiheit. Das ist eine Situation, die fatal ist und dazu führt, dass vermehrt solche Substanzen konsumiert werden", sagt Jachimowicz.
Und solange sich das nicht ändere, habe er wenig Hoffnung, dass sich am Konsum von Benzodiazepinen nachhaltig etwas ändert.
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