Speiben, schwitzen, schlafen: Eine 19-Jährige erzählt vom Entzug
Ins Flex kann Clara* (Name geändert) heute nicht mehr gehen. Zu sehr erinnern sie die 12- und 13-Jährigen, die mit Schnullern im Mund auf dem Boden der Toilette in dem Nachtlokal sitzen, an ihre eigene Vergangenheit.
„Wenn man Ecstasy nimmt, dann tendiert man zu sehr starkem Kieferbeißen. Der Schnuller soll davor schützen“, sagt die 19-Jährige. Auch sie kam mit 12 Jahren in Kontakt mit Suchtmitteln und rutschte in eine Abhängigkeit. Mit 15 Jahren begann Clara auch mit Benzodiazepinen, kurz Benzos.
Benzos helfen grundsätzlich bei Angststörungen, Schlafproblemen und Depressionen – werden aber immer öfter missbraucht, vor allem von Jugendlichen. Das zeigen auch aktuelle Zahlen der Berufsrettung Wien.
Gab es bei den Unter-18-Jährigen 2018 noch 149 Einsätze wegen Medikamenten-Intoxikationen, stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf 390 Einsätze. Auch Clara musste in der Vergangenheit schon zweimal die Rettung rufen. Sie selbst landete aber nie wegen einer Überdosis im Krankenhaus. Mit 15 nahm sie dann zum ersten Mal ein Benzodiazepin. Die erste Tablette bekam sie von ihrer Hausärztin.
Nachdem immer mehr Menschen in meinem Umfeld gestorben sind, hab’ ich mir gedacht, ich muss was ändern
„Ich hab Benzos genommen, weil ich an schweren teilweise täglichen Panikattacken leide, seit ich sechs Jahre alt bin“, erzählt Clara. Was als Notfallmedikament gegen ihre Angststörung begann, entwickelte sich rasch zur Sucht.
Erinnerungslücken tun sich auf
Zu stark war der Wunsch, keine Angst mehr zu verspüren. „Endlich einmal nicht mehr alles so stark fühlen zu müssen“, erklärt die junge Frau. Durch die Einnahme von Benzos fällt auch die Hemmschwelle – und Erinnerungslücken tun sich auf. Es gibt Fotos und Videos auf Claras Handy, an die sie sich nicht mehr erinnern kann. „Auf einem Foto sitze ich direkt im McDonald's am Karlsplatz und zieh’ mir am Tisch Benzos durch die Nase. Ich würde das in nüchternen Zustand niemals machen“, sagt sie.
Drogenvergiftungen
Bei Erwachsenen kam es 2023 laut Berufsrettung Wien im Fünfjahresvergleich zu einem Anstieg von 1.121 auf 2.224 Einsätze wegen einer Drogenvergiftung . Bei Personen unter 18 verdreifachten sich die Ausrückungen in dieser Kategorie mit einem Sprung von 75 Einsätzen im Jahr 2018 auf 231
Medikamenten-Intoxikationen
Laut Angaben der Einsatzorganisation stiegen die Zahlen bei Erwachsenen – was Medikamenten-Intoxikationen betrifft – 2023 um 39,5 Prozent. Bei den Unter-18-Jährigen kam es zu einer Verdopplung der Einsätze
Es gab Phasen, da nahm die heute 19-Jährige zwei oder sogar drei Blister Benzos pro Tag. Als sie nicht mehr leben wollte, schüttete das junge Mädchen noch eine halbe Flasche Rum nach. Aber sie überlebte.
Rekord an Drogentoten
Anders als ihr erster Freund. „Er ist an einer Überdosis gestorben, und er war nicht der Einzige. Das macht dann schon was mit einem. Man checkt, dass man daran wirklich sterben kann“, schildert Clara.
Beim Blick in die Statistik zeigt sich, dass es zuletzt auch einen Rekord an Drogentoten in Österreich gab. Das Gesundheitsministerium veröffentlichte im Jänner den Drogenbericht aus dem Jahr 2022 – 248 Menschen starben in dieser Zeit an einer Überdosis. Aktuellere Zahlen liegen derzeit nicht vor. Wie erklären sich Experten diesen Anstieg? „Es gibt dazu verschiedene Hypothesen. Es könnte sich bei dieser Entwicklung nach wie vor um Nachwirkungen der Pandemie handeln“, sagte Martin Busch, Leiter des Kompetenzzentrums Sucht an der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG).
„Auf einmal gehört man dazu“
Das kann auch Clara bestätigen. „Es war eine Zeit, in der wir alle viel allein waren. Auch das Gruppengefühl hat eine große Rolle gespielt“, sagt sie. Früher sei sie nicht besonders beliebt gewesen. Durch die Drogen habe sie viele neue Leute kennengelernt. „Da gehörte man dazu, wenn man Drogen nahm und es einem psychisch schlecht ging.“
Nachdem aber mehr und mehr Menschen in ihrem Umfeld starben, beschloss Clara, etwas zu ändern. Sie machte einen Entzug, allein und zu Hause. „Man geht durch die Hölle. Ich hab drei Tage lang nur gespieben, geschwitzt und geschlafen.“
Eine Abhängigkeit von Benzodiazepinen sei langwierig und schwierig in der Behandlung, heißt es von der Wiener Sucht- und Drogenkoordination. Es gebe dann zwei Möglichkeiten. „Eine stationär durchgeführte Entzugstherapie dauert abhängig von der Dosierung mehrere Wochen. Ein ambulanter Entzug kann sich über Monate hinweg erstrecken und gelingt nur, wenn die Dosis ärztlich begleitet langsam, schrittweise und über Monate hinweg reduziert wird“, erklärt Regina Walter-Philipp, Ärztliche Leiterin der Suchthilfe Wien.
Clara schaffte es nach dem vierten Versuch, wieder clean zu werden. Um nicht wieder rückfällig zu werden, meidet sie seither bestimmte Gegenden im Stadtpark und am Karlsplatz. Und das Flex.
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