Abhängigkeit auf Rezept: Wie Benzos zur Trenddroge wurden
Sie helfen bei Angststörungen, Schlafproblemen und Depressionen – und sie machen schnell abhängig. Ob auch die 14-Jährige, die tot in einer Wohnung in Wien aufgefunden wurde, Benzodiazepine in ihrem Blut hatte, soll ein toxikologisches Gutachten klären. Fest steht, dass immer mehr junge Menschen zu den Beruhigungsmitteln greifen.
Gabriele Fischer, Leiterin der Suchttherapie der MedUni Wien, plädiert darauf, sogenannte Benzos differenziert zu betrachten. „Bei akuten Problemen wie einer Panikattacke sind Benzos großartige Medikamente. Aber jede Dauerverschreibung ist bedenklich.“ Nehmen junge Menschen Benzos ein, wirke sich das – speziell bei Konsum in höherer Dosis – auch auf deren Gewaltpotenzial aus. „Es kommt dann eher zu Übergriffen, auch im sexuellen Bereich. Die Grenzen verschwimmen, das Nähe-Distanz-Verhältnis wird reduziert.
Wenn eine Frau bei einer Vergewaltigung „Nein“ sagt, dann nehmen die Täter das nicht mehr als „Nein“ war“, sagt Fischer. Die Fremd- und Selbstgefährdung nehme auch im Straßenverkehr durch den Konsum von Benzos zu. „Unfälle häufen sich, da die Konzentration nachlässt.“
Appell an Hausärzte
Ein Kontrollsystem bei der Verschreibung von Beruhigungsmitteln gibt es nicht wirklich. „In Österreich sind das die Krankenkassen. Diese Medikamente sind häufig günstiger als die Rezeptgebühr, damit fällt es auch den Sozialversicherungen nicht auf“, meint Suchttherapeutin Fischer.
Einen Appell richtet die Leiterin der Suchteinrichtung an alle Hausärzte, die Benzos verschreiben: „Hausärzte sind die wesentliche Säule im Gesundheitssystem. Viele Betroffene suchen einfach unterschiedliche Ärzte auf und betreiben ,Doctor-Shopping’, um die Medikamente verschrieben zu bekommen.“
Ärzte sollten speziell achtsam sein, wenn Benzos auf Privatrezept verlangt werden, und auch keine hoch dosierten Benzodiazepine auf Suchtmittelrezepten verschreiben.“
Kein Monitoring
Ein Problem bei der Diskussion um Psychopharmaka sind fehlende Daten. „Es gibt kein Monitoring. Zwar würde es die Verkaufszahlen als Anhaltspunkt geben, aber die sind nicht frei zugänglich. Die Unternehmen argumentieren mit Geschäftsinteressen oder Datenschutz, weswegen sie die Marktzahlen nicht herausgeben“, erklärt Martin Busch, Leiter des Kompetenzzentrums Sucht der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG).
Laut Gesundheitsministeriums sollen 140.000 Österreicher von Benzos abhängig sein. Laut Busch eine Zahl, die wegen des fehlenden Monitorings mit Vorsicht zu genießen sei. „Wenn wir von Drogen- oder Medikamentenmissbrauch sprechen, werden oftmals Dinge vermischt. Genau von dem Mischkonsum geht zudem die größte Gefahr aus. Bei 90 Prozent der tödlichen Überdosierungen sind Opioide dabei, aber immer in Kombination mit anderen Drogen, wie Benzos oder Alkohol.“
Eine Abhängigkeit von Benzodiazepinen ist langwierig und schwierig in der Behandlung, heißt es von der Wiener Sucht- und Drogenkoordination. Es gibt dann zwei Möglichkeiten: „Eine stationär durchgeführte Entzugstherapie dauert abhängig von der Dosierung mehrere Wochen. Ein ambulanter Entzug kann sich über Monate hinweg erstrecken und gelingt nur, wenn die Dosis ärztlich begleitet langsam, schrittweise und über Monate hinweg reduziert wird. Und gleichzeitig müssen Patient*innen alternative Copingstrategien erlernen, zur Bewältigung von Stress, Angst und anderen belastenden Situationen“, erklärt Regina Walter-Philipp, Ärztliche Leiterin der Suchthilfe Wien.
„Eine Suchterkrankung ist noch immer extrem stigmatisiert. Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft Abhängigkeit als Erkrankung verstehen und Betroffenen ermöglichen, sich Hilfe zu holen – ohne soziale Ächtung zu befürchten“, betont Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien.
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