Ist es möglich, in Österreich alles nur mit Bargeld oder Karte zu bezahlen?
So unterschiedlich die Positionen in puncto Arbeit, Bildung oder Migration – so einig sind sich Österreichs Parteien, wenn es um die Zahlungsmöglichkeiten geht.
Die FPÖ initiiert 2023 ein Bargeld-Petition*, plädiert wie ÖVP und SPÖ auf ein Grundrecht auf Bargeld, selbiges gelte es gar in der Verfassung zu verankern – und das, obwohl der Euro als Zahlungsmittel ohnedies gesetzlich festgeschrieben ist.
Es gibt Gründe, warum die Parteien die Möglichkeiten des Bezahlens zum Thema machen. Abseits des Emotionalen wie der Gewohnheit ist es gegenwärtig insbesondere auch die Einführung des digitalen Euros, dem viele mit Skepsis begegnen.
Der Euro, als Bargeld vor 22 Jahren eingeführt, gilt als einer der größten Erfolge in der Geschichte des europäischen Einigungsprozesses.
In Zukunft soll ein digitaler Euro die Gemeinschaftswährung im virtuellen Raum beim Onlineshoppen ergänzen. Der digitale Euro soll in einigen Jahren – als zweites gesetzliches Zahlungsmittel – das sichere Bezahlen im Internet ohne den Umweg über die US-Kreditkartenfirmen Visa und Mastercard ermöglichen. Die Einführung des digitalen Euro wird derzeit für das Jahr 2028 erwartet. Die EZB in Frankfurt leitet das Projekt.
Die Befürchtung, der digitale Euro könnte das gute alte Bargeld gleich mit ablösen, wird von der EZB und der Oesterreichischen Nationalbank klar in Abrede gestellt. Zwar hat das Bezahlen mit Plastikgeld vor allem in der Corona-Pandemie stark zugenommen. Doch die Österreicher halten dem Bargeld eisern die Treue. Zwei Drittel der Menschen greifen beim Einkauf noch immer regelmäßig zum Bargeld.
Wozu braucht es dann wirklich den digitalen Euro? Tatsächlich werfen Skeptiker diese Frage regelmäßig auf. Ein wichtiges Argument lautet: Der digitale Euro soll auf EU-Servern laufen und daher Privatheit garantieren. Heute haben Visa und Mastercard bei jedem Bezahlvorgang Zugriff auf die Kundendaten. Ein weiterer Vorteil: Der digitale Euro wird auch offline verfügbar sein. Zahlen immer und überall, egal ob im In- oder Ausland, egal ob mit analogem oder digitalem Euro, wird somit möglich.
Wie sehr die Bevölkerung an Münzen und Scheinen festhält, das lässt sich an bemerkenswerten Zahlen messen. Während in der Eurozone durchschnittlich 59 Prozent in bar zahlen und 34 Prozent mit Karte, liegt der Wert der Bargeld-Transaktionen in Österreich bei 70 Prozent.
Lieber bar zahlen die Menschen nur in Slowenien (73 Prozent) und auf Malta (77 Prozent).
Nachbarn sind auch Bargeld-affin
Gemäß einer Studie der Europäischen Zentralbank (EZB) aus dem Jahr 2022 ist es 43 Prozent der österreichischen Bevölkerung „sehr wichtig“ und 23 Prozent „relativ wichtig“, mit Bargeld bezahlen zu können – für 17 Prozent ist es „überhaupt nicht wichtig“. Im Nachbarland Deutschland ist die Bargeld-Affinität nicht minder groß: Für 39 Prozent der Deutschen ist es „sehr wichtig“, für 30 Prozent „relativ wichtig“, mit Münzen und Scheinen zahlen zu können.
Ganz anders sind die Zahlungsvorlieben, wenn man den Durchschnitt der 19 Staaten der Eurozone betrachtet: In Relation „nur“ 27 Prozent geben an, dass ihnen die Bezahlmöglichkeit mit Bargeld „sehr wichtig“ ist – 12 Prozent ist es „überhaupt nicht wichtig“. Doch spiegeln sich diese Vorlieben auch im Alltag wider? Der KURIER hat die Probe aufs Exempel gemacht – Daniel Voglhuber und Birgit Seiser haben den Selbstversuch unternommen, jeweils eine Woche nur mit Karte und nur mit Bargeld den Alltag zu bestreiten.
Nur mit Karte: Wie König Midas
Daniel Voglhuber erlebte Erdbeerfrust statt Erdbeerlust.
Eine Woche ohne Bargeld auskommen: Das klingt nicht unbedingt nach einem Selbstversuch von der wilden Sorte.
Andere tauchen für ihre Berichte mit Weißen Haien, trinken halluzinogene Gebräue im Dschungel oder setzen sich zumindest mit Flugangst ins Flugzeug. Was soll da so schwierig sein? Das meiste wird ohnehin mit Karte berappt. Wer braucht schon Bares? Was für ein läppisches Experiment! Könnte man meinen.
Doch dieser läppische Selbstversuch ist dann recht schnell vorbei. Nicht nach einer Woche, sondern nach vier Tagen.
Ein beruflicher Termin im Bräunerhof. Die Wiener Kaffeehausinstitution warnt schon mit Türschild, dass nur Bares Wahres ist. Doch die Gesprächspartnerin auf die Schnelle in ein anderes Lokal umleiten? Unhöflich. Sie die Rechnung bezahlen lassen? Noch viel unhöflicher. So gut ist die gerade erst gemachte Bekanntschaft noch nicht. Also: Geldscheine auf den Tisch, Niederlage eingestehen.
Essen und Trinken zu kaufen ist ohnehin eine Herausforderung. Erdbeeren aus dem Burgenland beim Verkehrsknotenpunkt, zum Beispiel. Die Verkäuferin akzeptiert kein virtuelles Geld. Und das ist dramatisch: Die Saison ist kurz, die Leidenschaft für die sonnengereiften Früchte ist enorm.
Es ist wie beim gierigen König Midas. Der ist zwar wahnsinnig reich, weil er alles, was er angreift, in Gold verwandelt. Hilft ihm aber alles nichts. Das Essen bleibt ihm so verwehrt. Nicht nur die griechische Mythologie ist grausam.
Keine Kartenzahlung im Bobo-Lokal
Doch Trost naht – in Form einer riesigen Suppenschüssel in einem Asia-Restaurant im Bobo-Bezirk. „Wir akzeptieren nur Barzahlung“, baut der Kellner gleich in seine Begrüßung ein. In dem Fall nicht so dramatisch: Die weibliche Begleitung wird die Rechnung übernehmen, die Bekanntschaft ist schon seit Jahren inniger Natur.
Wenigstens auf den Friseur ist Verlass. Der nimmt Karte. Aber beim Trinkgeld – ups – wird geschummelt. Das gibt es in bar. Die Sparbüchsen der Belegschaft sind einfach zu schön und sichtbar aufgereiht.
Nur mit Bargeld: Volksfest für Sparer
Birgit Seiser meistere unerwartete Hürden und gewann gute Erkenntnisse.
Eine Woche ohne Bankomatkarte einkaufen – vor 20 Jahren, war das Usus. Heute ist es schwierig, wie sich nach und nach zeigt. Um gut gewappnet in die Woche zu starten, wird der Bankomat um 400 Euro erleichtert. Das ist das Wochenlimit, das ich in bar pro Woche abheben kann – zum Selbstschutz.
Dass im Nachbarort gerade ein Volksfest stattfindet, spielt mir bei diesem Versuch in die Karten. Dort ist es unmöglich, digital abzurechnen. Der erste 100-Euro-Schein ist schon am 2. Festtag weg. Ein Ringelspiel-Ticket kostet 4 Euro und konsumiert man mehrere Paar Grillwürsterl und das ein oder andere Achterl Wein, kann man sich ausrechnen, wie viele Runden mein Sohn gedreht hat. 300 Euro sollten für die Woche aber reichen.
Die erste Hürde zeigt sich am Montag, als ein guter Bekannter eine ungelenke Bewegung auf meiner Hängematte vollzieht und der Stoff einen irreparablen Riss erleidet. Schnell ist das Handy zur Hand und die App des weltgrößten Versandhandels geöffnet. Eine neue Hängematte muss her. In diesem Moment wäre das Experiment fast gescheitert, hätte mein Lebensgefährte mich nicht darauf aufmerksam gemacht, dass Bestellungen ja nicht bar bezahlt werden können. Der Versuch, ein geeignetes Modell in einer Filiale in der Umgebung zu finden, bringt keine Ergebnisse. Die Hängematten im Handel sind weitaus teurer und Bargeld ist knapp.
Schon der Wocheneinkauf minimiert das Budget drastisch auf 100 Euro. Zum Glück ist aber schon eine neue Woche angebrochen und ich kann wieder 400 Euro abheben.
Schon wieder? Das ist der Clou des Selbstversuchs: Zahlt man bar, wird einem schnell bewusst, wie viel Geld man ausgibt. Die Scheine zerrinnen einem förmlich in den Händen. Andererseits ist der Blick auf das Bankkonto befriedigend. Keine unerwarteten Abbuchungen für einen Kaffee hier, ein Weckerl da.
Wer auf sein Geld achten möchte, sollte auf Bargeld setzen. Hängematte habe ich übrigens immer noch keine.
*In einer früheren Version hieß es fälschlicherweise, die FPÖ hätte ein Volksbegehren inititiiert. Die FPÖ hat die Petition "Festung Bargeld" initiiert. Initiator des Volksbegehrens für "uneingeschränkte Bargeldzahlung" ist Josef Binder.
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