Notenbank-Experte: "Wer Bargeld will, muss Bargeld nutzen"
Der Hauptabteilungsdirektor in der OeNB, Matthias Schroth, ist zuständig für Produktion, Verteilung und strategische Weiterentwicklung von Bargeld in Österreich.
Im KURIER-Interview zeigt sich der Experte zuversichtlich, dass Bargeld eine Zukunft hat. Er sagt: "Wer Bargeld will, muss Bargeld nutzen. Dann haben wir es ewig."
KURIER: Sie gelten als „Mister Bargeld“ in der Nationalbank. Haben Sie für heute genügend eingesteckt oder sind Sie in Wahrheit auch schon ein vorwiegend mit Karte Zahlender?
Matthias Schroth: Ich habe heute circa 160 Euro einstecken. Und wenn es dann in Richtung 100 geht, dann schau ich, dass ich wieder Bargeld beheben kann. Ich bin also Bargeldzahler und seit einigen Jahren in der OeNB auch dafür zuständig und zahle seither noch mehr bar, wahrscheinlich 95 Prozent meiner Transaktionen. Das ist aber auch Teil meiner Profession, im Sinne meiner Identifikation mit Bargeld.
Zuletzt hat eine Umfrage suggeriert, dass entgegen dem Trend seit Corona zu mehr Kartenzahlungen wieder mehr Bargeld verwendet wird. Ist das realistisch?
Dass mehr bar bezahlt wird, sehen wir nicht. Was wir aber schon von Supermärkten hören, die das auf Knopfdruck wissen, ist, dass seit einiger Zeit der Bargeld-Anteil relativ stabil ist. Er liegt wertmäßig bei circa 45 Prozent und von den Transaktionen her bei rund 63 Prozent. Das zeigen grosso modo auch unsere eigenen Erhebungen.
Also eine Stabilisierung auf recht hohem Niveau?
Ja, und durchaus im Gegensatz zu anderen Ländern. In der Schweiz hat sich in den letzten Jahren der Bargeldanteil von 70 auf 36 Prozent reduziert. Davon sind wir Lichtjahre entfernt. Solch einen Einbruch sehen wir nicht, vielleicht ist es in Österreich eher eine Seitwärtsbewegung mit einem kleinen Trend nach unten, der etwa dadurch erklärbar ist, dass in der Bezahlgesellschaft der Anteil älterer Konsumenten im Vergleich zu jüngeren, digital-affineren Bevölkerungsgruppen sukzessive sinkt.
Weil Sie die Schweiz erwähnen: Auch in etlichen EU-Staaten wie in Schweden oder in den Niederlanden ist der Bargeld-Anteil schon wesentlich geringer – bei um die 20 Prozent. Woran liegt das?
In Schweden haben alle möglichen Player, durchaus auch die staatlichen, längere Zeit darauf geschaut, den Zahlungsverkehr in den digitalen Bereich zu verlegen. Damit wurden die Bankomaten weniger, die Händler nahmen Bargeld immer seltener an, die digitalen Lösungen waren auch sehr gut ausgearbeitet und die Schweden selbst sind auch nicht so auf Privatheit ausgerichtet wie die Deutschen und die Österreicher.
Verschwindet dort Bargeld demnächst ganz?
Nein, Schweden hat jetzt als erstes Land ein Bargeld-Sicherungsgesetz gemacht. Auch die Niederländer haben jetzt ein Gesetz in Begutachtung, um 4.000 Bankomaten im Land aufzustellen, und damit die Versorgung weiterhin zu garantieren. Und Belgien ist gerade dabei, eine Bargeld-Annahmepflicht einzuführen. Da tut sich also viel.
Im Vorjahr wollte Kanzler Nehammer das Bargeld sogar in die Verfassung schreiben. Ist das notwendig?
Wir haben heuer zwei große Wahlkämpfe, auf europäischer und nationaler Ebene. Es würde mich sehr wundern, wenn das Thema nicht noch einmal hochkocht. Wir, als Notenbank, haben immer gesagt, wir müssen die Annahmepflicht regeln. Und eben die Bargeldversorgung sicherstellen, die, wie man in anderen Ländern gesehen hat, sehr schnell sehr viel schlechter werden kann. Die Banken haben ja mit ihren eigenen Karten ein durchaus lukratives Zahlungssystem. Dass Banken das eigene Bezahlsystem lieber ist, als sich von der Notenbank Bargeld auszuborgen, für das sie Zinsen zahlen müssen, ist eigentlich nachvollziehbar. Trotzdem: Derzeit ist in Österreich die Bargeldversorgung noch sehr gut, aber wir müssen bereits jetzt an die Zukunft denken.
Braucht es dafür eine gesetzliche Regelung?
Wir glauben, dass wir in der Bargeldversorgung mit den Banken auf Basis freiwilliger Selbstverpflichtungen gut auskommen. Damit wären wir zufrieden. Auch zur Annahmepflicht gibt es Gespräche. Zu beiden Themen ist auch eine EU-Verordnung in Vorbereitung. Das dürfen wir nur nicht verpassen. Sonst können wir national regeln, was wir wollen, wenn auf EU-Ebene eine andere Regel kommt, die vielleicht nicht so gut ist, wie wir sie gerne hätten. Wenn man zu diesen Punkten Lösungen findet, ist Bargeld in der Verfassung eigentlich nicht mehr nötig. Wenn das zusätzlich kommt, soll es uns recht sein – das ist aber nicht der Fokus der Nationalbank.
Wie soll die Bargeld-Annahmepflicht aussehen?
Wir hätten gerne eine möglichst strenge Bargeld-Annahmepflicht, damit den Menschen die Wahlfreiheit bleibt. Natürlich muss es Ausnahmen geben, etwa wenn Sie auf der Straße einen E-Scooter nehmen. Das geht klarerweise nicht mit Barzahlung. Aber in Holland ist es schon so weit, dass 22 Prozent der Kinos, 16 Prozent der Parkhäuser oder 12 Prozent der Apotheken kein Bargeld mehr annehmen. Das wurde auch dort sehr kritisch gesehen und das wollen wir für Österreich nicht. Und was wir auch absolut ablehnen, sind diese Geschäfte mit den No-Cash-Schildern. Das ist ein großer Streitpunkt bei der EU-Verordnung, weil man sich da noch sehr uneins ist, wie vorzugehen ist. Einige Länder müssten dann wohl wieder groß in die Bargeld-Infrastruktur investieren, wenn dort der Anteil schon bei 20 Prozent oder darunter liegt, Beispiel Finnland.
Auch die Bargeld-Bezahlobergrenze von 10.000 Euro ab 2026 hat zuletzt für viel Diskussionsstoff gesorgt …
Dass damit Bargeld abgeschafft würde, stimmt sicher nicht. Die viel größere Gefahr ist, dass das Bargeld verdrängt wird. Das sieht man eben in den zitierten Ländern. Das liegt natürlich an uns selbst, aber auch an den US-Giganten, die viel Geld in die Werbung fürs Kartenzahlen stecken. Während hinter dem Bargeld eine vergleichsweise sehr kleine Lobby steht. Die Bevölkerung und die Notenbank. David gegen Goliath ist im Vergleich ein ausgeglichenes Match.
Teilen Sie den Eindruck, dass viele Menschen, die sich so vor dem gläsernen Bürger und dem Überwachungsstaat fürchten, im Internet oder an der Supermarktkassa tagtäglich gratis und freudig all ihre Daten hergeben?
Diese Ambivalenz gibt es sicher. Letztlich wollen und müssen wir auch nur diese Wahlfreiheit erhalten. Ich will ja auch prinzipiell demonstrieren dürfen, wenn ich vielleicht auch tatsächlich nie an einer Demonstration teilnehme. Oder, der berühmte Satz, den man leider viel zu selten hört: Ich bin total gegen deine Meinung, aber ich würde alles dafür geben, dass du sie sagen darfst.
Wir werden also Bargeld haben, solange Menschen auch bar bezahlen?
Ja, wer Bargeld will, muss Bargeld nutzen. Dann haben wir es ewig.
Der digitale Euro, der Bargeld nur ergänzen soll, wird es wirklich nicht ablösen, wie Skeptiker befürchten?
Nein, dafür gibt es keinerlei Anzeichen. Heute ist das Digitale cool, das Analoge ist vielleicht gerade nicht so cool. Aber Bargeld in seiner wunderschönen analogen Form hat eine ganz besondere Bedeutung und wird es bei einem nicht zu vernachlässigenden Teil der Bevölkerung immer haben.
Kommentare