Autobahnraststätten: 20 Minuten Club-Urlaub am Straßenrand
Die ersten Reisenden, die in der Morgendämmerung ihre Pkw von der A1 auf den Parkplatz lenken, sind zu früh dran. Noch sind die Türen der Raststation in Mondsee geschlossen. Da bleibt Zeit, um ein Selfie vor dem Bergpanorama aufzunehmen. Und es bleibt Zeit, einen Blick auf das Image-Video zu werfen, das über einen Bildschirm aus dem Inneren der Gaststätte durch die Glasfront flimmert.
Das Video dauert nur wenige Minuten und läuft in Dauerschleife. In dem Filmchen wird – man kann es durch die geschlossene Tür noch nicht hören, aber sehen – gesungen und getanzt. Inmitten des Ambientes der Raststätte schnappen sich Köche ihre Schöpflöffel, um im Rhythmus auf Töpfe zu schlagen. Einer ruft „Alles Walzer“, schnappt eine Kollegin und setzt zum Tanz an. Ein Kellner steppt, Besucher klatschen. (Irgendwann wird klar, dass es sich um Schauspieler handelt, die sich als Mitarbeiter ausgeben. Zumindest hofft man das.)
Dazwischen zeigt das Video Punschkrapferl, jemand sautiert Gemüse und garniert kanadische Waffeln. (Was das Kanadische an ihnen ist, ist unklar. Sie wirken wie belgische Waffeln mit Migrationshintergrund.) Immer wieder taucht ein Mann in Anzug und Krawatte taucht auf, spricht und wirkt sehr wichtig.
Bald schon soll aber klar werden: Der Film liefert eine ziemlich konzise Zusammenfassung dessen, was hinter den Türen auf uns wartet.
Um 7 Uhr geht es los. Sobald man eintritt, verstummt der Lärm der nahen Autobahn. Übertönt von Fahrstuhlmusik, die in den 15 Stunden, die die Raststation geöffnet ist, keine Pause machen wird. Getanzt wird hier nicht, sonst ist aber alles ziemlich genau so, wie es das Video androht. Den Reisenden tut sich eine fröhliche Welt auf, die ihren eigenen Regeln folgt. Alles ist durchgestylt und läuft wie ein Uhrwerk – vom Inventar über die akkurat platzierten Streuselkuchen bis zum Lächeln der Kellner. Ein Gesamtkunstwerk. Was diese Welt uns vermitteln will? Dein Urlaub beginnt nicht am Zielort deiner Reise. Er beginnt hier. Club-Urlaub am Straßenrand.
Mondsee ist die heimische Vorzeige-Raststation. Sie liegt an der Grenze zwischen Oberösterreich und Salzburg an der A1, der wichtigsten Ost-West-Verbindung des Landes. In der Urlaubszeit ist sie erste Anlaufstelle für viele Reisende.
Die Institution Raststätte an sich ist Teil des kollektiven Gedächtnisses der Österreicher. Sie oszilliert zwischen Nostalgie und Tradition auf der einen Seite – und Innovation auf der anderen. Der Erfolg eines Standorts hängt davon ab, ob ihm eines gelingt: den notwendigen Halt – man muss ja Tanken und aufs WC – zur freiwilligen Rast werden zu lassen.
In Mondsee gelingt das. Die besten Tische auf der Seeterrasse sind um kurz nach 7 Uhr besetzt. Ältere Pärchen blättern durch die Frühstückskarte, die Familien mit Kindern kommen erst am Vormittag und zum Mittagessen. Ein Mann am Nebentisch hat sich für das „Morgenstund-Frühstück“ entschieden. Weiches Ei, Schnittlauchbrot, Karottensaft. „Ist da der Kaffee dabei?“, fragt er. Ja. Immerhin wird er 14,90 Euro bezahlen. Dennoch ist es damit eines der billigeren Angebote auf der Karte. „Dafür ist die Aussicht schön“, murmelt seine Frau.
Das Bergpanorama wirkt verkaufsfördernd, nicht nur in diesem Fall. Eine Damenrunde diskutiert im Schatten angeregt, ob ein Eiscafé tatsächlich 9,10 Euro kosten darf. „Ich lad’ dich ein. Wir sind auf Urlaub“, sagt eine. „Lieber nicht. Sonst trau ich mich nicht zu bestellen, was ich will“, antwortet die andere – und deutet mit dem Finger auf die Karte. Am Ende wird es der Eiscafé.
Die hohen Preise kann man sich dank Monopolstellung direkt an der Autobahn erlauben. Und: „Wenn man im Urlaub ist, leistet man sich gerne mal was“, heißt es aus der Konzernzentrale. Lange hat man ohnehin nicht Zeit, sich zu ärgern. Der durchschnittliche Gast verweilt 20 Minuten, besagen interne Daten. Dann ist Schichtwechsel und alles beginnt – wie im Video – von vorne. Länger bleiben jene, die ein Mittagessen bestellen, und zwar bis zu 45 Minuten. Für das Kalbshuftsteak „Leon“ blättern sie 31,25 Euro auf den Tisch. Dafür darf man eigenartigerweise den Teller (mit Blumenmuster) behalten.
Ein Anflug von Nostalgie. Die Häferl, die man einst an „Oldtimer“-Rasthäuser erhielt, gelten als Sammlerobjekt. Der Souvenir-Verkauf gehört immer noch zum Geschäftsmodell. Wer das Rasthaus verlassen will, muss an allerlei Kitsch und einem Süßigkeitenregal vorbei.
Die Raststation in Mondsee ist die meistfrequentierte Österreichs; gefolgt vom Voralpenkreuz und Steinhäusl. Betrieben werden sie alle vom Unternehmen Landzeit. Wolfgang Rosenberger – der Mann aus dem Video – hat es 2004 gegründet und die Marke rund um sich aufgebaut. Es gibt kein Plakat, keine Karte, aus der er nicht entgegenlacht. Mal hält er einen Krautkopf, mal eine Schüssel Daikonkresse. Daneben flotte Sprüche. „Hoch lebe die Frische.“
Rosenberger gehört zur namhaftesten Raststätten-Dynastie des Landes. Sie erschuf unter Heinz J. Rosenberger in den 1970ern die namensgleiche Raststätten-Kette. Als der Patron starb, zerstritt sich die Familie und teilte das Imperium auf. In „Rosenberger“ und „Landzeit“. Das Stammunternehmen schlitterte in die Insolvenz, wurde von einem Burger-King-Betreiber gekauft und umbenannt. In „Rosehill“, eine englische Verballhornung des ursprünglichen Namens.
Heute betreiben Landzeit und Rosehill beide je 16 Stationen. Dahinter folgen Autogrill, McDonalds und regionale Anbieter. Marktführer sei aber klar Landzeit, sagt Rosenberger im KURIER-Gespräch. Marktanteil: 50 Prozent. Jeder zweite Reisende kehre also in einer seiner Filialen ein.
Landzeit hat den Sprung ins Heute geschafft, setzt auf gesunde Ernährung. „Unser wichtigster Auftrag“, sagt Rosenberger. Am liebsten verkaufe er frisch gepresste Säfte, Fisch und in der Saison auch Eierschwammerl. „Man kriegt schon ein Schnitzerl. Aber es steht nicht ganz oben auf der Karte.“ Die Qualität rechtfertige die Preise. Und: Ein Drittel der Gerichte koste weniger als 10 Euro. „Wir haben für jedes Börsel was.“
Während es in Mondsee mittlerweile Mittag ist und sich die Reisenden am riesigen Salatbuffet (der große Teller kostet 17,90 Euro) und einer gediegenen Auswahl an Essigen („Rotwein-Essig Zweigelt Spätlese“ oder „Herber Quittenessig?“) bedienen, brutzeln in Raststätten anderer Betreiber noch die Berner Würstel.
Rosenberger – der sich gerne mal als „Mr. Landzeit“ bezeichnet – will kulinarisch „ein Bild von Österreich vermitteln“. Viele ausländische Kunden sind nur auf der Durchreise. Alles, was sie vom Land sehen, ist die Raststätte. „Und da soll ja nicht Burger King in Erinnerung bleiben, oder?“ Ein wohl platzierter Seitenhieb. „Bei allem, was wir tun, schwingt Österreich mit. Aber zeitgemäß. Nicht altmodisch mit Schuhplatteln.“ (Ob das die Menschen in seinem Video wissen?)
„Wir wollen Reisenden ein Bild von Österreich vermitteln. Und da soll ja nicht Burger King in Erinnerung bleiben.“
Die Idee, die Raststätten nach touristischen Gesichtspunkten auszurichten, sei nicht neu, heißt es seitens des staatlichen Autobahnbetreibers Asfinag, der bei allen 87 Raststationen in Österreich als Verpächter fungiert. In den 1960ern wurden, damals noch vom Wirtschaftsministerium, die ersten Verträge geschlossen. Meist mit Mineralölfirmen, die ihre Tankstellen um einen Buffetbetrieb erweiterten wollten. Ausgewählt wurden die Standorte nicht nur nach den Anforderungen der Motorentechnologie. (Sprich: Um sicherzustellen, dass Reisenden rechtzeitig tanken können.) Gebaut wurde dort, wo die (touristische) Frequenz hoch und die Aussicht gut war.
Heute soll laut Asfinag alle 40 Kilometer eine Raststation zur Verfügung stehen, oft sind die Abstände geringer. (Zudem betreibt sie selbst 55 Rastplätze mit WC, Dusche und Kaffeeautomat.) In Verträgen ist geregelt, wie viele Parkplätze es braucht, auch Vorschriften für Gastronomie und WC-Anlagen gibt es. Für die Bedürfnisse von Lkw-Fahrern, die Ruhezeiten einzuhalten haben, muss vorgesorgt sein. Die Abgaben, die der Betreiber an die Asfinag zu entrichten hat, richten sich meist nach dem Umsatz.
Die Vergabe frei werdender Stationen wird öffentlich ausgeschrieben, dann schließt man befristete Baurechtsverträge. Nur einige alte Verträge aus den 60er-Jahren gelten bis heute. „Das erschwert die Innovation“, sagt man bei der Asfinag. Derzeit gehe der Trend weg von der klassischen Gastronomie – hin zu „kürzeren Pausen mit leichten Speisen und kundenfreundlichen Preisen“. Auch das könnte ein Seitenhieb sein.
Im Krisenmodus
Die Corona-Krise wurde für alle Betreiber zum Problem. Die kultige „Oldtimer“-Kette etwa drohte 2020, drei Raststätten zu schließen, weil sich die Asfinag weigerte, die Betriebspflicht auszusetzen. Mitarbeiter wurden zur Kündigung angemeldet. Heute läuft das Geschäft wieder – wenn auch mit verkürzten Öffnungszeiten.
Landzeit hatte im ersten Quartal 2022 Umsatzrückgänge von 70 Prozent gegenüber 2019 zu beklagen, rechnet Rosenberger vor. Im Juli konnte man die Differenz auf minus 11 Prozent verringern. Und die Zukunft ist durchaus rosig. Die Frequenz an Pkw und Lkw auf den Autobahnen ist laut Asfinag in den vergangenen Jahren fast überall gestiegen (s. Grafik). Die Reisetrends spielen den Betreibern zusätzlich in die Hände. Der Pkw ist das beliebteste Verkehrsmittel der heimischen Urlauber. „Auch die Busse sind zurück“, freut sich Rosenberger. „Sie ersetzen oft Zug oder Flieger.“
Die Szenerie im abendlichen Mondsee stützt die These. Die Terrasse ist wieder voll, Schnitzel werden im Akkord verteilt. Immer noch läuft alles professionell, immer noch ist alles sauber, alle sind freundlich. Weil aber irgendwann sogar die gute Laune eine Pause braucht, schließt die Raststätte um 22 Uhr die Pforten. Wer noch nicht genug hat, der kann im angeschlossenen Hotel nächtigen. Mittlerweile ist es dunkel, die letzten Reisenden sind abgefahren. Nur der Bildschirm, der leuchtet immer noch durch die Fensterfront in die Nacht. Die Kellner im Video singen und tanzen durch – bis morgen in der Früh.
Kommentare