Sie ist kein Einzelfall. Zwei von drei Personen, die bei der Caritas Hilfe suchen, sind weiblich und von Armut betroffen, so Doris Anzengruber, Leiterin der Caritas-Sozialberatung.
Ein Drittel weibliche Hauptverdienerinnen
Seit Ende 2021 zählen laut einer Umfrage der Statistik Austria 31 Prozent der österreichischen Haushalte weibliche Hauptverdienerinnen, elf Prozent sind Alleinerzieherinnen. Diese Haushalte sind doppelt so häufig von materieller und sozialer Benachteiligung betroffen wie Haushalte mit männlichen Hauptverdienern.
Care-Arbeit übernommen
Ähnlich ist die Situation auch bei Sandra. Ihre Mutter hatte im Krankenhaus gearbeitet, nebenbei die Care-Arbeit erledigt. Nachdem sich ihre Eltern scheiden ließen, übernahm Sandra diese Rolle. Ihre Brüder halfen weniger mit als sie, durften Fußball spielen oder sich mit Freunden treffen.
Ihr Vater arbeitet nicht. „Mein Vater hat Probleme mit dem Nervensystem und kann deshalb nicht arbeiten“, sagt die Jugendliche. Mit 15 Jahren begann Sandra eine Lehre. „Ich wollte gerne weiter in die Schule gehen, aber gleichzeitig auch mein eigenes Geld verdienen, um besser leben zu können.“ Bevor sie die Lehre begann, kam sie über das AMS zur Beratungsstelle „Sprungbrett“, die speziell Mädchen und junge Frauen unterstützt.
Zunahme an Klientinnen
Auch hier bemerkt man eine Zunahme der Klientinnen. „Im ersten Halbjahr 2024 suchten 21 Prozent der Frauen im Sprungbrett wegen finanzieller Sorgen Hilfe, im Vorjahr waren es noch elf Prozent“, heißt es von der Beratungsstelle. „Viele Mädchen brechen etwa ihre Ausbildung ab, um zu Hause unbezahlt Sorgearbeit zu leisten oder in schlecht bezahlte Jobs zu gehen“, erklärt Luise Wickrath, Projektleiterin bei „Sprungbrett basis“.
Auch Sandra musste meist beim Kochen helfen, als sie bei ihrem Vater und den Brüdern lebte. Ihr Fall zeigt exemplarisch noch einen Aspekt auf: Mädchenarmut ist weniger sichtbar als die Armut junger Männer. Das belegt auch eine aktuelle Studie der FH Joanneum.
Die Gründe liegen vor allem in Geschlechternormen: Eine junge Frau, die ihre Ausbildung abbricht, um ihre Familie zu Hause zu unterstützen, Hausarbeit übernimmt, auf die Geschwister aufpasst oder die Großeltern pflegt, fällt weniger auf als ein junger Mann, der dasselbe tut, so das Fazit der Analyse.
Couch-Surfing als Ausweg
Zudem werde Wohnungslosigkeit als Folge von Armut bei Frauen nicht immer gleich als solche erkannt, ergänzt Wickrath. „Eine Klientin von mir hat nach einem Bruch mit ihrer Familie monatelang Couch-Surfing betrieben, ist alle zwei Wochen bei einer anderen Bekannten untergekommen. Junge Frauen nutzen oft zuerst ihre sozialen Netzwerke, bevor sie Notschlafstellen aufsuchen oder draußen übernachten“, erzählt die Expertin.
Betroffene brauchen vor allem Zeit und weniger Druck, um ihre berufliche Zukunft erfolgreich gestalten zu können, heißt es von der Beratungsstelle.
Erfolg in der Zukunft hat sich auch Sandra vorgenommen. „Ich will die Berufsmatura machen und studieren. Mich würde Kunst interessieren, aber damit kann man nicht so viel Geld verdienen. Und das ist mir bei meiner Jobwahl später wichtig“, erzählt die Jugendliche. Sie wolle es anders machen als ihre Eltern. Sie wolle nicht im Selbstmitleid versinken, sondern ihre Ziele Schritt für Schritt weiter verfolgen.
* Name von der Redaktion geändert
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