Favoriten: Armutsbekämpfung mit dem Lastenrad
Das weiße Lastenfahrrad steht mitten in der Kirche. In dem großen dunklen Saal mit den Holzbänken, dem bunten Gemälde mit Jesus am Kreuz und dem weißen Altar wirkt es deplatziert. Dabei gehört es genau hier her. Im Waldkloster am Gellertplatz in Favoriten befindet sich seit Anfang Dezember ein neuer Standort von Leo, der Lebensmittelausgabe der Wiener Caritas.
Zwei Mal in der Woche werden hier Lebensmittel an armutsbetroffene Menschen ausgegeben. Einmal davon werden sie – anders als an allen anderen Standorten – mit dem Lastenfahrrad abgeholt.
Wenn Mattias Haberbusch (33) seinen Helm aufsetzt und das elektrische Fahrrad mit der weißen Plane aus der Kirche schiebt, ist es noch nicht einmal wirklich hell. Schon seit vier Jahren hilft er bei Leo mit. „Ich bin immer mit dem Fahrrad zum Leo-Lager gefahren und wurde dann gefragt, ob ich nicht einmal eine Fahrt mit dem Lastenrad machen möchte.“ Seit Anfang Jänner fährt Haberbusch deshalb einmal alle zwei Wochen mit dem Lastenrad aus.
Sonne im Herzen
Das Wetter spielt dabei keine Rolle. Trotz Nieselregens und Wind tritt Haberbusch seine Fahrt an. „Die Sonne trage ich im Herzen“, sagt er scherzhaft, als er vor dem ersten Supermarkt vom Rad steigt. „Nein im Ernst. Natürlich denke ich mir manchmal: Scheißwetter. Aber ich kann es nicht ändern und so schlimm ist es nicht.“
Eine ganze Kiste voll mit Kaffeepackungen. Eineinhalb weitere mit Obst und Gemüse erwarten ihn im Lager des Supermarkts. Ungefähr 300 Kilogramm sammelt die Caritas jeden Mittwoch bei sechs Supermärkten und einer Bäckerei. Lebensmittel, die sonst im Müll landen würden.
Weiter geht es zur nächsten Station. Die Autos im Frühverkehr lassen das Lastenfahrrad passieren. Niemand hupt. Passanten gewähren dem Rad die Vorfahrt. „Alle sind freundlich, wenn man eine Leo-Weste trägt.“ Und dennoch habe das Ehrenamt keinen besonders guten Ruf. Vor allem Junge interessieren sich wenig dafür, sagt Haberbusch. „Dabei muss man sich in keinem Verein einschreiben. Es reicht, wenn man sich einmal im Monat engagiert.“
Endstation Müll
Und Freiwillige benötigt die Caritas immer. Derzeit besonders hier im Waldkloster. „Wir wollen künftig vier Mal in der Woche Lebensmittel ausgeben“, sagt Sebastian Kühle, Leiter von Leo im Waldkloster. Und das mit den neuen Freiwilligen könnte schon bald klappen: Barbara etwa hat den Aushang, mit dem Freiwillige gesucht werden, beim Toreingang gesehen und sich gemeldet. „Ich fahre auch privat immer mit dem Rad. Da habe ich mir gedacht: Das passt.“ Nach einer kurzen Einschulung könnte sie schon die nächste Lastenrad-Fahrerin sein. „Dafür braucht man nämlich keine Fahrerlizenz. Die Hürde ist dadurch kleiner“, sagt Sebastian Kühle. Das sei der Grund, warum sich vermehrt auch Frauen und junge Menschen angesprochen fühlen.
Zurück auf der Radroute: In den Supermärkten Nummer zwei und drei ist weniger übrig geblieben. Mattias Haberbusch kann zwei Himbeerpackungen, eine Kokosnuss und einige halb verwelkte Pflanze samt Topf mitnehmen. „Das ist jedes Mal wieder wie ein Überraschungsei. Man weiß nie, was man bekommt.“ Die Sushi-Packung und der Schinken müssen allerdings hierbleiben. Die Kühlkette wurde unterbrochen. Angesprochen habe die Caritas das Problem bei den Supermärkten schon öfter. Und dennoch passiere es immer wieder.
Waldkloster
Das in den 60er-Jahren erbaute Waldkloster in Favoriten wurde mittlerweile der weltlichen Nutzung zur Verfügung gestellt. In der dazugehörigen ehemaligen Pfarre St. Johann befindet sich seit Anfang Dezember der neue Standort der Caritas-Lebensmittelausgabe Leo. Nun soll dort ein Begegnungszentrum entstehen.
900 Tonnen Lebensmittel
hat die Caritas 2022 ausgegeben. Lebensmittel und Ehrenamtliche werden immer benötigt. Wer helfen möchte, kann sich hier informieren:
www.caritas-leo.at/spenden
Gute Lage
Apropos Supermärkte: Um die Ausgabestelle öfter öffnen zu können, brauche es nicht nur mehr Freiwillige, sondern auch mehr Lebensmittel. „Wir haben den Standort gewählt, weil es hier in der Nähe viele Supermärkte gibt“, sagt Kühle. Nun gelte es, die an Bord zu holen.
Zwischen zwei und drei Stunden braucht Mattias Haberbusch für die Supermarkt-Route. Wenn er gegen Mittag das Waldkloster verlässt und in die Arbeit fährt, haben weite Ehrenamtliche die Lebensmittel schon auf den Tischen der Ausgabestelle aufgereiht – in der Halle mit den Bänken, dem Gemälde und dem Altar.
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