Als sich Niederösterreich und Wien scheiden ließen

Als sich Niederösterreich und Wien scheiden ließen
Politische Turbulenzen führten vor 100 Jahren zur Trennung. Der Häupl-Pröll-Handschlag beendete die Rivalitäten.

Keine zwei Bundesländer sind so eng verbunden wie Wien und Niederösterreich. Nicht nur wegen der Geografie, weil die Bundeshauptstadt inmitten des blau-gelben Bundeslandes liegt.

Es sind wohl auch die gemeinsamen geschichtlichen Wurzeln, die das besondere Verhältnis ausmachen. Wobei diese vor 100 Jahren formal gekappt wurden, als am 10. November 1920 die politische Scheidung von Stadt und Land in der Bundesverfassung verankert worden ist.

Es waren in erster Linie politische Überlegungen gewesen, die zu der Trennung führten. Das entscheidende Datum dafür war der 4. Mai 1919 – der Tag der ersten wirklich demokratischen Wahlen zum Landtag von Niederösterreich.

Damals wurde mithilfe der Stimmen aus Wien Albert Sever von der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei zum Landeshauptmann gekürt. Es war bisher das einzige Mal, dass für wenige Jahre ein Sozialdemokrat an der Spitze von NÖ stand.

Das Ende der Vorherrschaft der Christlichsozialen Partei läutete schließlich den Scheidungsprozess ein, wobei auch die katholische Kirche eine wichtige Rolle spielte.

Für sie war Albert Sever ein Feindbild, weil er mit einem Dispens Wiederverheiratungen möglich machte. Im Volksmund wurden diese Verbindungen sogar als „Sever-Ehen“ bezeichnet.

Streit ums Familiensilber

Nach der Trennung in zwei autonome Landesteile gaben sich Wien und NÖ noch im Jahr 1920 eigene Landesverfassungen. Das Trennungsgesetz wurde dann erst am 29. Dezember 1921 beschlossen und trat 1922 in Kraft.

In Wien regierte danach der Sozialdemokrat Jakob Reumann, in NÖ war es Johann Mayer von der Christlichsozialen Partei.

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Der Beschluss war relativ schnell gefasst, die Klärung der organisatorischen und vermögensrechtlichen Fragen war um einiges schwieriger. Anfangs wollte Wien auch das Umland bis zur Staatsgrenze im Norden und tief in das südliche NÖ hinein für sich haben.

Letztlich einigte man sich auf die Stadtgrenzen. Die Aufteilung der Besitztümer wurde bis ins kleinste Detail geregelt. So musste etwa NÖ das berühmte Bildnis der Emilie Flöge von Gustav Klimt an Wien abgeben.

Satirische Aufarbeitung

In der Wiener Satirezeitschrift Kikeriki erschien damals eine Karikatur mit dem Untertitel „Das Tischtuch ist aber nicht richtig auseinanderg’schnittn“. Wobei da gemutmaßt wurde, dass Niederösterreich zuviel erhalten habe.

Tatsächlich machte die Trennung das Flächenbundesland aber eher ärmer, weil mit der Großstadt der potenteste Steuerzahler weggefallen war.

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Karikatur in der Wiener Satirezeitschrift Kikeriki.

Diese Rivalitäten zogen sich dann bis in die jüngste Vergangenheit. Viel Aufsehen erregten etwa nach dem Zweiten Weltkrieg die Konflikte um den Strom und die Spitäler.

Streit um Palais NÖ

Eine besondere Rolle spielte das Palais in der Herrengasse in Wien, wo der NÖ Landtag untergebracht war. Wien war Hälfte-Eigentümer dieser Gebäude und hatte das Vorkaufsrecht, falls NÖ aus der Stadt auszieht.

Das passierte 1986, als sich die Niederösterreicher für St. Pölten als eigene Landeshauptstadt entschieden. Der damals mächtige SPÖ-Vizebürgermeister Hans Mayr wollte danach, dass das gesamte Palais in den Besitz der Stadt übergeht.

Auf der anderen Seite kämpfte Erwin Pröll, der seit 1992 in NÖ für die ÖVP regierte, um diesen historischen Sitz des Landtags.

Entschieden wurde alles in einer langen Nacht im Jahr 1995, in der sich Pröll mit dem damals frisch gebackenen Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) traf. Die Unterredung dauerte viele Stunden und endete nach Mitternacht mit einem Handschlag.

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NÖ behielt in der Herrengasse die Hausnummern 9, 11 und 13. Wien erhielt im Gegenzug die Besitzanteile des Landes in der Stadt, darunter der Bereich Donauinsel Nord.

Neues Vertrauen

„In dieser Nacht wurde ein Vertrauen aufgebaut, das auch danach gehalten hat“, sagt Erwin Pröll rückblickend. Tatsächlich entspannte sich damit vieles.

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Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) beurteilt das Verhältnis heute so: „Wien liegt im Herzen von Niederösterreich und schon alleine deshalb ist uns eine gute Verbindung und Zusammenarbeit auf Augenhöhe wichtig. Mit dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig gibt es eine gute Partnerschaft.“

Ähnlich fällt die Bewertung von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) aus: „Wien als urbaner Raum braucht das Umland in Niederösterreich und umgekehrt, davon profitieren beide Bundesländer. Gemeinsam mit dem Burgenland bilden sie die wichtige die sogenannte Ostregion. Das ist nur durch eine gute, auf Augenhöhe geführte Partnerschaft möglich.“

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