Als noch Robben und Seekühe in Wien wohnten
Wo würden Sie am liebsten Urlaub machen? Wenn Sie schneeweiße Sandstrände schätzen und gerne Robben und Delfine beobachten, wäre eine Empfehlung: Wien vor zwölf Millionen Jahren.
Denn da, wo heute Wien liegt, erstreckte sich einst ein Meer, das unsere Landschaft bis heute prägt. Die Geologen Mathias Harzhauser und Thomas Hofmann haben als erste Forscher Fossilfunde aus dem Stadtgebiet systematisch aufgearbeitet. In „Wien am Sand“ haben sie ihre Erkenntnisse nun veröffentlicht, am Mittwoch wurde das Buch im Naturhistorischen Museum Wien präsentiert.
Was können uns Fossilien also alles erzählen?
Dazu zuerst ein Blick zurück: Im Mittelalter gaben Fossilienfunde noch Rätsel auf. Das prominenteste Beispiel ist wohl ein 86 Zentimeter langer Oberschenkelknochen eines Mammuts, der 1443 beim Bau des Stephansdoms gefunden wurde: Da man keine Tiere im Ausmaß eines Mammuts kannte, vermutete man, es handle sich wohl um den Knochen eines Riesen.
Dass Fossilien ehemalige Organismen sind, die etwa auf das Vorhandensein eines Meeres hindeuten, wurde erst im Lauf der folgenden Jahrhunderte klar. Im 19. Jahrhundert begannen Paläontologen und Geologen schließlich, Funde aus dem Wiener Becken in Monografien systematisch zu beschreiben.
Der Bauboom erfreute die Forscher
Eine Ära, die für den Berufsstand ideale Bedingungen bot: Damals wuchs die Stadt rasant, von der Ringstraße bis zur Peripherie wurde gebaut und – vor allem – gegraben. Die Funde, die dabei zu Hunderttausenden an die Oberfläche kamen, erlauben uns heute einen noch viel weiteren Blick zurück.
Und zwar 18 Millionen Jahre – „wobei das aus geologischer Sicht erst gestern war“, sagt Harzhauser und lacht. In eine Zeit, als Wien und das weite Umland vom Meer bedeckt waren, dessen Spuren bis heute erkennbar sind: „Schaut man vom Kahlenberg in Richtung Bratislava über das Wiener Becken, kann man noch gut erahnen, wo sich das Meer befunden hat“, beschreibt Hofmann.
Freilich veränderte sich das Klima im Laufe der Jahrmillionen immer wieder. Es gab kühlere und wärmere Perioden, in denen wiederum verschiedene Tierarten lebten.
In Ottakring lebten einst Seekühe
So gab es im heutigen Ottakring vor 14 Millionen Jahren Seekühe: „Das sind coole Tiere, die hatten sehr dicke Rippen. Das heißt, die sind oft noch sehr gut erhalten“, erklärt Harzhauser. Von der Ottakringer Seekuh sind 32 Rippenpaare, zwölf Wirbelkörper und das Brustbein erhalten – leider fehlt der Schädel.
Ungemütlicher wäre aber das Planschen in der Bucht des heutigen Kalksburg gewesen: Dort lebten Haie, etwa der mittlerweile ausgestorbene Megalodon-Hai, der bis zu 20 Meter lang wurde (ihnen fiel wohl auch die eine oder andere Seekuh zum Opfer).
Ein Meer wie am Persischen Golf
„Wäre ich ein Reisebüro, würde ich Urlaub am Wiener Meer empfehlen, wie es vor zwölf Millionen Jahren war“, so Harzhauser. In dieser Phase ähnelte das Meer dem heutigen Persischen Golf. Es gab weiße Sandstrände bei trockenem, heißen Klima.
Im Meer tummelten sich Robben, Wale und Delfine: So fand man in den Nussdorfer und Hernalser Ziegeleien Reste von Robben. Da diese keine natürlichen Feinde hatten, dürften sie sich recht fleißig vermehrt haben: „Soweit das Auge reichte, lagen Robben entlang der Hernalser Küste“, heißt es im Buch.
Entlang der Meeresküste
Und wem der Sinn nach einem Spaziergang an einer Felsküste steht: In der Eichelhofstraße in Nussdorf kann man heute noch an einer Brandungszone des damaligen Meeres entlanggehen. „Die schaut quasi noch so aus wie vor 14 Millionen Jahren“, so Harzhauser.
Vorbei war es mit der Traumstrand-Idylle vor rund elf Millionen Jahren: Das Meer zog sich zurück, übrig blieb der leicht salzige Pannonsee (der übrigens nichts mit den heutigen Neusiedler See gemein hat). „Dort gab es wieder eine ganz eigene Fauna aus Schnecken und Muscheln“, beschreibt Harzhauser. Etwa die Schnecke Melanopsis vindobonensis, die bereits an vielen Ecken in Wien, etwa in der Mollardgasse in Wien-Mariahilf beim Kellergraben, gefunden wurde.
Vor rund neun Millionen Jahren verschwand das Meer schließlich endgültig. „Seitdem“, sagt Hofmann, „liegen wir quasi auf dem Trockenen.“ Aber zumindest die Fossilien zeugen noch von unseren einstigen Traumstränden.
Kommentare