Als in Salzburg die andere Kultur aufwachte
Salzburg in den frühen 1980er-Jahren, da war kaum etwas los. Auch ganz ohne Coronavirus war die Stadt eine kulturelle Wüste. Die Festspiele gab es damals freilich auch schon, aber abseits der Hochkultur: Nichts. „Es war für eine junge, politische Klientel nichts vorhanden, gar nichts. Es war das Klima so, dass jegliche Kulturförderung den Festspielen zugutegekommen ist“, erzählt Silvia Kronberger.
Sie war damals eine junge Volksschullehrerin und dafür mitverantwortlich, dass sich das in den folgenden Jahren änderte. Und dass die Argekultur, heute eines der kulturellen Salzburger Flaggschiffe abseits der Festspiele, kommende Woche ihren 40. Geburtstag begehen kann.
Erstes Ziel: Rainberg
„Dass es auch eine Kultur gibt, die anders ist und Junge interessiert, hat von den Verantwortlichen damals niemanden interessiert“, sagt Kronberger. Langsam regte sich aber auch in Salzburg die Kultur. Ende der 1970er Jahre startete mit dem „Das Kino“ das erste Kulturzentrum, in dem auch anderes möglich war. Rockkonzerte, Jazzkonzerte, Diskussionen.
Im Zuge einer Filmvorführung unter dem Titel „Züri brännt, Salzburg pennt!“ wurde im April 1981 erstmals der Ruf nach kulturellen Freiräumen laut. Das war vor 40 Jahren, das war die Geburtsstunde der Argekultur. Zunächst entstand unter dem Titel „ARGE Rainberg“ die Forderung, sämtliche Kulturinitiativen am früheren Sternbräu-Gelände am Fuß des Rainbergs im Stadtteil Riedenburg zusammenzufassen.
Im November wurde der Verein „ARGE Rainberg“ gegründet. Silvia Kronberger war die erste Vorsitzende. „Wir haben dann die ganzen Verhandlungen mit den Politikern geführt. Politikerinnen hat es damals keine gegeben“, erinnert sich Kronberger, die über eine feministische Frauengruppe zur Arge kam. „Wir waren die Realos und sind von den Fundis vorgeschickt worden.“
Protest brachte Erfolg
Die Gespräche gestalteten sich aber zäh, Lösung war keine in Sicht, es gab auch Gegeninitiativen. Die ARGE trug die Diskussion auf die Straße, das brachte den Erfolg. Im Zuge der Festspiele 1984 kam es zu zwei aufsehenerregenden Demonstrationen, eine davon bei der Festspieleröffnung.
Per Megafon wurde die Garderobe der elitären Festspielgäste im Stile einer Modeschau kommentiert. „Auch internationale Medien haben über uns berichtet. Das war PR-mäßig der Durchbruch. Ab da hat sich etwas bewegt“, berichtet Kronberger. Es kam Schwung in die Verhandlungen. Vorbild für die Initiativen war unter anderem das Wiener WUK.
„Irgendwann haben sie es kapiert“, meint Kronberger. Es dauerte aber noch bis zum Jahr 1987, bis ein Kulturgelände im Stadtteil Nonntal eröffnet wurde. Die Politik stellte der Initiative den ehemaligen Lehrbauhof der HTL zur Verfügung. Im Vorfeld der Eröffnung war das Verhältnis zur Politik dann durchaus schon amikal.
1981
Eine Bewegung für freie Kulturräume in Salzburg entsteht. Im November wird der Verein „ARGE Rainberg“ gegründet
1984
Proteste bei den Festspielen bringen Aufmerksamkeit, die Politik reagiert auf die Wünsche
1987
Auf dem Gelände des ehemaligen HTL-Lehrbauhofs in Nonntal wird das Kulturgelände Nonntal eröffnet
2003
Der Gemeinderat beschließt die Finanzierung eines Neubaus in der Nähe des ursprünglichen Standorts
2005
Die Argekultur eröffnet an ihrem heutigen Standort in Nonntal
Kulturpioniere
Die Kulturinitiativen erledigten den Umbau des Lehrbauhofs teilweise selbst, Bürgermeister Josef Reschen (SPÖ) half auf Einladung sogar kurz medienwirksam mit. Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP), der Vater des heutigen Landeshauptmanns, spendierte eine überdimensionierte Bierkiste mit 200 Flaschen.
Knapp 20 Jahre blieb die ARGE in dem Bau, dessen provisorischen Charme manche ARGE-Besucher heute noch nachtrauern. 2005 folgten der nächste Professionalisierungsschritt und die Übersiedelung in einen wesentlich geräumigeren Neubau, nur einige Dutzend Meter vom alten Lehrbauhof entfernt.
Ob sie sich die heutige Argekultur in den Anfangszeiten so vorgestellt hätte? „Soweit habe ich nie vorausgedacht“, sagt Kronberger. Sie ist aber überzeugt, dass die heutige kulturelle Landschaft in Salzburg ohne die damaligen Ereignisse anders aussehen würde: „Viele Initiativen, wie das Literaturhaus, das Toihaus oder das Rockhouse haben sich aus dieser Bewegung entwickelt.“
Die Zukunft liegt im Netz
Zum 40. Jubiläum ist die Salzburger Argekultur traurig leer. Keine Künstler, keine Musiker, kein Publikum. Ein Grund zum Jammern? „Nein“, sagt der künstlerische Leiter Sebastian Linz. „Es geht uns eigentlich ganz gut. Die Hilfen wirken, wir sind in einer privilegierten Situation und können uns nicht beschweren. Unsere Solidarität gilt jenen, die es viel schwerer haben als wir, wie freie Kulturschaffende.“
Der Idealzustand sieht in einer Kulturinstitution freilich anders aus. „Wir warten natürlich schon sehnsüchtig darauf, dass wir wieder aufsperren können. Wir schieben bis zu 150 Veranstaltungen vor uns her, die teilweise seit November 2019 im Vorverkauf sind“, meint Linz.
Trotz Kurzarbeit versucht man die Pandemiezeit produktiv zu nutzen. Laufend gibt es digitale Theaterproduktionen und Diskussionen. Großprojekte wie eine Digitalstrategie, die auch nach der Pandemie Bestand haben soll, und eine geplante Foyer-Erweiterung werden verfolgt.
Jubiläum steigt online
Am Mittwoch gibt es ab 20 Uhr eine erste Online-Jubiläumsveranstaltung zu 40 Jahren Argekultur. In einer Lesung mit Diskussion werden „Prognosen zur Kulturarbeit der Zukunft“ vorgestellt. Unter diesem Motto soll im Herbst auch ein Jubiläumsbuch erscheinen, zwei der Autoren lesen am Mittwoch ihre Texte.
„Was uns vor allem interessiert, ist die Frage, wo Diskussionen stattfinden, wenn alle Orte geschlossen sind“, sagt Dramaturgin Theresa Seraphin. Dabei stelle sich die Frage, ob es einen Ersatz im digitalen Raum gibt. „Wir wollen den digitalen Raum als Ort gesellschaftlicher Öffentlichkeit begreifen“, erklärt Seraphin. Denn Teil der Digitalstrategie der Arge ist es auch, sich von der Vor-Pandemiezeit zu verabschieden.
„Eine Rückkehr wird es vielleicht nicht geben. Die Medienbranche und die Musikbranche haben die Digitalisierung schon hinter sich, jetzt trifft es die Veranstaltungsbranche“, sagt Linz. Dem müsse man sich stellen. „Wir entdecken beim Zoomen und Streamen Qualitäten, die andere Veranstaltungen nicht unbedingt haben und die man weiterentwickeln kann“, erklärt Linz. Die Argekultur der Zukunft wird also zum Teil im Digitalen zu Hause sein.
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