Kamala Harris und die 156 Thujen der Vorarlberger Abtreibungsgegner

Kamala Harris, mögliche erste Präsidentin Amerikas, liegt an diesem Dienstag vor einer frisch gepflanzten Thujen-Hecke des Landeskrankenhauses Bregenz.
Zumindest in Form eines Plakates, auf dem zu lesen ist: Wir vertrauen Frauen. "Wir haben den Spruch ,Trust women´ von Harris abgewandelt. Weil es das auf den Punkt bringt", sagt Sandra Schoch, grüne Vizebürgermeisterin der Vorarlberger Landeshauptstadt, die sich mit gut 25 Teilnehmern rund um das Banner versammelt hat.
Sie alle sind Anhänger von "Pro Choice", einer Plattform, die sichere Schwangerschaftsabbrüche ermöglichen will.
Sowohl im Ländle, als auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten dreht sich dieser Tage vieles um das Recht von Frauen auf Abtreibung.
In Amerika kippte vor gut zwei Jahren der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof, de facto genau dieses landesweite Recht auf legale Abtreibungen.
"Wir werden für die reproduktive Freiheit kämpfen", ließ Vize-Präsidentin Harris bereits im Juli bei ihrer ersten Wahlkampfrede keinen Zweifel daran, wie sie zum Selbstbestimmungsrecht für Frauen steht.
Besuch in Abtreibungsklinik
Der Demokratin, die als erste US-Vize-Präsidentin eine Abtreibungsklinik besuchte, könnte diese klare Position in einer der wichtigsten Streitfragen im US-Wahlkampf sogar im November den Weg ins Weiße Haus ebnen.
In Österreich führt die Abtreibungs-Debatte auf einen ganz anderen Pfad - in den Maria-Stromberger-Weg, wo das Harris-Plakat am Boden liegt. Keine 20 Minuten Fußweg von der berühmten Seebühne Bregenz entfernt und doch in einer anderen Zeitrechnung.
Lesen Sie im Folgenden:
- Wie Abtreibungsgegner und Befürworter argumentieren
- Warum eine Schutzzone um das Krankenhaus gefordert wird
- Wieso es im September nun täglich zu Demonstrationen kommt
Denn auch wenn in Österreich seit dem Jahr 1975 Schwangerschaftsabbrüche durch die sogenannte Fristenregelung innerhalb der ersten drei Monate legal sind, willkommen sind sie bei manchen in Bregenz deswegen noch lange nicht.
Vor 24 Jahren hat sich um den einstigen Lehrer Christoph Alton eine Gruppe formiert, die dagegen vorgeht. Die Öffentlichkeit nennt sie Abtreibungsgegner, Vizebürgermeisterin Schoch bezeichnet sie als "Gebärzwangdemo", Alton umschreibt sie lieber als Gebetszug und Mahnwache. Rosenkranzbetend gegen Abtreibungen.
"Wir geben den Ungeborenen eine Stimme", sagt Alton, den man als äußerst höflichen Mann, mit sanfter Stimme kennenlernt.
Ein Arzt, der Abbrüche durchführte
Für mehr als zwei Jahrzehnte standen Alton und seine Mitstreiter vor der Praxis des einzigen Arztes, der in ganz Vorarlberg Abbrüche vornahm. Dann ging dieser in Pension. Nach langer Diskussion wurden die Schwangerschaftsabbrüche schließlich im November 2023 als Privatleistung (Kosten: 720 Euro) ins LKH Bregenz ausgelagert.
Und so zogen Alton und seine Anhänger weiter. Auf den Maria-Stromberger-Weg direkt vor dem Krankenhaus. Ein öffentlicher Weg, auf dem sie nun drei Mal die Woche am Montag, Mittwoch und Freitag, ihre Botschaften kund tun. Einmal wurden diese auch durch den Einsatz kleiner Särge unterstrichen, aber nur einmal, wie man betont.
Zu viel für das Krankenhaus, in dem seit November gut 180 Frauen betreut wurden. Also entschied man sich heuer im Mai eine Hecke zwischen die Abtreibungsgegner und die Klinik zu bringen. Genauer gesagt: 156 Thujen, denen an den braunen Ästen die Hitze des Sommers deutlich anzusehen ist.
"Die Mahnwachen vor dem LKH Bregenz sind mit der aktuell gegebenen rechtlichen Situation nicht zu unterbinden. Weitere Schutzmaßnahmen auf Bundesebene wären hier also durchaus effektiv und wünschenswert", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme der Vorarlberger Landeskrankenhäuser.
Kein Recht auf eigenen Körper
Alton, der Mann mit der sanften Stimme, steht bei Thuje Nummer 5, als man mit ihm spricht. Es ist ein Mittwoch. Gebetszug-Tag am Maria-Stromberger-Weg. 34 Teilnehmer sind gekommen. Fast alle mit Schildern, die sie mittlerweile an Stangen befestigt, damit ihre Botschaft verlässlich auch über die Hecke mit den 156 Thujen hinausragt.
Es sind Sätze wie "Mensch von Anfang an", "Danke, dass du dich für mich entschieden hast" oder "Ja, zum Leben!", die dort zu lesen sind. Dazu wird leise gebetet. Verschiedene Formen des Rosenkranzes. Dann wieder für die Ärzte der Klinik, samt Namensnennung.
Alton sagt, als man ihn fragt, ob Frauen nicht ein eigenes Recht über ihren Körper haben: "Das ist biologisch nicht stimmig. Der Körper einer Frau ist das Wohnhaus für das Kind. Darum gibt es auch eine Monatsblutung, damit diese Wohnung für das Kind immer bestens gereinigt ist." So bildlich habe er dies während seiner Zeit als Lehrer auch immer seinen Schülern erklärt.
Ganz sanft bleibt seine Stimme auch bei der Antwort, ob Abtreibung nach einer Vergewaltigung nicht eine Sondersituation sei, die selbst aus Sicht eines Abtreibungsgegners vertretbar sei: "Die Frau hat ein Traumata erlebt. Aber das Kind hilft der Frau dieses Traumata aufzuarbeiten. Es wird sozusagen zu einem Segen für die Mutter."
Marie, jene junge Frau, die man am Vortag bei der Pro-Choice-Kundgebung kennengelernt hat, sagt zu so etwas "Mittelalter". Drei Mal hat sich die Demonstration mit den Kamala-Harris-Spruch bereits versammelt. Zwei Mal war Marie dabei.
Schutzzone gefordert
Eine Schutzzone rund um das Krankenhaus fordern neben dem Spital, auch Marie und ihre Leute. Doch die Voraussetzungen für diese sieht man bei der Landespolizeidirektion Vorarlberg nicht gegeben. "Es werden weder Patienten noch Personal belästigt. Darum steht eine Schutzzone aktuell nicht zur Debatte", heißt es auf KURIER-Anfrage.
Bei jenen, die die Frauen schützen wollen heißt es: "Wenn da Islamisten stünden und gegen Abtreibung wären, hätten wir schon längst eine Schutzzone."
Darum reagiert man nun selbst und hat für den ganzen September täglich eine Demo am Maria-Stromberger-Weg angemeldet. Genau zu jener Zeit, zu der sich normalerweise die Gegner mit ihren Tafeln samt den Stangen versammeln. Eine menschliche Bannmeile wolle man sei.
Alton und sein Team, das er gerne "Stamm" nennt , beeindruckt das nur wenig. "Wir machen weiter wie gewohnt. Im September dann eben am Nachmittag", sagt er mit sanfter Stimme.
Wie lange? "So lange wie nötig."
Amerika hat bis dahin sicher einen neuen Präsidenten – oder eine Präsidentin.
23. November 1973
an diesem Tag sollte es im Parlament so weit sein. Jenes Gesetz wurde verabschiedet, das ab 1975 die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten drei Monaten garantierte – die sogenannte Fristenlösung. Verpflichtend ist diese mit einem Beratungsgespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt verbunden.
Nach Ablauf der drei Monate
ist in Ausnahmefällen auch noch ein Schwangerschaftsabbruch möglich. Wenn etwa eine ernste Gefahr für das Leben der Schwangeren besteht, wenn eine schwere geistige oder körperliche Behinderung des Kindes zu erwarten ist oder wenn die Frau zum Zeitpunkt der Schwangerschaft das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
Roe versus Wade
In Amerika wurden im Jahr 1973 mit dem berühmten Fall „Roe vs. Wade“ zunächst landesweit Abtreibungen ermöglicht. Bis der Supreme Court dieses Urteil im Jahr 2022 schließlich kippte und damit den Weg für schärfere Abtreibungsgesetze, bis hin zum kompletten Verbot im gesamten Land möglich machte. Vor der US-Wahl im November hat das Thema wieder an Brisanz gewonnen. Demokratin Kamala Harris spricht sich klar für Abtreibungen aus.
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