Lange Planung
Im Dezember 1984 harrten insgesamt 20.000 Aktivisten in den Stopfenreuther Auwäldern aus, um dieses Fleckchen Natur zu verteidigen. Gegen die Kraftwerkspläne der Regierung, die damals in Stein gemeißelt zu sein schienen. Vor den Baumaschinen, die den Auwald dem Erdboden gleichmachen sollten. Und trotz der Angriffe der Exekutive, die die Besetzung der Hainburger Au beenden sollte – und auch vor Gewalt nicht zurückschreckte.
„Damals waren die Rahmenbedingungen ganz andere“, sagt Manfred Rosenberger. Heute ist er Ranger im Nationalpark. Vor 40 Jahren gehörte er als Student aber zu jenen Aktivisten, die in der klirrenden Kälte in der Au den friedlichen Widerstand probten. Die Macht der Parteien reichte damals bis ins Privatleben (Stichwort Wohnungsvergabe), die Haltung gegenüber der Politik war von Obrigkeitsdenken geprägt. Die Regierung hatte sich den Wiederaufbau zur Grundhaltung gemacht, die Sozialpartnerschaft lebte hoch. Dass ausgerechnet die Pläne für ein weiteres Donaukraftwerk all diese Grundfesten bis ins Mark erschüttern sollten, daran hätten die Politiker nicht im Traum gedacht.
„Zuerst formierten sich Initiativen gegen die Pläne, dann kamen die NGOs dazu“, schildert Rosenberger. Er selbst hatte schon als Kind sein Herz an die Au verloren, als er in den Sommerferien mit seinen Freunden den Wald eroberte. Die Regierung einfach schalten und walten zu lassen, kam für ihn nicht infrage. Wobei die Besetzung der Au keineswegs spontan erfolgte; bereits 1983 wurden Depots für Demonstranten in der Au angelegt, falls es zu Rodungen kommen sollte.
Den alles entscheidenden Kampf sollten sich Umweltschützer – in deren Reihen sich damals viele prominente Namen fanden, man denke nur an die berühmte „Pressekonferenz der Tiere“ im Mai – und die Regierung aber erst im Dezember 1984 liefern. Der Kraftwerksbau sollte am 10. Dezember beginnen. Die Gegner hielten mit dem berühmten Sternmarsch am 8. Dezember dagegen; rund 8.000 Menschen marschierten damals aus Protest in die Au, und ein paar Hundert davon blieben dort.
„Dass wir am 10. Dezember von 900 Beamten allesamt aus der Au gebracht wurden, wird bei den Erzählungen oft vergessen“, so Rosenberger. Dabei zeigte dieses Ereignis, wie wenig ernst die Regierung die Proteste nahm; zurück blieben nämlich nur eine Handvoll Gendarmen, die – dank Telefonketten – bald 2.500 Menschen gegenüberstanden, die zurück in die Au drängten.
Paradigmenwechsel
Die Ereignisse der nächsten Tage haben sich mit vielen Bildern in das kollektive Bewusstsein gebrannt: Protestierende, die vor schneebedeckten Zeltdächern Barrikaden in der Au errichten. Verhandlungen zwischen der Regierung und Vertretern des Konrad-Lorenz-Volksbegehrens gegen den Kraftwerkbau und für einen Nationalpark, die kläglich scheitern. Und Polizisten, die am 19. Dezember, dem berühmten „blutigen Mittwoch“, Aktivisten von Baggerschaufeln zerren und mit Gummiknüppeln auf sie einschlagen. Die Regierung, die erstmals mit zivilem Ungehorsam und dem Gegendruck der übermächtigen Gewerkschaft konfrontiert war, zeigte sich heillos überfordert.
Dass die Protestierenden dennoch nie mit Gewalt reagierten, sei die größte Stärke der Bewegung gewesen. „Das ist für mich das eigentliche Wunder von Hainburg“, sagt Rosenberger. Er selbst musste von einem Arrestwagen aus eine brutale Szene mitansehen. „Ein Aktivist stand auf einer Wiese, sang die Bundeshymne und hielt die österreichische Fahne hoch. Plötzlich ging ein Polizist auf ihn los und schlug mit einem Knüppel zu. Dann band er die Fahne um den Hals des Mannes und schleifte ihn damit über eine Wiese.“ 19 Menschen wurden verletzt.
Grenzen überwunden
Noch am selben Abend gingen 40.000 Demonstranten in Wien auf die Straße, um ihre Empörung über das Vorgehen der Exekutive zu zeigen. Der Geist von Hainburg, er hatte keine Bevölkerungsschicht unberührt gelassen und sogar Parteigrenzen überwunden. Ein Novum in Österreich, das die Politik in Knie zwang.
„Es geht nicht mehr um Wohlfahrt alleine, sondern auch um Wohlbefinden“, musste SPÖ-Bundeskanzler Fred Sinowatz, der bis dahin eisern am Kraftwerksbau festgehalten hatte, erkennen. Und er rief am 22. Dezember den Weihnachtsfrieden aus. Am 2. Jänner stoppte das Höchstgericht nach einer Beschwerde die Arbeiten. Im März 1985 hatten fast 354.000 Menschen das Konrad-Lorenz-Volksbegehren unterzeichnet. Elf Jahre später genehmigte der Nationalrat die Errichtung des Nationalparks Donauauen.
„Wir hätten nie gedacht, dass wir das bewirken würden“, gibt Rosenberger zu. Wer heute mit dem Boot durch die Au fährt, ist dankbar. Dafür, dass die Au-Besetzer vor 40 Jahren der Natur dennoch die Mauer machten.
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