100 Jahre Segelflugwoche: Als das Weinviertel im internationalen Rampenlicht stand

100 Jahre Segelflugwoche: Als das Weinviertel im internationalen Rampenlicht stand
Die erste internationale Segelflugwoche wurde 1923 im Weinviertel veranstaltet – ein Großevent in der krisengebeutelten Zwischenkriegszeit.

Es war eine Zeit, die keinen Platz für Höhenflüge bot. Im Gegenteil: Das einst stolze Kaiserreich Österreich lag nach dem „Großen Krieg“ völlig am Boden. Die Inflation stieg buchstäblich jeden Tag an, die Kronen, die im Umlauf waren, waren das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden.

Hinzu kam, dass die Siegermächte das Land am Gängelband hielten; um einen weiteren Krieg zu verhindern, hatten sie Österreich und Deutschland strenge Maßnahmen auferlegt. Dass sie damit umso mehr den Nährboden für einen weiteren Weltkrieg bereiteten, sollte sich erst später zeigen.

Doch jede Medaille hat bekanntlich zwei Seiten, sogar die Auflagen der Siegermächte: Das motorisierte Fliegen und auch das Bauen von Motorflugzeugen waren in Österreich und Deutschland verboten worden. Am Fliegen hindern ließ man sich dadurch aber nicht; in Deutschland hatte die Segelfliegerei bereits Tradition, und in den 1920er-Jahren entdeckten auch viele Österreicher diesen Sport für sich.

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Pionierarbeit

Sogar so viele, dass Österreich trotz aller Widrigkeiten der Zwischenkriegszeit zu einem internationalen Wettbewerb einlud: Von 13. bis 21. Oktober 1923 fand am Waschberg nahe Leitzersdorf (Bezirk Korneuburg) die erste internationale Segelflugwoche in Österreich statt.

„Die Segelfliegerei war eine Möglichkeit, das Verbot der Siegermächte zu umgehen. So konnte man sich dennoch den Traum vom Fliegen verwirklichen“, erzählt Gabriele Redl, Leiterin des Bezirksmuseums in Stockerau. Im Ausstellungsraum hängen große Tafeln mit Schwarz-Weiß-Fotos, die die Piloten mit Anzug und Krawatte bei ihrem großen Auftritt zeigen. Ein Film läuft im Hintergrund, in dem man die einfallsreichsten Flugzeug-Modelle abheben sieht.

Das Highlight der Sonderausstellung, die das Museum noch bis Ende des Jahres zeigt, ist jedoch das riesige Holzmodell eines Segelfliegers namens „Wien“, der im Oktober 1923 von Karl Ehrlich, ein erfahrener Kriegspilot, in der Österreich-Wertung von Sieg zu Sieg geflogen wurde.

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Top-Pilot Karl Ehrlich

Beste Flugbedingungen

„Der Waschberg wurde für dieses internationale Event ausgewählt, weil er ein ideales Flugfeld bot“, schildert Redl, die sich für die Sonderausstellung in die geschichtlichen Details eingelesen hat. „Er ist hoch genug zum Fliegen und läuft in einer Ebene aus, perfekt für die Landung also. Auch wenn man nicht damit gerechnet hatte, dass sie Flugzeuge tatsächlich so weit fliegen würden“, muss Redl lachen.

Wobei sich erst in der Luft zeigte, wie gut die Segelflieger tatsächlich durchdacht waren. „Sie waren alle selbst gebaut“, schildert Redl. Besonders bei Studenten war das ein beliebtes Hobby; die „Akaflieg“ war eine der wichtigsten Vereinigungen, der viele junge Mitglieder angehörten. Für die Teilnahme am Wettbewerb wurden die Segelflieger zerlegt und mit Pferdefuhrwerken oder per Bahn ins Weinviertel transportiert.

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Massenandrang vor den Hangarzelten

Da die Flieger in Einzelteilen auf den Berg geschafft werden mussten, um sie vor Ort in Hangarzelten zusammenzubauen, musste der Austragungsort zudem gut erreichbar sein. So kam es, dass der kleine Waschberg eine Woche lang ins internationale Rampenlicht des Flugsports rückte.

Neben acht Österreichern waren auch sechs Deutsche am Start. Die waren den Österreichern durch ihre Erfahrung weit überlegen, weshalb eine getrennte Wertung durchgeführt wurde. Den Ehrenschutz der Veranstaltung übernahm Bundespräsident Michael Hainisch – eine Besonderheit, die die Bedeutung des Events unterstrich. Bewertet wurden die Dauer des Flugs, seine Weite und die Flughöhe, aber auch die Konstruktion des Flugzeugs.

Frühes Eventmanagement

Neun Tage dauerte das große Flugfest, das Scharen von Menschen anzog. Tatsächlich war es auch professionell – und gewinnbringend – organisiert: Ein gewisser Herr Lie (Vorname unbekannt) zeichnete dafür verantwortlich.

„Heute würde man ihn wohl als Eventmanager bezeichnen“, sagt Redl. Sonderzüge wurden eingerichtet, um die Besucher aus Wien nach Stockerau zu bringen. Schon am Weg zur Startrampe säumten Souvenir- und Essensstände den Weg der Schaulustigen. Wer fotografieren wollte, musste für eine Genehmigung zahlen.

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Teures Vergnügen

Dabei waren die Kartenpreise für die damaligen Verhältnisse ohnehin kaum leistbar; 20.000 Kronen kostete zum Beispiel ein Tagesticket. Zum Vergleich: Für einen Laib Brot bezahlte man 6.750 Kronen. Dabei war den Besuchern nicht einmal garantiert, dass tatsächlich geflogen werden konnte. Lediglich an drei der neun Tage hoben die Flieger ab, ansonsten machte das Wetter den Veranstaltern einen Strich durch die Rechnung.

Dennoch: Die Sehnsucht nach Unterhaltung ließ die Menschen jeden verfügbaren Groschen zusammenkratzen, um eine Abwechslung vom tristen Alltag zu erleben.

Bei den Sportlern sorgte so viel Spektakel für Unmut: Der beste Pilot des Turniers, der Deutsche Arthur Martens, sprach in einem Interview mit der „Wiener Zeitung“ und „Der Morgen“ davon, dass die Sportler zu „Parterreakrobaten“ degradiert wurden. So oder so: Das Event war ein voller Erfolg.

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Dieser Gedenkstein erinnert bis heute an die Segelflugwoche

Jubiläumsfest

Auch wenn sich die Szene nach der Segelflugwoche 1923 an andere Austragungsorte verlagerte: Der Waschberg ist und bleibt in der Fliegerwelt ein Ort, der dem Sport Flügel verlieh. Eine Tatsache, die heute, 17. September, mit einem Jubiläumsfest am Gipfel des Waschbergs samt Traditionsflug (14 Uhr) gebührend gefeiert wird.

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