Wo das reale Oberösterreich auf Fantasie trifft
„Da fallen mir sofort die Ferienwochen ein, die ich mit meinem Bruder Andy bei unserer Tante auf einem Bauernhof bei Eferding verbringen durfte“, erinnert sich Thomas Baum an seine Kindheitstage. „Das Mithelfen im Stall und auf den Feldern, das stundenlange Spielen auf dem Heuboden, und natürlich die sehr ernsten Momente, wenn ein Tier geschlachtet wurde. Das war eine unbekümmerte und zugleich erfahrungsreiche Zeit.“
Der Drehbuchautor, der unter anderem für Tatort- und Rosenheim-Cops-Folgen oder den Horrorthriller „In drei Tagen bist du tot“ den Spannungspegel Wort für Wort in die Höhe trieb, kennt die Gegensätze, die der ländlich geprägte Alltag mitbringt: „Das Einbrechen der Gewalt in die Idylle, die Brutalität eines grausamen Mordes in der Stille und Ruhe des Wald-, Wiesen- und Landlebens – das sind Pole, mit denen ich auch im neuen Roman spiele.“
Mit „Kalter Kristall“ veröffentlichte Thomas Baum heuer seinen zweiten Krimi rund um Kommissar Robert Worschädl: „Der Worschädl und seine Frau Karoline sind ein arbeitsames Ehepaar, das sich seine gemeinsamen Ruhezeiten erobern muss. Ausgerechnet bei einer Wanderung, die sich die beiden mit Mühe vereinbart haben, passiert der Leichenfund.“
In "Kalter Kristall" kombiniert Thomas Baum die Beschaulichkeit einer Wanderung und ehelicher Zweisamkeit mit dem Fund einer verkohlten Leiche.
Der Linzer Chefinspektor Robert Worschädl und seine Frau Karoline entdecken im Böhmerwald den Leichnam einer Prostituierten. Bald weitet sich der Mord- zum Entführungsfall aus: Der Sohn der Toten ist nicht mehr aus der Schule zurückgekehrt.
Als Worschädl und seine Kollegin Sabine Schinagl ermitteln, führt die von Drogen durchsetzte Fährte das Duo nicht nur in ein Mühlviertler Wellnesshotel, sondern bis zu einem Asia-Markt im tschechischen Grenzgebiet.
Vielleicht sind es ja gerade die für Oberösterreich typischen Gegensatzpaare aus Stadt und Land, Industrie und traditionelle Landwirtschaft, die sich in Büchern zu einem herrlichen Lokalkolorit vermischen lassen.
Vom Land durchdrungen
Auch Reinhard Kaiser-Mühlecker, aufgewachsen am elterlichen Hof in Eberstalzell, siedelt seinen Bauernroman „Enteignung“ in einem vertrauten Milieu an: „Ich denke, ein Schriftsteller sollte etwas beschreiben, was er gut kennt, wovon er durchdrungen ist. Ich würde mich nicht legitimiert fühlen, ein Buch zu schreiben, das woanders spielt, davon verstehe ich zu wenig. Dafür sind andere zuständig, nicht ich.“ Wobei Kaiser-Mühleckers eigene Erinnerungen durchaus fluide sind: „In der Rückschau verändert sich oft die Wahrnehmung. Mein Bezugsrahmen war damals die bäuerliche Welt, die Freunde im Dorf. Es gab zwar Verwandte, die keinen Hof hatten, aber ich kannte zum Beispiel niemanden, der in einer Wohnung wohnte. Das war für mich unvorstellbar.“
Dass diese Welt, die schon im Kindesalter mit viel – als selbstverständlich wahrgenommene – Arbeit verbunden war, etwa wenig Kultur- oder Literaturangebote bot, bemerkte der Autor erst später: „In der Kindheit fiel mir diese Enge nicht auf, im Gegenteil, ich fühlte mich frei. Erst mit der Zeit entdeckt man, was es noch gibt. Erst im Vergleich fehlt es einem.“ Das Aufwachsen unter freiem Himmel sei – auch rückblickend – fast die wichtigste Erinnerung.
Kein Verbrechen, aber die Verunsicherung eines ganzen Ortes macht Reinhard Kaiser-Mühlecker in seinem Bauernroman zum Thema.
Der Autor schickt einen durch die Welt gereisten Journalisten und Hobbyflieger an einen Ort zurück, an dem er nie wirklich angekommen ist: die Heimatstadt seiner Kindheit. Dort schreibt er für ein kriselndes Lokalblatt und arbeitet für einen Schweinezüchter, dessen Land enteignet wurde.
Hin- und hergerissen zwischen Gefühlen, Beziehungen, eigenen und fremden (Überlebens-) Kämpfen sucht er bei Überlandflügen nach Übersicht in einer zutiefst verunsicherten Welt.
„Vor Kurzem war ich in Bad Aussee. Da wird mir immer besonders bewusst, wie völlig ohne Touristen ich aufgewachsen bin. Es gab nicht einmal fremde Auto-Kennzeichen. Im Nachhinein kommt mir das fast luxuriös vor, da ich Touristengegenden und Massen meide.“
Wie seine Westentasche kennt Werner Wöckinger sein direktes Umfeld. Seit 1993 arbeitet er in Perg als Rettungssanitäter beim Roten Kreuz und kennt damit Land und Leute: „Der Bezirk bietet viele schöne Landstriche, sei es das Ufer der Donau, sei es die Bucklwehluckn in St. Thomas und viele andere Schönheiten, die ich in meinen Büchern bereits verarbeitet habe und noch verarbeiten werde.“
Seit frühsten Kindertagen lebt er in Mauthausen – und schätzt hier die Kombination aus dem stark städtisch geprägten Westen des Bezirks nahe Linz und dem Gefühl, „im Grünen“ zu sein.
Trotz der belasteten Geschichte, mit der er sich in Werken wie der Kantate „Homo homini lupus“ (mit Komponist Alfred Hochedlinger) auseinandergesetzt hat, sei Mauthausen ein schöner Flecken Erde, den er nicht missen möchte. „Meine absoluten Lieblingsplätze sind die Gusenmündung und der Treppelweg an der Donau – nur wenige hundert Meter von meinem Haus entfernt.“
Manche Eindrücke finden Eingang in sein Werk: „Arbeitskollegen erzählen mir gelegentlich, dass sie Bauernhöfe oder Waldstücke, die ich in meinen Romanen beschreibe, wiedererkennen. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind natürlich rein zufällig“, so Wöckinger mit einem Lächeln.
Im dritten Krimi nach „Tödliche Gala“ und „Tödliche Inszenierung“ ermittelt Abteilungsinspektor Oberbacher erneut im Mühlviertel und muss dieses Mal seinem Neffen helfen. Er soll nach einem Raufhandel in einer Disko den Studenten Leo Heidrich erschlagen haben.
Oberbacher glaubt nicht an den scheinbar klaren Sachverhalt und erweitert die Liste der Verdächtigen: Was hat zum Beispiel der Bruder des Opfers mit der Sache zu tun? Oder der Security-Mann, der mit Drogen dealt? Ebenfalls eine zwielichtige Gestalt: Heidrichs Studienkollege Daniel Siegl. Als dieser in seiner Wohnung Opfer eines Bombenanschlags wird, nimmt der Fall plötzlich viel größere Dimensionen an ...
Raum für neue Spekulationen dürfte der Schriftsteller nun auch wieder mit seinem dritten Regionalkrimi servieren: Für "Tödliche Finte" kehrt Abteilungsinspektor Erich Oberbacher vorzeitig aus seinem Sommerurlaub in Grado zurück, um in Perg nach dem Rechten zu sehen. Nach einer Schlägerei mit tödlichen Ausgang sitzt sein Neffe in Untersuchungshaft.
Was Wöckinger in seinem neuen Krimi auch beweist: Spannende Verfolgungsjagden sind längst nicht nur etwas für Hollywood, sondern können ebenso gut im Unteren Mühlviertel stattfinden. In diesem Fall während eines Open-Air-Konzerts am Fuß der Burg Clam.
Verfremdungen
„Ich bin kein ausführlicher Beschreiber von Landschaften“, analysiert hingegen Thomas Baum, Autor hinter Inspektor Worschädls Abenteuern. „Eher fange ich Stimmungen ein, und das oft mit den Augen und der besonderen Wahrnehmung meiner Figuren.“ Trotzdem möchte er den jeweils ausgewählten Gegenden gerecht werden. Im „Kalten Kristall“ etwa sind es die kleinen Details, die auffallen. „Wer jemals mit dem Auto über den Saurüssel in Richtung Rohrbach unterwegs war, weiß, dass in dieser Gegend wilde und sehr geschwindigkeitsbewusste Autofahrer leben – denen musste ich unbedingt einen kleinen Absatz widmen.“
Eher vage in der Beschreibung bleibt auch Reinhard Kaiser-Mühlecker. „Ich denke, es regt die Fantasie der Leser an. Es ist nicht so entscheidend für mich, dass ich genaue Ortsnamen nenne.“ Dabei kann der Autor sehr präzise werden – vermeintlich: Eines seiner ersten Bücher, in dessen Zentrum ein Bauernsohn steht, trägt den Titel „Magdalenaberg“. Ein Hinweis auf den Namensvetter im Traunviertel? Mitnichten. Viele glauben, es handle sich um den Magdalenaberg in Kärnten, so der Autor: „Es macht jeder Leser sein eigenes Buch daraus, verbindet es mit seiner Geschichte, seiner Fantasie und seinen Erfahrungen.“
Charakterköpfe
Trotz vager Verortungen ist Kaiser-Mühleckers Werk auch eine Annäherung an die Identität der Oberösterreicher. „Ich habe es ein paar Mal versucht. Mal empfinde ich sie als viel grausamer, als ich sie beschreibe, und dann habe ich wieder eine Begegnung, die mir zeigt, wie herzlich und freundlich sie sind“, so Kaiser-Mühlecker. „Der Mensch ist eben vieles und nie eindimensional, ob in China, Deutschland oder hier – aber immer auf eine spezielle Weise, geprägt durch Geschichte, Mentalität und auch durch die Landschaft. Das ist der Reiz der Welt.“
Mentalitäten und Kulturen haben ein Anrecht, in der Literatur sichtbar zu sein. Wirkt alles wie aus einer Netflix-Serie, stimmt etwas nicht. Dann wird daraus ein Einerlei. Büchner-Preisträger Arnold Stadler würde sagen: ,ein internationales Nichts‘.“
Einen Blick für regionale Feinheiten hat auch Werner Wöckinger entwickelt. Neben seiner Arbeit für das Rote Kreuz hat er als Zivildiener acht Monate im Bezirk Rohrbach verbracht bzw. ist als Fußballtrainer im Mühlviertel herumgekommen. „Tritt man mit den dortigen Menschen in Kontakt, sieht man schon gewaltige Unterschiede, etwa in der Art, wie sie miteinander reden. Die Menschen, die in Stadtnähe leben, können von ihrem Wesen nicht mit dem klassischen Mühlviertler aus dem ,Hinterland‘ verglichen werden. Ich glaube nicht, dass es ein einheitliches Bild für den Bezirk gibt.“
Zu alten, vertrauten Ufern kehrt auch Thomas Baum immer wieder gerne zurück: „Ich liebe die alte Drahtseil-Fähre zwischen Wilhering und Ottensheim. Die Ruhe und Langsamkeit, mit der sie mich unbeirrbar von einem Ufer zum anderen bringt, erlebe ich immer als wunderbare Entschleunigung.“ Der Fluss spielt eine wesentliche Rolle: „Das ist das Wandelbare, wenn man an einem Strom wie der Donau lebt. Neben einem findet ununterbrochen Veränderung statt, während man selbst die Zeit nutzen kann, um zu sich zu kommen und an Ideen zu basteln.“
Die Bücher im Überblick
Da ist es auch kein Zufall, dass es den fiktiven Chefinspektor Worschädl immer wieder ans Donauufer zieht, um nachzudenken. „In einer nächsten Geschichte würde ich ihn gerne mit einer Holzzille in die Schlögener-Schlinge fahren lassen“, denkt Worschädl-Schöpfer, Thomas Baum, schon weiter. „Das sind die passenden Naturereignisse für ihn und seinen Autor.“
Ein ewiges Wechselspiel aus Bewegung und Innehalten, aus Spannung und Entschleunigung – das macht das Bundesland literarisch und im im realen Leben zum Pageturner.
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