Ein Künstler des Verstummens

Ein Künstler des Verstummens
Der 33-jährige Oberösterreicher Reinhard Kaiser-Mühlecker hat Chancen auf zwei Buchpreise.

Es ist der Versuch, das Vaterunser in einen Stecknadelkopf zu ritzen.

Der Versuch, ein Gespenst zu fangen. Der Versuch, einen Traum nachzuerzählen, an den man sich überhaupt nicht erinnern kann.

So hat der Oberösterreicher Reinhard Kaiser-Mühlecker einmal seine Bücher beschrieben.

33 ist er erst.

Sechs Romane gibt es von ihm – obwohl er eigentlich den Bauernhof der Eltern in Eberstalzell hätte übernehmen sollen.

Zwischen Handke und Stifter bewegt er sich, heißt es. Wobei sich Peter Handke mittlerweile gemeldet hat: "Zwischen Stifter und Hamsun sind Sie ein Dritter."

Der Gepriesene zog hoffentlich den Schlussstrich unter die Schubladisierungen: Er fühle zu Adalbert Stifter eine "Urenkelschaft".

Nicht zu verstehen

Reinhard Kaiser-Mühlecker ist mit dem eben erschienenen Roman "Fremde Seele, dunkler Wald" sowohl im Rennen um den Deutschen Buchpreis (Verleihung am 17. Oktober) als auch um den Österreichischen Buchpreis (8. November).

Höhepunkte einer Karriere, die 2008 mit dem Geräusch eines Zigarettenstummels begann, der im Wald wie ein vom Stein getroffener Vogel auf verdorrte Blätter fiel.

So klang es im Debüt "Der lange Gang über die Stationen". Es ging, wie der Schriftsteller gegenüber dem KURIER recht kurz zusammenfasste, darum:

"Man kann einen anderen Menschen nicht verstehen."

Ein Bauer suchte eine Bäuerin, er verpflanzte eine Frau aus der Stadt ... und nicht die spärliche Handlung blieb im Gedächtnis, sondern die Atmosphäre dieser archaischen Welt – die der Autor sehr gut kennt und es als Verpflichtung ansieht, sie darzustellen und erfahrbar zu machen.

Er beobachtet, nichts entgeht ihm, nicht einmal eine weggeworfene Zigarette.

In "Fremde Seele, dunkler Wald" fällt ihm in einer Szene im Dorfwirtshaus auf:

"Unter der Tür wurde ein Blatt hereingeweht – Birke."

("Ein Blatt" wäre zu ungenau gewesen.)

Rette mich, Herr

Zwei Brüder: Der Ältere hat sich aus dem Staub gemacht, lieber zum Bundesheer. Der Jüngere schupft den Hof. Das Geld geht aus, und seine Freundin wird schwanger, und nicht einmal von ihm ...

Kaiser-Mühlecker ist ein Künstler der Stille. Und der Enge. Der Fesseln. Nur ein Grantscherm könnte denken: Hier passiert nicht viel, und das ist ein Drama.

Hier bekommen die Menschen eine Stimme, bevor sie verstummen, weil ihre Gebete nicht erhört wurden: "Rette mich, Herr, denn die Wasser sind bis an meine Seele gekommen" (Psalm 69).

Und diese schreckliche Sehnsucht: Wohin mit uns?

Hier ist der Oberösterreicher nahe bei der Vorarlbergerin Eva Schmidt, die – mit "Ein langes Jahr" – ebenfalls im Finale um den Deutschen Buchpreis ist. Beide zeigen, was Sehnsucht bedeutet:

Man weiß nicht, wohin man möchte.


Reinhard Kaiser-Mühlecker:
„Fremde Seele, dunkler Wald“
Verlag S. Fischer. 301 Seiten. 20,60 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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