Wider die provinzielle Kleinheit

Christoph Leitl im Linzer Cafe Traxlmayr
Der Putin-Versteher Christoph Leitl engagiert sich für ein Europa inklusive Russland.

Was macht Christoph Leitl? Ein so umtriebiger Mensch wie er ist immer im Unruhestand. Der 72-Jährige war Landeshauptmannstellvertreter (1995–2000), Präsident der Wirtschaftskammer Österreich (2000– 2018) und Unternehmer. Seit Jahresbeginn ist er Ehrenpräsident der Europäischen Wirtschaftskammer, Vorsitzender der Global Chamber Platform („Wir vertreten 100 Millionen Mitglieder mit einer Milliarde Beschäftigter“), er ist Co-Vorsitzender des österreichisch-russischen Dialogs und Vorsitzender der Plattform Europäische Bewegung Österreichs.

Nur mehr 50 Stunden pro Woche

„Ich kann mich über Arbeitsmangel nicht beklagen, ich will es auch nicht. Ich sage immer, ein Radl, das zu langsam fährt, läuft Gefahr umzufallen, daher halte ich mein Radl in einer entsprechenden Geschwindigkeit.“ Den zeitlichen Aufwand schätzt er auf 50 Stunden pro Woche. „Früher habe ich 100 Stunden gehabt, ich mache es mir eh schon leichter“, sagt er und lacht. „Alles ist ehrenamtlich.“ Die Wirtschaftskammer Österreich stellt ihm ein Büro und einen Wagen zur Verfügung.

Putin-Freund Leitl

Leitl gilt als Putin-Freund. Muss man mit dem russischen Präsidenten angesichts des Truppenaufmarsches an der ukrainischen Grenze nicht einmal Deutsch reden? „Ich glaube, dass man mit ihm durchaus Deutsch reden kann, aber nicht in der Öffentlichkeit. Nicht durch ein Bashing, sondern in einer fairen Weise. Der Konflikt wäre ohne die Drohkulissen lösbar, mit ein bisserl Kreativität, mit ein bisserl Verständnis. Manche bezeichnen mich als Putin-Versteher und meinen das ein bisschen abwertend. Aber ich bekenne mich dazu. Auch wenn ich in vielen Punkten nicht seiner Meinung bin, versuche ich, seine Motive zu verstehen. Den Hintergrund des Landes, die unterschiedliche Herkunft und Kultur.“ Putin habe versucht, sich Europa anzunähern, er habe aber einen Korb nach dem anderen bekommen, unter anderem die NATO-Erweiterung.

Putin will die Sowjetunion zurück

Aber die von der Sowjetunion besetzten osteuropäischen Staaten haben nach ihrer Unabhängigkeit der NATO beitreten wollen, weil sie sich von Russland bedroht fühlten. Sie fürchten, dass Putin die alte Sowjetunion wieder herstellt. Die Krim und die Ostukraine wurden besetzt, da sei es doch logisch, dass die Ukraine aus Selbstschutz der NATO beitreten will?

Russland und China

Leitl: „Das ist die eine Sache. Die zweite Sache ist, was Putin fordert. Er fordert nur eine Sache. Sicherheit für Russland. Er will nicht 400 km vor Moskau NATO-Raketen stationiert haben. Er will eine Antwort, und es wird ausweichend geantwortet. Geben wir Russland Sicherheit, der Ukraine garantierte Unabhängigkeit und Europa einen Kooperationspartner zurück, was Amerika derzeit nicht so wünscht. Wenn wir zu einer Kooperation mit Russland kommen, haben wir auch die Chance, Russland wieder an Europa zu binden. Ich sehe, dass die Weichen in Russland Richtung China gestellt sind.“ Europa knalle mit einer angedrohten Ausweitung der Sanktionen den Russen die Tür vor der Nase zu. Wenn sich Russland mit China verbünde, würde es für Europa und in der Folge auch für Amerika sehr schwierig.

Problem Europa

Europa ist das große Thema, das Leitl seit Beginn seiner politischen Karriere beschäftigt. „Wir sind in Europa dabei, so viel falsch zu machen. Wir haben uns noch immer nicht durchgerungen, uns in wichtigen Fragen wie der Budget-, der Außen- und Sicherheits-, der Verteidigungs- und der Migrationspolitik vom Einstimmigkeitsprinzip zu verabschieden. Das lähmt uns.“

Politisches Biedermeiertum

Er plädiert auch für Europa in Österreich. „Wir sollten uns viel mehr aus der europäische Ebene engagieren. Alle großen Fragen der Welt, wie die des Klimas, der Migration und der neuen Technologien sind weltweite Probleme und können nur mehr durch weltweite Kooperation gelöst werden. Österreich kann das nicht allein lösen, das kann es nur, wenn es in Europa stärker mitwirkt und Verbündete sucht. Es besteht die Gefahr, dass wir unseren Einfluss unterschätzen und und unsere Meinung überschätzen. Und uns im Zwiespalt der beiden Aspekte in provinzielle Kleinheit zurückziehen. In diesem Sinn könnte man von einem politischen Biedermeiertum sprechen.“

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