"Unter den Bürgermeistern gibt es Frust"

Johann Hingsamer
Der Präsident des Gemeindebundes verteidigt die Eigenständigkeit der Gemeinden, die unter dem Schlagwort Kontrolle durch das Land einer neuen Bürokratie unterworfen werden soll.

Hans Hingsamer (61) ist Präsident des Gemeindebundes, Landtagsabgeordneter und Bürgermeister von Eggerding (Bez. Schärding).

KURIER: Die Kontrolle der Gemeinden soll verschärft werden. Das kann auch bedeuten, dass ein Bürgermeister abgesetzt werden kann.

Hans Hingsamer: Das, was jetzt angedacht ist, kann ich mittragen. Weil die Beratungstätigkeit der Bezirkshauptmannschaften verstärkt wird. Die Beamten schauen sich die Budgetvorschläge der Gemeinden genau an. Die Beratungen gehen auch weit in Richtung Empfehlungen. In der Landesdirektion Kommunales sind die Gemeindeprüfer angesiedelt.

Die Möglichkeit Bürgermeister abzuberufen besteht jetzt schon. Der Gemeinderat kann einen Mißtrauensantrag einbringen und ihn mit Mehrheit absetzen. Das Land kann das nicht. Bundesländer, die diese Möglichkeit haben wie Tirol, haben davon noch nie Gebrauch gemacht. Die Kernfrage ist, wie diese Bestimmung formuliert wird. Es darf zu keinen politischen Willkürakten führen. Die Möglichkeit einer Absetzung darf es nur dann geben, wenn die Gemeinde aufgrund einer Prüfung des Landes oder des Rechnungshofes nicht handelt.

Vorrangig entscheidet die Gemeinde, weil der Bürgermeister von der Gemeinde gewählt wurde.

Genau. Der Bürgermeister ist ja direkt gewählt, deshalb kann das Land nicht so locker sagen, wir setzen ihn einfach ab. Wenn aber klare Rechtsverstöße vorliegen, muss das Land die Möglichkeit haben zu steuern. Im Extremfall als letzten Schritt auch die Absetzung.

Die Missstände bei den Bauverfahren in St. Wolfgang waren einem relativ weiten Kreis bekannt. Warum wurde da nicht früher eingegriffen?

Das Eingreifen des Landes war schwierig.

Warum?

Weil der direkte Zugriff nicht möglich war. Außer über den Geldfluss.

Aber es handelte sich doch um Rechtsverstöße gegen die Bauordnung.

Das liegt in der Autonomie der Gemeinden. Das Land hat ja bei seinen Prüfungen darauf hingewiesen. Das, worauf der Rechnungshof nun neuerlich verwiesen hat, hat die Gemeindeaufsicht des Landes schon vor Jahren festgestellt. St. Wolfgang war die meistgeprüfte Gemeinde des Landes, weil Mängel bekannt waren. Die Prüfberichte waren immer in Ordnung.

Der eigentliche Schwachpunkt lag in der Gemeinde. Der Prüfungsausschuss des Gemeinderates muss sich mit dem Prüfbericht des Landes beschäftigen. Dieser Ausschuss hat das nicht wirklich gemacht, er ist nicht einmal seiner Prüfpflicht nachgekommen. Der Ausschuss hat auch nicht seine fünf Sitzungen pro Jahr gemacht, bestenfalls zwei. Es hat sich auch der Gemeinderat nicht wirklich mit den Prüfberichten auseinandergesetzt. Obwohl er die Prüfberichte ständig wiederkehrend bekommen hat.

Die Kontrolle in der Gemeinde hat versagt?

Sie hat versagt, keine Frage.

St.Wolfgang hat über viele Jahre hinweg die kostengünstigste Verwaltung des Landes gehabt. Die Kosten lagen zwischen 115 und 120 Euro pro Einwohner, wo jede Gemeinde, die 170 Euro schafft, schon gut ist. Der Bürgermeister hat übertrieben gespart und hat sich dessen auch noch gerühmt. Mehr als zwei Drittel der Vergehen in der Bauverwaltung waren Baufertigstellungsanzeigen, wo der Bauwerber verpflichtet ist, der Gemeinde seine Baufertigstellung anzuzeigen. Die Gemeinde hätte das verlangen müssen. Die Bauverwaltung hat dort überhaupt nicht funktioniert, was uns weh tut, weil 99 Prozent der Gemeinden das in Ordnung haben.

Ist die Verschärfung der Gemeindekontrollen gerechtfertigt? St. Wolfgang ist offensichtlich ein Einzelfall.

Meine Sorge ist, dass man wegen St. Wolfgang eine übertriebene Bürokratie aufbaut. Kontrolle muss funktionieren. Sie hat auch funktioniert, nur die Umsetzung in der Gemeinde hat nicht funktioniert. Wir reden vom Abbau der Verwaltung, machen aber genau das Gegenteil.

Landesrat Max Hiegelsberger wird vorgeworfen, dass er St. Wolfgang 430.000 Euro für den Schulbau überwiesen hat, obwohl ein Auszahlungsverbot durch Josef Ackerl vorlag. War die Überweisung gerechtfertigt?

Ich war nicht direkt eingebunden, deshalb kann ich nur Indirektes sagen. Diese Summe für den Schulbau war 2006 genehmigt, der Bau wurde mit einer starken Zeitverzögerung abgewickelt. Das, was die Gemeinde im Finanzierungsplan hat, steht ihr zu.

Eine Gemeinde kann ohne Landesgeld keine Schule bauen, weil sie damit alleine überfordert wäre.

Was wäre gewesen, wenn Hiegelsberger das Geld nicht gezahlt hätte? Die Gemeinde hätte noch mehr finanzielle Sorgen und Probleme, denn sie kann das aus eigener Kraft nicht erwirtschaften. Wen würde es treffen? Die Schüler und Eltern. Es wäre andernfalls in Richtung Darlehensfinanzierung gegangen, was die Gemeinde langfristig belastet. Es hätte die Probleme der Gemeinde nur vergrößert und nicht verkleinert. Die Gemeinde wäre vermutlich doppelt geschädigt gewesen.

Dass der Schulbau zeitlich so lange verzögert worden ist, kann man auch nicht gutheißen. Ex-Bürgermeister Hannes Peinsteiner war ein engagierter Mann, der sehr viel für St. Wolfgang gemacht hat. Es steht sehr gut da. Aber um Formalismen hat er sich nicht wirklich gekümmert. Das war sein Schwachpunkt. Er war mehr ein Manager und Macher. Wenn er einen Amtsleiter gehabt hätte, der sich darum gekümmert hätte, wäre das vielleicht nicht passiert. Es ist auch an der Verwaltung gelegen, aber er hat bei der Verwaltung übertrieben gespart.

Die Abwanderung aus dem ländlichen Raum geht ungebrochen weiter, der Zentralraum hingegen wächst und wächst. Ist man dieser jahrzehntelangen Entwicklung weiterhin hilflos ausgeliefert?

Die Digitalisierung wird uns in einer gewissen Weise helfen können. Es ist richtig, dass die peripheren Gebiete mit der Abwanderung kämpfen. Wir sehen zum Beispiel entlang der neuen Mühlviertler Schnellstraße ein gutes Wachstum, aber entlang der Randgebiete zu Niederösterreich und Tschechien haben wir Probleme. Oder im Sauwald rund um Vichtenstein, St. Ägidi und Engelhartszell. Wir bekommen in diese Gebiete auch nur schwer Betriebe hin. In den ländlichen Gebieten sind die Leute durchaus bereit, 15, 20 km zum Arbeitsplatz zu pendeln. Sie akzeptieren auch 30 km. Meine Gemeinde Eggerding ist in den vergangenen Jahren leicht um 80 Bewohner gewachsen, weil sich das Gewerbegebiet St. Marienkirchen-Suben und die Region Ort, St. Martin, Reichersberg hervorragend entwickeln.

Wir würden aber eine bessere Entwicklung entlang der Bundesstraße 137 (Grieskirchen-Schärding) benötigen.

Eine Chance ist möglicherweise der Fachkräftemangel. Die abgelegenen Gebiete verfügen über ein gutes und engagiertes Arbeitskräftepotenzial.

Das Innviertel ist dafür ein Beispiel, weil es landesweit wirtschaftlich am stärksten wächst. Stärker als der Zentralraum.

Beginnend mit 1. Februar sollen die Gemeinden die Beiträge zur Nachmittagsbetreuung in den Kindergärten einheben. Wie geht es Ihnen damit?

Ich habe kein Problem damit, dass von den Eltern für fünf Nachmittage Beiträge bis zur Maximalhöhe von drei Prozent ihres Einkommens verlangt werden. Wir werden wieder lernen müssen, dass der Staat nicht alles gratis machen kann.

Ein Problem ist, dass die notwendige Verordnung erst am 15. Jänner von der Landesregierung beschlossen worden ist. Am 16. Jänner haben die Gemeinden die Information erhalten, dass sie bis bis 31. Jänner die Beschlüsse im Gemeinderat fassen müssen. Das ist zu knapp und nicht gescheit.

Das ist zu knapp?

Ja, es ist zu knapp. Ich kann leider nichts anderes sagen als dass sie die Beschlüsse fassen müssen. Ich kann jetzt nicht einen Rechtsbruch begehen und ihnen sagen, diese Beschlüsse sind nicht notwendig. Die Frist ist ein Wahnsinn.Was hat das für einen Sinn, wenn ich Ende Jänner noch eine Sondersitzung des Gemeinderates einberufen muss, die mir in meiner Gemeinde 700 Euro, aber in einer größeren Gemeinde 2000 Euro kostet. Und ich kann im Februar bestenfalls 600 bis 700 Euro an Elternbeitrag einnehmen. Die Sitzung kostet uns mehr als wir in einem Monat Beitrag einnehmen können. Wir haben diese Probleme, weil die Einführung der Kinderbeiträge so schnell geht. Wir hätten ersucht, dass wir die Beschlüsse im Nachhinein fassen dürfen. Dazu war man nicht bereit. Wir haben das der Landesrätin nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich mitgeteilt. Sie war am Beginn dazu bereit, aber die Gemeindeaufsicht und der Verfassungsdienst haben gesagt, so einfach geht es nicht. Wir mussten es dann zur Kenntnis nehmen, dass die Verordnung anders gemacht worden ist.

Wäre es sinnvoll, die Einhebung der Beiträge um einen Monat zu verschieben?

Es wäre sinnvoll, aber das kann man jetzt nicht mehr machen. Es wäre sinnvoll gewesen, mit der Einführung der Beiträge überhaupt erst mit Beginn des Kindergartenjahres 2018/19 zu beginnen. Dann hätte man das gut vorbereiten können und alles wäre sauber gewesen. So ist es eine Partie, die sehr schnell geht. Es hätte uns schon geholfen, wenn wir statt dem 1. Februar den 1.März genommen hätten. Viele Gemeinden haben im Jänner keine Gemeinderatssitzung, weil sie im Februar den Rechnungsabschluss machen. Manche machen das auch im März. Jetzt sagen viele, wir haben am 10. Februar sowieso eine Sitzung, jetzt darf ich am 31. Jänner auch eine machen . Dieser Fristenlauf wird von den Gemeinden nicht verstanden und ich kann ihn auch nich t gutheißen. Es gibt einen Frust unter den Bürgermeistern.

Woran liegt es? An der Landesrätin? Sie ist erst seit einigen Monaten im Amt.

Ganz einfach. Der Finanzreferent hat sich erwartet, 13 Millionen Euro an Förderungen für die Kindergärten einzusparen. Und sich das Geld von den Eltern holen. Deswegen die rasche Umsetzung.

Was passiert mit den Gemeinden, die die Beschlüsse bis zum 31. Jänner nicht haben?

Das Gesetz wurde am 7. Dezember im Landtag beschlossen und auf diesem Gesetz aufbauend die Beitragsverordnung vom 15. Jänner. Eine Gemeinde, die das nicht erfüllt, bekommt die Landesförderung nicht. Diese beträgt für die erste Kindergartengruppe rund 55.000 Euro und für jede weitere 50.000 Euro. Ich habe in Eggerding einen dreigruppigen Kindergarten, bei mir wären das 155.000 Euro. Einen Wegfall dieses Geldes kann ich mir nicht leisten. Rund 60 Prozent der Kindergartenkosten werden durch das Land getragen.

Ist nicht auf Bundesebene eine Tendenz feststellbar, dass der Bund versucht, die Kompetenzen der Länder und Gemeinden auszuhöhlen? Vor allem auch finanziell?

Daran wird die neue Regirung verstärkt gemessen werden. Ob man den Föderalismus lebt oder dort Zentralisten am Ruder sind. Momentan haben wir schon ein bisserl die Sorge, dass es Zentralisierungstendenzen gibt. Es wird immer wieder versucht, den Ländern und Gemeinden etwas umzuhängen.

Das Thema Gemeindezusammenlegung hat sich beruhigt. Sie verfolgen die Entwicklung in der Steiermark, wo das Land gegen den Widerstand der Bevölkerung Fusionen vorgenommen hat.

Die Kosten für die Politik sind durch die Fusionen um 18 Prozent gesunken. Aber die Summe Vertretungskörper und Verwaltung sind um acht Prozent gestiegen.

Die Verwaltung hat sich verteuert?

Ja, sie ist teurer geworden. Das, was die Politik durch weniger Gemeinderäte und Bürgermeister gespart hat, hat die Verwaltung aufgesaugt.Es ist nicht billiger geworden. Es liegen nun bereits zwei Rechnungsabschlüsse, die Ergebnisse sind sehr deutlich.Die Steiermark ist durch die Zusammenlegungen in der Verwaltung österreichweit die teuerste geworden. Das ist auch bei den Gemeindezusammenlegungen in der Schweiz so gewesen. Sie bringen aber Qualität in der Dienstleistungserfüllung.

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