SPÖ-Gerstorfer: "Ältere digital nicht diskriminieren"

Birgit Gerstorfer, neue Präsidentin der Pensionistenverbandes Österreich
Birgit Gerstorfer ist seit einem Monat Präsidentin des Pensionistenverbandes Österreich. Die 61-Jährige war von 2016 bis 2022 Vorsitzende der SPÖ Oberösterreich und Landesrätin, vorher war sie Chefin des AMS Oberösterreich. Sie ist auch Landespräsidentin des Pensionistenverbandes.
KURIER: Sie haben an der Handelsakademie Eferding maturiert und sich von der Teilzeitsekretärin zur AMS-Landeschefin, zur SPÖ-Chefin und nun zur Präsidentin des Pensionistenverbandes hochgearbeitet. Was sind die Gründe für Ihren Aufstieg?
Birgit Gerstorfer: Es ist eine Kombination von mehreren Faktoren. Ich habe mich immer eingebracht und Verantwortung übernommen. Ich sage zu meinen Pensionisten scherzhaft, ich habe in der 4. Klasse Volksschule als Klassensprecherin begonnen und bin nun wieder Klassensprecher, nur ist die Klasse etwas größer und mit mir gemeinsam etwas älter geworden. Ich war stellvertretende Schulsprecherin, ich habe mich im Eltern- und Tennisverein engagiert. Und ich war mutig.
Man muss sich die Aufgaben und Funktionen selbst zutrauen. Worin sind dieser Mut und dieses Selbstbewusstsein begründet?
Ich habe einen Gestaltungswillen. Man kann ihn nur umsetzen, wenn man vorne steht. Das Selbstbewusstsein war immer da. Das hängt mit der Wertschätzung in der Familie zusammen. Wenn die Eltern loben, ist es etwas anderes, als wenn sie kritisieren.
Was haben Ihre Eltern gemacht?
Beide waren Arbeiter. Die Mama war bei der Textilfirma Stummer, mein Papa war in der voestalpine. Sie haben über viele Jahre ungleich geschichtelt, sodass immer ein Teil für die Kinder da war. Ich habe Halbe-Halbe erlebt. Mein Vater hat gekocht. Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich bemerkt habe, dass das in den Familien meiner Freunde anders ist.
Was sind Ihre Stärken?
Dass ich das Wort ergreife, dass ich ausgleichend sein kann. Ich versuche zu vermitteln und Lösungen zu suchen.
Sie waren noch keine 60, als Sie als Landesparteivorsitzende zurückgetreten sind. War das nicht enttäuschend für Sie?
Es war unerwartet. Ich konnte erst mit 60 in Pension gehen. Der Plan war, dass ich irgendwann nach dem 60. Geburtstag die Partei übergebe. Nach der Abgabe des Parteivorsitzes hatte ich eine gewisse Verschnaufpause und habe begonnen, die Dinge zu realisieren. Als Landesrätin bin etwas später zurückgetreten, ich konnte mich vorbereiten. Ich habe mich entschlossen, den Landesverband der Pensionisten zu übernehmen. Damit war klar, dass wieder eine schöne Aufgabe, ein Ehrenamt, auf mich wartet.
Es hat damals Spannungen mit dem Linzer Parteivorsitzenden und Bürgermeister Klaus Luger gegeben. Luger musste inzwischen vorzeitig zurückgetreten. Wie sehen Sie die Sache?
Kein Kommentar. Das ist Geschichte, ich blicke nach vorne.
Mit Martin Winkler gibt es einen neuen Landesparteivorsitzenden. Er ist aufgrund seiner beruflichen Laufbahn stark wirtschaftsorientiert. Wie sehen Sie ihn?
Jeder bringt seinen Erfahrungsschatz ein. Er ist ein ganz anderer Typ von Politiker. Vielleicht braucht es jetzt solche Typen. Ich schaue optimistisch in die Zukunft.
Die SPÖ erzielte bei der Landtagswahl 2021 rund 18 Prozent der Stimmen. Wie schätzen Sie die Chancen für 2027 ein?
Ich traue mir derzeit keine Prognosen abzugeben. Meine Gedanken sind weniger bei der SPÖ und der Landespolitik, ich bin bei den 2,5 Millionen Pensionistinnen und Pensionisten. Ich schaue nicht nur auf unsere 300.000 Mitglieder, sondern auf die gesamte ältere Generation.
Ihr Gegenüber in der ÖVP ist Ingrid Korosec, die mit 84 Jahren wieder in den Wiener Landtag gewählt worden ist. Streben Sie auch ein öffentliches Mandat an?
Nein (lacht). Ich bin nun Präsidentin des Pensionistenverbandes Österreich. Das wird meine Rolle für die nächsten zwei Jahre sein. 2027 ist dort die nächste Wahl, ich gehe davon aus, dass ich wiedergewählt werde. Ich habe also sieben Jahre vor mir. Die Möglichkeit, dass ich zu einem Mandat komme, ist bescheiden bis gar nicht vorhanden. Das ist nicht meine Zielsetzung.
Sie lehnen eine Erhöhung des Pensionsalters ab. Warum?
SPÖ, ÖVP und FPÖ lehnen eine Erhöhung ab. Es wurde nun die Teilpension im Nationalrat beschlossen. Es ist das Korridorpensionsalter schrittweise erhöht worden. Wir stecken mitten in der Erhöhung des Frauenpensionsalters. Viele Maßnahmen wirken aktuell. Es wurde der Nachhaltigkeitsmechanismus beschlossen, den der Pensionistenverband kritisch sieht. Er beinhaltet Sparpläne, die automatisch greifen, damit die Pensionen finanzierbar bleiben. Ende 2030 wird hier Bilanz gezogen.
Es ist schon viel passiert, es geht darum, das faktische Pensionsalter zu erhöhen. Das ist nicht nur eine Frage der Arbeitnehmer, sondern auch eine der Arbeitgeber. Es werden zum Beispiel viele Arbeitnehmer beim AMS als Arbeitslose zwischengeparkt. Würden sie weiterarbeiten, müsste der Staat nicht 700 Millionen Euro für das AMS benötigen. Und die Arbeitnehmer würden gleichzeitig Versicherungsbeiträge einzahlen. Auch die Arbeitgeber haben eine große Verantwortung. Nur jeder 20. Beschäftigte in den Unternehmen ist über 60. Die Anhebung des Pensionsantrittsalters die letzte Lösung, wenn es nicht anders geht.
Von der Anhebung des faktischen Pensionsalters wird schon seit 20 Jahren geredet. Es tut sich wenig bis gar nichts.
Hier muss ich deutlich widersprechen. In den vergangenen 15 Jahren ist das faktische Pensionsalter um mehr als drei Jahre gestiegen. Das Pensionsantrittsalter lag 2024 bei den Frauen bei 60,2 Jahren und bei den Männern 62,3 Jahren. Das Antrittsalter ist in einem Jahr um 0,2 Jahre gestiegen.
Das ist nicht sehr viel.
Für ein Jahr ist das viel. Es ist ein guter Schritt. Es ist auch die Anzahl der Versicherten gestiegen. Die Höhe der Beitragsleistungen ist um acht Prozent gestiegen. Bei den ASVG-Versicherten muss die Pensionsversicherung lediglich acht Milliarden Euro dazu zahlen.
Das sind immerhin acht Milliarden.
Aber in der Öffentlichkeit wird immer über 30 Milliarden Euro geredet. Da sind die Beamtenpensionen und viele Sozialleistungen wie die Ausgleichszulage und Rehabilitationsmaßnahmen enthalten. Und es sind die Beiträge für die SVS-Versicherten (Sozialversicherung der Selbstständigen) und die Bauern dabei. Es geht also in die richtige Richtung, aber im öffentlichen Diskurs wird das nicht besprochen. Da wird Panikmache betrieben.
Das hat zur Folge, dass unsere Jungen nicht mehr auf das Pensionsversicherungssystem vertrauen. Das hat zur Folge, dass sie nicht mehr die Motivation haben, Vollzeit zu arbeiten und sich die Auszeiten zu ersparen. Meine Eltern haben zu mir gesagt, wenn du arbeitest, hast du einmal eine Pension, von der du leben kannst. Das ist eingetroffen. Ich sage das auch zu meinen Kindern. Sie reagieren anders als ich reagiert habe. Sie sagen, es ist fraglich, ob die Pensionen finanzierbar bleiben. Warum soll ich statt 30 Stunden Vollzeit arbeiten gehen? Ich muss sowieso länger arbeiten und muss mir meine Kraft einteilen. Es spielen sich hier psychologische Aspekte ab, die man nicht unterschätzen darf.
Qualifizierte Experten wie Christine Mayrhuber, die Vorsitzende der Alterssicherungskommission, argumentieren, dass man das Pensionssystem adaptieren muss. Denn die Pensionen würden zu 27 Prozent durch Mittel aus dem Bundesbudget finanziert, das binde wiederum rund 13 Prozent des Bundeshaushalts.
Es sind permanent Reformen gemacht worden. Seit dem Jahr 2000 ist es Schritt für Schritt zu einer Verschlechterung gekommen, zugunsten der Finanzierung der Pensionen. Jetzt gibt es wieder einen großen Schub an Veränderungen, den es schon lange nicht mehr gegeben hat. Wirklich erwähnenswert ist der Nachhaltigkeitsmechanismus. Er bedeutet nichts anderes, dass die künftige Bundesregierung 2030 Maßnahmen setzen muss, weil sie gesetzlich dazu verpflichtet ist. Dann wird die Frage des Pensionsalters wieder aufflammen. Man muss aber jetzt den Maßnahmen Zeit geben, dass sie wirksam werden. Die Anhebung des Frauenpensionsalters endet erst 2033.
Was sind Ihre Ziele als neue Präsidentin des Pensionistenverbandes?
Wir haben große Themenschwerpunkte in den Bereichen der Gesundheit, der Pflege und der Pensionen. Weiters geht es um die Altersdiskriminierung im digitalen Bereich.
Was verstehen Sie darunter?
Sie beginnt bei kleinen Dingen. Wenn zum Beispiel Handelsunternehmen Handy-Apps zur Verfügung stellen, und Preis-Aktionen nur mit der App möglich sind. Oder dass der Reparatur- oder der Handwerkerbonus nur online zur Verfügung stehen. Das geht so weit, dass Menschen nicht mehr mit dem Zug fahren können, weil sie sich kein Ticket mehr kaufen können, wenn es am Bahnhof keinen Verkaufsschalter mehr gibt.
Es gibt auch jüngere Menschen, die digital nicht so affin sind. Möglicherweise haben wir in 20 Jahren eine so stark digitalisierte Welt, dass auch unsere Generation nicht mehr mitkommt. Diese Gefahr ist existent. Es muss hier analoge Alternativlösungen geben. Wir bieten digitale Schulungen an. Es gibt aber einen bestimmten Anteil, die sich da nicht drüber trauen. Ich kenne ein Paar, wo sie 85 und er 96 ist, die tun sich einfach mit Online-Bestellungen oder mit der ID-Austria schwer.
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