Ärger über Sonntags-Demos: „Wir Steyrer sind so nicht“
Wo die Steyr mit ein wenig Getöse in die Enns mündet, liegt die Altstadt von Steyr. Durch die Enge Gasse ist es von dort nicht weit zum historischen Stadtplatz.
Jeden Sonntag mündet dort der immer noch andauernde Protest, der ursprünglich gegen die Corona-Maßnahmen gestartet wurde, lautstark mit großem Getöse im Steyrer Stadtspaziergang.
Seit 145 Wochen, fast drei ganze Jahre, jeden Sonntag, um 18 Uhr. Negativer Höhepunkt: Dass einmal sogar der bekannteste Neonazi Österreichs, Gottfried Küssel, mitspaziert ist.
Wie das mit der Wahl zum schönsten Platz Österreichs zusammenpasst, wie es den Steyrern damit geht und welche Initiativen gegen die Dauerdemonstranten entwickelt wurden, lesen Sie hier.
Eine Publicity, die sich Steyr jetzt, bei der Wahl zum schönsten Platz Österreichs, unter anderen Umständen, wünschen würde.
OÖ-Sieger
Die Altstadt von Steyr hat sich als Finalist aus OÖ durchgesetzt
Die Politik
SPÖ-Bürgermeister Markus Vogl ist glücklich über die Wahl von Steyr. Und hier ist er einer Meinung mit dem FPÖ-Vizebürgermeister Helmut Zöttl, der hofft, dass Steyr Bundessieger wird. Ruth Pohlhammer von den Grünen wäre es hingegen lieber gewesen, wenn „Steyr ein Geheimtipp“ geblieben wäre
Die Altstadt
Die Steyrer Altstadt hat ein dichtes Gefüge an mittelalterlichen und barocken Bürgerhäusern. Besonders sticht das „Bummerlhaus“, ein spätgotisches Bürgerhaus, hervor
Aber die Gegner des Stadtspaziergangs begegnen diesem auch mit Galgenhumor: „Wahrscheinlich gehen sie hier, weil es so schön ist in Steyr.“
"Auf Küssel hätte ich verzichtet"
Aber zurück zum Spaziergang. „Mit dem KURIER reden wir nicht, niemand vom Stadtspaziergang“, steckt der Versammlungsleiter die Fronten ab.
Ganz soll er nicht recht behalten. FPÖ-Vizebürgermeister Helmut Zöttl kommt extra für den KURIER wieder einmal zum Stadtspaziergang der Impf- und Systemgegner. Anfangs war er immer dabei. Auch in Wien und an anderswo.
Während gegen Impfungen und die Weltgesundheitsorganisation WHO gewettert wird, gibt sich Zöttl gemäßigt. „Auf Küssel hätte ich verzichtet“, sagt er, „alles, was in eine extremistische Richtung geht, brauche ich nicht.“
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Den Spaziergang hält er für legitim: „Der hat sich etabliert und er bringt auch alternative Informationen, die es sonst nicht so gibt.“ Den Unmut der Bevölkerung verstehe er, aber „der Lärm wird weniger“.
Bevölkerung verärgert
In Steyr ist es an diesem Sonntagnachmittag kühl, am Abend wird es noch stark regnen. Eine Schülerin wartet beim Bus auf ihren Freund.
Die lärmenden Protestierer schränken sie am Sonntag oft ein, zwei Pensionistinnen regen sich ebenfalls auf: „Dass so etwas jeden Sonntag geduldet wird, ärgert uns.“
Junge Familie flüchtet vor der Demo
Eine junge Familie schlendert über den Hauptplatz und ist wegen leer stehender Geschäfte enttäuscht. Auf die Frage nach den Protestmärschen sagt die junge Mutter: „Geh leck, da müss’ ma schauen, dass wir rechtzeitig wegkommen.“
Für ein älteres Ehepaar waren die Spaziergänge hingegen selbst eine Art Psychotherapie: „Wir waren am Anfang oft dabei, ein Seelenbalsam, da haben wir uns verstanden gefühlt.“
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Dass das für die Bewohner anstrengend sein kann, räumen sie ein. Für gerechtfertigt halten sie die sonntäglichen Demos dennoch. Nachsatz: „So lange sich keiner anklebt.“
"Spaziergang" startet mit Trommelwirbel
Es ist schon dunkel, als der orange Oldtimer-Traktor, natürlich ein Steyr, den heute mit 118 Teilnehmerinnen und Teilnehmern kleinen Zug an „Spaziergängern“ über die Berggasse viereinhalb Kilometer durch die Stadt anführt.
Laut ist der dennoch. Sehr laut. Gerade in den engen Gassen – etwa der Engen Gasse auf der anderen Seite des Stadtplatzes, fühlt es sich noch viel lauter an.
Ein lokaler Unternehmer wird deutlich: „Für mich war das einfach geschäftsschädigend.“ Seinen Namen will er lieber nicht in der Zeitung lesen: „Es wurden Unternehmer auch persönlich angegriffen.“
Das wolle er sich ersparen. Er ist überzeugt: „Hier leben so viele freundliche, weltoffene Leute. Das Image dieser Demonstranten brauchen wir in Steyr nicht, es ist auch nicht repräsentativ für Steyr.“
Zug wird „behindert“
Dass der Zug nicht mehr über den Grünmarkt ziehen kann, hat einen besonderen Grund. Beim Neutor hat sich die Torwache formiert.
Ein Zusammenschluss verschiedener Organisationen und Gruppen aus Steyr. „Wir sind das antifaschistische Bollwerk“, sagt Ruth Pohlhammer von den Grünen in Steyr.
Als in Wien im Dezember 2021 das Lichtermeer „Yes we care“ stattgefunden hat, hat sich auch die Initiative in Steyr zusammengefunden.
Seither sorgt sie an der Stadteinfahrt jeden Sonntag „für Sonntagsruhe“, samt politischer Aufklärungsarbeit. Denn von dieser Versammlung muss sich der rechte Demozug fernhalten.
Mit einem kuriosen Delikt müssen sich zurzeit einige Aktivisten der Grünen herumschlagen, wie Ruth Pohlhammer dem KURIER schildert.
Zuletzt habe sie ein an sich wunderbares Tanzabo des Brucknerhauses für drei Tanzabende erhalten. Andere wiederum hätten teure Schuhe und ein Mieder, eine Münzsammlung oder Olivenöl zuschickt bekommen, ohne irgendetwas davon je bestellt zu haben.
Pohlhammer: „Anfangs dachten wir an einen Irrtum.“ Jetzt wird immer Anzeige erstattet. „Es ist für die vielen Geschädigten sehr mühsam, man fühlt sich beobachtet und gestalkt“, sagt Pohlhammer, die auch weiß: „Das hinterlässt bei den Betroffenen auch Spuren.“
Mit den Demonstrationen geht es SPÖ-Bürgermeister Markus Vogl und SPÖ-Stadträtin Katrin Auer „sehr schlecht, aber wir müssen das aushalten“. Vogl sieht das „demokratische Recht der Versammlungsfreiheit“ ausgenutzt und ausgehebelt.
Und Auer, am Sonntag selbst mit rotem Schirm am Neutor, ergänzt: „Wir Steyrer sind so nicht.“
„An Nazis erinnert“
Beim Roten Brunnen, jenseits der Steyr, ist die Stimmung gelöst. Nachbarn sitzen unter großen Sonnenschirmen, die den Regen abhalten, zusammen.
Es ist kalt, aber doch sehr heimelig. Im Schanigarten eines Lokals dürfen die Nachbaren ihre „Versammlung“ abhalten.
„Plätschern statt Plerren“ wurde ebenfalls gegründet, um an einem neuralgischen Punkt, an dem sich drei Straßen treffen, die „ungustiöse Mischung von Fake News und Weltverschwörung“ aus dem eigenen Viertel fernzuhalten, erklärt Michael Atteneder, der Sprecher dieser Initiative: „Dass die Straßen mit Lärm erobert werden, erinnert die alten Menschen bei uns an die Nazis.“
Aus der Initiative ist mittlerweile „ein herausragender Dorfstammtisch geworden, wir vernetzen und beraten uns und tauschen uns über Projekte aus“, sagt Atteneder.
Wobei er über die Demonstrierer sagt: „Die machen mir keine Angst. Angst macht mir, was Kickl sagt und dass sich die FPÖ-Jugend an die Identitären annähert.“
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