Der vielseitige Mister Gutenbrunner
Pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt stehen sie da. Johannes Gutenbrunner und sein weißer Tesla. Der Linzer Taxler ist einer von nur acht Fahrern, der auf ein Elektroauto schwört. Von insgesamt 462 in ganz Linz. Im Taxi haben wir uns kennengelernt.
Aber Gutenbrunner, Jahrgang 1961, fährt nicht nur Taxi. Er ist Fremdenführer in Linz und in der Gedenkstätte Mauthausen. Darüber hinaus betreibt er in St. Leonhard bei Freistadt im Mühlviertel einen Biobauernhof mit Hühnern und Schafen. Und mit Bienen, denn Imker ist Gutenbrunner auch noch. Aber der Reihe nach.
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Außenlager 2
Mit dem Tesla geht es vom Bahnhof in Linz Richtung Bauernberg. Hinter einer unscheinbaren Türe, für die Gutenbrunner einen Schlüssel hat, eröffnet sich ein dunkles Kapitel Linzer Stadtgeschichte.
Ein in den Berg geschlagenes weitverzweigtes Netzwerk an Stollen. 14 Kilometer insgesamt, ab 1944 auf Befehl von Adolf Hitler in seiner Lieblingsstadt Linz „mit Hochdruck zu errichten“, wie es in einem „Führerbefehl“ ausdrücklich heißt.
Zwei Millionen Ziegel wurden von Hitler gleich dafür reserviert, denn Baumaterial war knapp zu der Zeit.
„Bis zu 25.000 Linzerinnen und Linzer haben bei den insgesamt 22 Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg auf die Stadt hier Zuflucht gefunden“, weiß Gutenbrunner, der mit Helm und Taschenlampe sicher durch das Labyrinth führt.
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Zugänglich ist eigentlich nur der Limonistollen. Dort hat sich eine privilegierte Gruppe der damaligen Nazi-Oberschicht einen etwas besseren und leichter zugänglichen Schutz von den Bombenangriffen bauen lassen, schildert Gutenbrunner.
Und als Kommandozentrale für die Gestapo. Von Zwangsarbeitern aus Mauthausen, im Linzer Außenlager 2.
Keine Gedenkstätte
Das Tunnelsystem besteht aus insgesamt acht Stollen, teils im Privatbesitz. Die ASKÖ-Sportschützen haben einen Schießstand drinnen, und es werden Führungen angeboten.
Maximal drei Gruppen mit je 20 Personen dürfen sich gleichzeitig drinnen aufhalten, zweieinhalb bis drei Kilometer sind begehbar. Wein- und Eiskeller waren schon lange in die Hausberge von Linz geschlagen, die Nazis haben die Stollen ausgebaut und mit ausgeklügelten Lüftungs- und Sanitäranlagen ausgestattet.
Vieles ist heute noch zu erahnen. Wir sehen große Hallen, kleine Kammern, Stollen mit großen Spannweiten, kleine höhlenartige Durchgänge. Porträts an den Wänden, von denen niemand weiß, wer sie gemalt hat.
Das meist in absoluter Dunkelheit, die Gutenbrunner mit seiner Taschenlampe durchdringt. Es hat 8-12 Grad. Wenn Gutenbrunner die Geschichten von den Zwangsarbeitern erzählt, würde es einen auch bei 30 Grad und mehr frösteln.
Er ist froh, dass die Stollen wenigstens in der jetzigen Form mit Führungen zugänglich sind. Dass es weder Stadt, Land noch Bund notwendig finden, etwa eine dauerhaft zugängliche Gedenkstätte zu etablieren, ärgert den engagierten Fremdenführer. Das wäre angemessen und notwendig, findet er.
Stelen erinnern Linz
Wir verlassen den Stollen und wenden uns den Stelen zu. An 25 Plätzen der Stadt hat Linz ein besonderes Gedenkprojekt an die Opfer des Nationalsozialismus, hauptsächliche Jüdinnen und Juden, etabliert.
Stelen mit Namen und Geburtsjahr der Opfer sowie Angaben zur Deportation, Ermordung oder Flucht graviert. Samt einer Klingel – so, als würde man noch bei den Menschen anläuten können.
Demnächst wird es auch Führungen zu den Stelen geben, die Gutenbrunner mitentwickelt hat. Seine Tätigkeit aus Fremdenführer, auch in Mauthausen, wo er seit fast zehn Jahren akkreditiert ist, hat Gutenbrunner viele besondere Begegnungen beschert.
Etwa mit einer 80-jährigen aus Österreich vertriebenen Jüdin, die von ihrem Onkel in den USA aufgezogen wurde, der Mauthausen überlebt hat: „Bei diesen Führungen ist mir erst bewusst geworden, welche Verantwortung wir haben.“
Rechte Gesinnung blieb
Der gerade in Oberösterreich stark ausgeprägte Rechtsextremismus bereitet ihm Sorgen: „Die Gesinnung ist nicht mit Kriegsende vom Erdboden verschwunden. Österreich war nicht das erste Opfer, die Überzeugung, dass das Deutsche besser sei, sitzt sehr tief.“
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Während er das erzählt, sind wir schon aus Linz draußen. Ein Stück auf der Mühlkreisautobahn Richtung Freistadt, dann rein ins Mühlviertel. Hagenberg, Pregarten, Selker, Gutau.
Der tägliche Weg des Biobauern zurück aus Linz zum idyllisch abgelegenen Hof in Attenedt, einem Ortsteil von Maasch, der nur über einen Güterweg erreichbar ist.
Am Bio-Bauernhof
Sieben Hektar Wiesen, zwei davon verpachtet, und etwa ebenso viel Wald bewirtschaftet Gutenbrunner. 16 Shropshire-Schafe und ein Widder, rund 20 Hühner, zehn Bienenvölker und seine 84-jährige Mutter warten auf ihn.
In der Ferienwohnung mit einzigartigem Blick ins Mühlviertel war zuletzt eine aus der Ukraine vertriebene Familie untergebracht, die Mutter berichtet ihrem Sohn über eine Anfrage für Oktober.
Der gelernte Koch, der mit einer Japanerin verheiratet ist und zwei Kinder hat (der Sohn ist 27, die Tochter 26), hätte sich nicht gedacht, die Wirtschaft zu übernehmen.
Gemacht hat er es doch, zuvor war er in der IT-Branche als Quereinsteiger tätig: Als Localisation-Manger hat er in Hagenberg Computer-Software übersetzt.
2006/2007 hat er sich zum Fremdenführer ausbilden lassen, den Taxischein gemacht und ist Imker geworden: „Das war eine lange Durststrecke, aber heuer habe ich 200 Kilo Honig erzeugt. Die Bienen waren fleißig.“
Taxifahren bereichert
Während er ein hervorragendes Mittagsmenü in der Küche zaubert (gebratene Stelze vom eigenen Schaf, Reis mit knusprigem Seetang und Krautsalat, dazu Mühlviertler Misosuppe), wird der Tesla an der hauseigenen Photovoltaikanlage geladen.
Gutenbrunner schaut nach, wie viel Strom die Sonne grade produziert und lächelt zufrieden. Nach dem Essen geht es wieder nach Linz, zum Taxifahren: „Das macht mir zu 90 Prozent wirklich eine Freude.“
Auch wenn er schon den ganzen Tag am Bauernhof gearbeitet hat, fährt er am späten Nachmittag gerne die knapp 50 Kilometer nach Linz: „Wenn ich am Abend nach all den Begegnungen heimkomme, bin ich zwar körperlich müde, aber fühle mich doch immer auch sehr bereichert.“
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