Verhandelt wird ein Vorfall, der über das Internet inszeniert wurde, im Gerichtssaal funktioniert zu Prozessbeginn genau das nicht. "Über Tiktok werden wir das Verfahren nicht abwickeln", witzeln Richter und Anwalt, während ein Techniker die Internet-Probleme behebt.
Dann geht es zur Sache. Die Staatsanwältin schildert nochmals die Vorfälle der Halloween-Nacht, bei denen der 17-Jährige allerdings nicht mehr dabei war, als die tatsächlichen Angriffe auf die Polizisten losgingen.
Er war am Anfang dort und hat gegen 18 Uhr am Taubenmarkt noch gefilmt, ist aber bald nach Hause gefahren. Am Bahnhof in Linz, wo er den letzten Zug erwischen wollten, hat er nochmals ein Video gepostet.
Linz wird zu Atena
Jenes Video, mit dem er einige Tage zuvor zu den Krawallen aufgerufen hat. Er war es nämlich, der das Video „Morgen wird Linz zu Athena“ auf seinem Tiktok-Kanal veröffentlicht hat.
"Mit Bildern vom Taubenmarkt hat er junge Leute aufgefordert, eine Straßenschlacht gegen die Polizei zu starten. Ihm war bewusst, dass es zu Körperverletzungen kommen kann", wirft die Staatsanwältin dem Angeklagten vor.
Er habe im Internet berühmt werden wollen – das war seine Verantwortung im Ermittlungsverfahren, das ist seine Verantwortung vor Gericht.
Erst keine Reue
In den Chats nach der Nacht hat er keine Reue gezeigt und sich damit gebrüstet, was in Linz in der Halloween-Nacht passiert sei, schildert die Staatsanwältin und betont: "Für ihn gilt: Für das, was er in der virtuellen Welt macht, muss er in der realen Welt Verantwortung übernehmen."
Das Video gepostet zu haben, gestehe sein Mandant, sagt der Anwalt, aber er relativiert: "Es gibt Typen, die Böller werfen, Leute, die die Polizei attackieren. Dann gibt es Mitläufer, die mit junger Naivität sich hinreißen lassen, so etwas zu posten. Aber dabei bleibt es dann auch. Er hat nichts geworfen, hat nur beobachtet und ist dann wieder gefahren."
Und für seinen Mandanten spreche, dass er unbescholten sei und eine Tischlerlehre absolviere: "Die Berufsschule im ersten Semester hat er gerade positiv absolviert."
In der Zwischenzeit hat der 17-Jährige Familiengerichtshilfe in Anspruch genommen – über Zoom. Der Richter sagt: "Eigentlich zeichnet das Protokoll davon ein ganz anderes Bild von Ihnen, als von einem Mann, der wegen dieses schweren Vorwurfs vor Gericht steht."
Probleme statt Reichweite
Sein Posting hat durchaus "eingeschlagen", stellt sich im Zuge der Einvernahme durch den Richter heraus. 500 Likes und Kommentar, zig-tausende dürften das Video gesehen haben. „Probleme habe ich geschafft, aber Reichweite nicht“, hat der junge Mann bei der Polizei eingeräumt. Vor Gericht sagt er, „ich habe mich stundenlang auf Tiktok aufgehalten“.
Obwohl sein Freundeskreis mit rund 30 Followern klein sei, ist das Video viral gegangen. Warum gerade dieses Video, will der Richter wissen. Der junge Angeklagte sagt: „Das weiß ich nicht.“
Die Verknüpfung von Atena und Halloween, betont er, sei seine Idee gewesen. Aber er ist sicher, an Halloween wäre trotzdem etwas passiert, weil das Jahr vorher auch Böller geschossen wurden in Linz. Dass sich viele Teilnehmer und spätere Beschuldigte auf sein Video berufen hätten, sei ihm aber bewusst.
Auf die Frage, ob er ein Drahtzieher gewesen sein, sagt er: „Nein, das war nur eine blöde Idee von mir.“
Nach dieser Nacht habe er seinen Freundeskreis verkleinert. Viele angebliche Freunde hätten „nur ihren Arsch retten wollen“, liest der Richter aus den Einvernahmen vor. Seine jetzigen Freunde stehen nicht im Konflikt mit dem Gesetz.
Eltern einbinden
Die Jugendgerichtshilfe wünscht sich eine Weisung, dass der junge Mann eine Beratung für einen adäquaten Medienumgang absolviert. Dazu wäre er bereit.
Der Richter schmunzelt, als er fortfährt: „Die Eltern sollten auch eingebunden wären. Ich weiß selber auch nicht, was auf Tiktok los ist.“ Seine Eltern würden in sehr unterstützen, sich an Regeln zu halten, beeilt sich der Angeklagte, zu erklären.
„Was tun wir mit Ihnen?“, fragt der Richter dann sich und die Geschworenen. „Ins Gefängnis will ich nicht“, sagt der Angeklagte und schüttelt den Kopf.
Der Richter wägt ab und fragt nach: „Ist es notwendig, sie einzusperren?“ Der junge Mann sagt: „Nein, ich habe aus meinen Fehlern gelernt.“ „Reich und berühmt wollen Sie nicht mehr werden?“, fragt der Richter. „Nein, ich will eine Fachausbildung als Tischler abschließen.“
Razzia als Denkanstoß
Ein Schöffe fragt, wann der Sinneswandel eingetreten ist. „Bei der Razzia, bei der Hausdurchsuchung ist mir das bewusst geworden“, gesteht er. „Das war auch meinen Eltern unangenehm.“
Gegen die Polizei hege er keine unangenehmen Gefühle, antwortet er auf eine diesbezügliche Frage.
Als die Sache in die Medien kam, habe er sich schon geschämt, räumt er auf Nachfrage der Staatsanwältin ein.
Dass er später habe er geschrieben, "wir haben wirklich Atena gemacht", „ich fick Polizei, Silvester, ich komme zurück", worauf ein Freund geantwortet habe, „bau keine Scheiße“, könne er sich heute nicht mehr erklären.
"Atena ist nicht mein Vorbild"
Über Atena sagt der Angeklagte: „Der Anfang war gut, das Ende nicht. Aber Atena ist nicht mein Vorbild. Ich habe es mit Linz und Halloween verknüpft, weil ich blöd war. Die Polizei zu bekämpfen ist nicht in Ordnung.“
„Sie sind jetzt berühmt“, sagt der Richter abschließend, „aber nicht so, wie sie es wollen.“
Nach den Schlussplädoyers ziehen sich Richter und Schöffen zurück. Nach 25 Minuten Beratung das Urteil: Sechs Monate Haft, auf drei Jahre bedingt nachgesehen. Der junge Mann atmet durch, nach kurzer Beratung mit Anwalt und Eltern nimmt er das Urteil an, auch die Staatsanwaltschaft stimmt zu und gibt dem Angeklagten damit eine neue Chance. Das Urteil ist rechtskräftig.
Darüber hinaus wird dem Mazedonier für drei Jahre ein Bewährungshelfer zugeteilt. Und auf Wunsch der Jugendgerichtshilfe erhält der Halloween-Anstifter die Weisung, eine Beratung für einen adäquaten Medienumgang zu absolvieren. Er nickt zustimmend.
Verantwortung für Posting
Der Richter weiter in seine Begründung: "Wir haben ein Strafausmaß gewählt, das gerade noch nicht in einem Leumundszeugnis aufscheint. Aber ohne sein Zutun wären nicht so viele Leute dort gewesen. Er war der Grund, warum 2022 so viel mehr passiert ist als 2021. Dafür muss man im realen Leben Verantwortung übernehmen – was man in den sozialen Medien, in dem Fall a-sozialen – Medien, postet."
Das Handy, mit dem er das Posting abgesetzt hat, wird auf Beschluss des Gerichts konfisziert - weil es ein Tatwerkzeug war. Detail am Rande: Zum Leidwesen des Richters wird es nicht einfach vollständig, sondern in einem Hochofen der Voest verbrannt, "weil wir Tatobjekte nicht weitergeben dürfen".
Sehr fürsorglich wendet sich der Richter abschließend zum jungen Mann: "Wir wollen, dass sie arbeiten und ein ordentlicher Mitbürger bleiben“. Dann macht er ein Pause und sagt: "Werden. Ihre Eltern wollen ja auch keinen Gangster als Sohn haben." Der Angeklagte nickt wieder zustimmend, während der Richter abschließt: "In drei Jahren würde ich gerne unterschreiben, dass die Strafe getilgt ist."
Kommentare