Dynatrace-Mitbegründerin Taing: „Mit Vielfalt blinde Flecken reduzieren“
Das Firmengebäude des Tech-Unternehmens Dynatrace prägt das Linzer Stadtbild: Der geschwungene Glasbau ist von der Voest-Brücke aus prominent zu sehen.
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Drinnen tut sich ein gemütlich-innovatives Universum auf – mit Schaukeln auf den Gängen, einem Café im vierten Stock und dem schönsten Raum ganz oben als Rückzugsort für alle. Technische Geräte sind dort nicht erlaubt.
An der Börse
Mit Studienkollegen gründete Sok-Kheng Taing 2005 das Unternehmen in Linz, 2019 kam der Börsegang. Obwohl es mittlerweile zahlreiche Niederlassungen weltweit gibt, ist jene in Linz die größte und das Herz der internationalen Softwareentwicklung. Bald 20 Jahre später setzt sich die 49-Jährige nach wie vor für den Standort in Oberösterreich ein.
KURIER: Dynatrace hat Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus vielen Ländern. Wie sieht es in Oberösterreich mit der Willkommenskultur aus?
Sok-Kheng Taing: Was das Unternehmen betrifft, bekommen wir die Rückmeldung, dass es vibriert und wir international aufgestellt sind. Das ist gut, denn unsere Aufgabe als Unternehmen ist es, attraktive Arbeitsplätze zu schaffen.
Natürlich gibt es ein Leben nach der Arbeit, viele Internationals kommen ja mit ihren Familien. Hier schätzen sie die kurzen Wege und die Natur, die Verfügbarkeit von Öffis, den Zugang zum Gesundheitswesen, dass man mit der eCard jederzeit zum Arzt gehen kann. Das ist für Amerikaner sicherlich ein schönes Erlebnis.
Wo gibt es Luft nach oben?
Mit Englisch funktioniert es meistens, da gibt es eine Wende in den vergangenen sieben, acht Jahren. Schön wäre es, wenn Englisch zur Selbstverständlichkeit werden würde – etwa bei Ansagen in Straßenbahn, bei Behördengängen, bei digitalen Services oder bei Formularen. Wir kooperieren mit Firmen und Universitäten. Die brauchen auch internationale Studentinnen und Studenten. Wir haben ein gemeinsames Interesse, es ist ein Schulterschluss notwendig.
Wie lange dauert das?
Das ist aus meiner Sicht ein Jahrzehnte-Projekt, bis Englisch wirklich etabliert sein wird. Es tut sich viel, aber wir können schneller, noch besser werden.
Und die oberösterreichische Mentalität?
Die Menschen hier sind herzlich, wenn man sie mal kennt. In ländlichen Gebieten werden Menschen aus dem Ausland gut integriert. Die Freundlichkeit ist gegeben, aber kann natürlich noch mehr werden. Internationals freuen sich immer über Hilfsbereitschaft.
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Wie sieht es mit der Kinderbetreuung im internationalen Vergleich aus?
Es gibt Bedarf. Unsere internationalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind es gewohnt, viel früher wieder ins Berufsleben zurückzukommen. Es gibt ein großes Interesse an der Verfügbarkeit von Krabbelstubenplätzen ab sechs Monaten. Wer zum Arbeiten nach Österreich kommt, hat nicht das Back-up eines Elternhauses, wenn es um die Kinder geht. Das ist eine Herausforderung.
Was muss die Politik für einen starken Wirtschaftsstandort OÖ abliefern?
Wir brauchen qualitativ hohe Rahmenbedingungen, da gehören Schulen, Krabbelstuben, Kindergärten einfach dazu.
Welche Schulen besuchen die Kinder der Internationals?
Wenn sie jung sind, dann oft die öffentlichen Einrichtungen, sie wollen integriert werden ins gesellschaftliche Leben. Familien mit älteren Kindern ist es ein Anliegen, dass das Bildungskonzept des Heimatlandes fortgesetzt wird. In Linz haben wir die Anton Bruckner International School und die LISA am Auhof Gymnasium.
Das Schulthema ist also entscheidend, dafür, ob sich Expertinnen und Experten für Unternehmen in OÖ entscheiden.
Wir wissen: Bevor sich potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entscheiden, ist es wichtig, dass das Schulthema gesichert ist. Mehrheitlich arbeiten nach wie vor Männer in der IT-Branche. Bevor er unterschreibt, schaut sich die ganze Familie an, wie das Schulsystem funktioniert, ob ein Platz vorhanden ist.
Und gibt es genug Plätze?
Nicht immer. Wobei: Die HTL Leonding bietet mit dem aktuellen Schuljahr erstmals eine englischsprachige Klasse an, die CSI-Klasse (Computer Science International). Die Umsetzung ist durch ein Gespräch mit uns bestärkt worden. Es konnte sofort eine Klasse gefüllt werden. Das ist ein tolles Beispiel dafür, wie man sich gegenseitig unterstützen kann.
Wie suchen Sie im Ausland nach Experten?
Alle Stellenausschreibungen sind auf Englisch, ebenso die Website. Und wichtig ist, dass uns Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem Netzwerk weiterempfehlen. Aktuell sind ca. 100 Stellen ausgeschrieben, mehrfach an verschiedenen Standorten. In den vergangenen Jahren sind wir pro Jahr um rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Software-Entwicklung gewachsen.
Wer arbeitet bei Dynatrace?
Von der Generation Z bis zu den Babyboomern ist alles dabei, wir sind sehr divers. Global liegt der Frauenanteil bei 25 Prozent, im Leadership bei 23 und im Tech-Bereich bei 19 Prozent. Das ist ein guter Startpunkt, aber wir wollen noch diverser werden.
Das heißt?
Wichtig ist es, die Pipeline zu erweitern. Wir engagieren uns früh, bei den Jüngeren spielerisch MINT-Themen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) unterzubringen und Pädagoginnen zu sensibilisieren. Die bestehenden Stereotypen sind eine Tatsache, umso früher müssen sie aufgebrochen werden. Es muss zur Selbstverständlichkeit werden, dass Frauen in der IT tätig sind.
Wie funktioniert das?
Es muss viele Möglichkeiten geben, dass sich Kinder und Jugendliche mit Technik auseinandersetzen können. Da sollten wir alle langfristig denken. Talente und Begabungen sind genau gleich verteilt, also müssen wir Kinder möglichst früh begleiten und dann dran bleiben. IT muss greifbar gemacht werden, das passiert zum Beispiel durch Workshops für Schulen bei uns.
Welche Rollen spielen Nachhaltigkeit und Umweltschutz?
Wir sind da schon länger engagiert und nicht erst jetzt. Ein großes Thema ist da natürlich die Mobilität. Wir unterstützen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zu Fuß, mit dem Rad oder dem Scooter in die Arbeit kommen mit Wertgutscheinen. Es gibt das Klimaticket für alle, die die Öffis nutzen. Mehr als 75 % lassen das Auto stehen, kommen öffentlich oder zu Fuß ins Büro.
Wir nutzen erneuerbare Energien, in Österreich und Spanien bereits zu 100 Prozent. Bei Lebensmitteln kooperieren wir mit Lieferanten in der Umgebung, es gibt Bio-Produkte in der Kantine und wir achten darauf, dass wenig weggeworfen wird. Das Bewusstsein ist da.
Der Platz im Headquarter wird knapp: Wie sieht es denn mit dem geplanten Zubau aus?
Das Projekt ist eingereicht, wir warten auf Rückmeldung, die sollte in den nächsten Wochen kommen. Sobald die Baugenehmigung da ist, kann es losgehen. Wenn alles nach Plan läuft, ist die bauliche Fertigstellung für 2025 geplant.
Wird der Stadtteil von diesem Umbau profitieren?
Es wird ein Campus gebaut werden. Wir öffnen uns zur Stadt hin. Im Zentrum wird eine öffentlich zugängliche grüne Parkfläche entstehen. Das unterstreicht unsere Verwurzelung am Gründungsstandort. Die Nähe zur Digital Mile mit der Tabakfabrik, dem Tech Harbor und weiteren Leitbetrieben sind wesentliche Vorteile. Das Projekt unterstreicht die Position der Digitalisierungshauptstadt Linz. Die gute öffentliche Erreichbarkeit und der Ausbau des Radwege-Netzes sind sicher wichtige Themen.
Sie befinden sich in einem kreativen, innovativen Teil von Linz, mit Nachbarn wie der Tabakfabrik, der Uni und der digitalen Meile. Wie wichtig ist die Vernetzung dieser Menschen?
Total wichtig, das gehört zur Standort-Qualität, dieses Miteinander, sich gegenseitig zu stärken und gemeinsame Projekte durchzuführen. Ich freue mich, wenn es viele erfolgreiche Unternehmen gibt, das stärkt den Standort.
Wie sieht diese Vernetzung konkret aus?
Ein Beispiel: Gemeinsam mit der Digitalen Meile organisieren wir in der letzten Ferienwoche MINT-Workshops, Kinder werden eine Woche lang spielerisch mit MINT-Themen in Verbindung gebracht, dabei haben sie Spaß und Berührungspunkte. Wenn vom Elternhaus kein IT–Background da ist, ist es eine große Unterstützung, wenn es viele Initiativen gibt, die Kindern zeigen, was möglich ist.
Wie ticken Sie als Managerin, wie tickt das Unternehmen?
Unternehmenskultur ist uns sehr wichtig, wir kommunizieren auf allen Ebenen immer auf Augenhöhe, die Türen sind offen, jeder kann zu jedem hingehen. Wir suchen Charaktere, die einen großen Forschungsdrang haben und technologische Grenzen verschieben wollen.
Den Sinn der Arbeit zu verstehen, ist außerdem ganz wichtig. Jeder und jede soll wissen: Welchen Beitrag leiste ich durch meine Arbeit? Die Arbeit soll sinnerfüllend sein. Das Hinterfragen und Verstehen führt zu mehr Produktivität und Innovation.
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Welche Rolle spielt Diversität in diesem Zusammenhang?
Eine diverse, vielfältige Kultur, bestehend aus vielen verschiedenen Charakteren und Hintergründen, ist so hilfreich, damit wir diese blinden Flecken, die wir alle haben, reduzieren können. Das passiert, indem wir offen Fragen stellen, auf Augenhöhe diskutieren und verstehen.
Was sind Ihre Aufgaben?
Ich mache mich für Österreich als Standort stark, damit wir weiterhin wachsen und international attraktiv bleiben.
Und was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Ich bin sehr gerne in der Natur, draußen unterwegs – Laufen, Mountainbiken, Skifahren, Segeln. So bekomme ich den Kopf frei.
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