Thomas Wahlmüller ist Professor für Elementarpädagogik – gemeint ist damit der gesamte Bereich von null Jahren bis zum Schuleintritt – an der Pädagogischen Hochschule (PH) OÖ in Linz. Im KURIER-Gespräch erklärt der 52-Jährige, welche Qualitätskriterien entscheidend sind, warum Betreuung alleine nicht reicht und wie wichtig Professionalität ist:
KURIER: Wie sollte eine sinnvolle Elementarpädagogik aussehen?
Wahlmüller: Die Ausrichtung und Prinzipien dafür stehen im Bildungsrahmenplan. Das ist kein Lehrplan, sondern es werden Grundsätze für das Arbeiten in Kindergarten und Krabbelstube vorgegeben. Das sind Empfehlungen. Die Kontrollaufsicht liegt beim Land OÖ.
Welche Qualitätskriterien gibt es?
Wenn wir von Krabbelstuben reden, ist ein entscheidendes Kriterium der Betreuungsschlüssel. In OÖ werden derzeit viele Einrichtungen geschaffen, das ist zu begrüßen. Aber die besten Einrichtungen helfen nichts, wenn es kein professionelles Personal gibt. Der ideale Betreuungsschlüssel für das Krabbelstubenalter wäre eins zu drei, wir sind in OÖ bei eins zu fünf. Ein weiteres Qualitätskriterium in diesem Bereich ist die persönliche Ebene, die Beziehung zum Kind.
Warum ist das so wichtig?
Die Grundlage der Lernbiografie eines Menschen wird in den ersten drei Lebensjahren gelegt. Wir brauchen nicht einfach Personal, sondern bestmöglich ausgebildetes Personal. Das Qualitätsmerkmal der pädagogischen Arbeit ist die Beziehung. Je weniger Kinder in der Gruppe, desto besser kann diese Beziehungsarbeit gelingen. Es ist immer von Betreuung die Rede, das ist verkürzt. Betreuung ist ein Teil des Ganzen, aber es gibt auch die Erziehungs- und die Bildungsfunktion. Bildung funktioniert in diesem Alter nicht über eine Liste von Inhalten, sondern heißt, sensibel auf die Bedürfnisse des Kindes zu reagieren.
Nun werden von der Politik Maßnahmen – mehr Vorbereitungszeit für Pädagoginnen, mehr Geld – vorgeschlagen, weil ab ’24 mehr Kinder in die Einrichtungen kommen werden. Welche dieser Maßnahmen sind sinnvoll?
Mehr Zeit für Qualität ist sinnvoll. Die beste Ausbildung nutzt nichts, wenn die Zeit fehlt, das Gelernte umzusetzen. Bildungsarbeit muss vorbereitet und reflektiert werden. Auf die Gehaltsdiskussion lasse ich mich nicht. Das Gehalt spiegelt immer eine gewisse gesellschaftspolitische Wertschätzung wider.
Was braucht ein Kind, um bestmöglich betreut, erzogen, gebildet zu werden?
Da gibt es nur eine Antwort: eine gute Beziehung. Eine Pädagogin ersetzt nicht die Eltern, aber die Beziehung ist die Grundlage jeglicher Entwicklung. Dazu gehört Professionalität. Das ermöglicht, die eigenen Zugänge zur Erziehung reflektieren zu können. Erst danach kommen die Bildungsinhalte. Junge Kinder sind auf Beziehung angewiesen. Es reicht nicht, ein bisserl zu singen, ein bisschen zu spielen – das ist ganz wichtig, natürlich! – aber dahinter muss professionelle Beziehungsarbeit stehen.
Wenn es um Elementarpädagoginnen geht, gibt es beizeiten diese Meinung: Dass sie hauptsächlich singen und spielen.
Wir kommen langsam weg vom „Tanten“-Image, obwohl der Begriff nach wie vor präsent ist. Es wird hier hochprofessionelle Bildungsarbeit geleistet.
Welchen Kindern kommt diese kostenlose Krabbelstube zugute? Es ist wichtig, keine ideologischen Diskussionen zu führen. Wer sind wir zu werten? Eltern sollen, wollen, müssen, dürfen ihre Kinder in Krabbelstuben geben. Da mischen wir uns aus Sicht der Wissenschaft nicht ein. Für Kinder unter drei Jahren bieten diese Einrichtungen tolle Möglichkeiten, etwas zu erleben, das das Familiensystem vielleicht nicht bieten kann. In Krabbelstuben können Sozialkontakte zu Bezugspersonen gelebt, Inhalte erfahren und Beziehungen zu anderen Kindern gepflegt werden. Es ist egal, woher das Kind kommt. Das sollte in der Pädagogik sowieso nie eine Rolle spielen. Wozu diese Ursachenfrage? Wir sollten auf das Kind mit seinen Bedürfnissen reagieren.
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Es sind nach wie vor hauptsächlich Frauen, die den Beruf ergreifen.
Natürlich haben wir in diesem Beruf keine adäquate Geschlechterverteilung. Da haben wir Nachholbedarf. Eigentlich ist dieses Thema aber sekundär, weil es um die Beziehungsqualität geht und die ist unabhängig vom Geschlecht. Es muss aber Männern, die in den Beruf gehen, ermöglicht werden, vorurteilsfrei zu starten. Auch die sexuelle Orientierung eines Pädagogen, einer Pädagogin muss irrelevant sein.
Welche Eigenschaften sollte man für einen Beruf in der Elementarpädagogik mitbringen?
Die Bereitschaft, sich zu professionalisieren, sich mit pädagogischen, psychologischen Themen intensiv auseinandersetzen. Um begründen zu können, warum ich wie handle, brauche ich theoretisches Know-how. Dieses Theoriewissen muss für die Praxis aufbereitet und dort umgesetzt werden können. Das erfordert Reflexionsfähigkeit und Offenheit für Themen, die nicht ins eigene Weltbild passen.
Außerdem?
Feinfühligkeit für Beziehungen ist ein weiteres Kriterium. Wir sind keine Maschinen, unser Werkzeug ist unsere Persönlichkeit. Dazu sollte ein Bewusstsein für gewaltfreie, gendersensible Sprache kommen. Das alles lässt sich absichern mit einer entsprechenden Ausbildung. Und hier schließt sich der Kreis zur Professionalisierung. Das können Hochschulen bieten.
Wie bringt man mehr junge Menschen in diesen Beruf?
Wenn ich das wüsste! Das sind längerfristige Stellschrauben. Kurzfristig kann es Werbung sein. Aber es gibt keine Patentlösung. Es ist sehr wohl ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, darzustellen, was frühkindliche Bildungsarbeit leisten kann.
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