Die EU räumt im „wilden Westen“ der Digitalkonzerne auf
Online-Plattformen, insbesondere soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter, haben seit geraumer Zeit mit einem schlechten Image zu kämpfen. In unserer digitalen Welt sind Hate Speech, Fake News, Meinungsmanipulation und Shitstorms zu allgegenwärtigen Erscheinungen geworden.
Die Grenzen des Sagbaren werden dabei nicht selten von den großen Big Techs selbst gesetzt, indem sie ihr eigenes „digitales Hausrecht“ in Form von Community-Richtlinien aufstellen.
Die Löschpraktiken der Betreiber sozialer Netzwerke können dazu führen, dass bestimmte Themen aus dem offenen Diskurs herausgenommen und als „nicht sagbar“ definiert werden, gleichzeitig ist aber eine Moderation von Inhalten im Internet notwendig, um tatsächlich Rechtswidriges zu entfernen.
Eine Folge davon ist, dass die Betreiber von Online-Plattformen über eine erhebliche Daten- und Diskursmacht im Internet verfügen und dort quasi als Hilfssheriffs agieren.
Den Machtverhältnissen in sozialen Netzwerken per se negative Auswirkungen zuzuschreiben wäre allerdings verfehlt.
Es stellt sich aber die Frage, wie wir am besten mit digitalen Kommunikationsräumen und dem immer größer werdenden Einfluss der Digitalkonzerne umgehen.
Haben soziale Netzwerke bereits eine solche strukturelle Überlegenheit erlangt, dass ihrer sozialen und ökonomischen Macht Einhalt geboten werden muss?
Eine Reihe von Staaten haben bereits versucht, diese Problemlagen mit neuen Gesetzen aufzufangen – so auch Österreich mit dem Kommunikationsplattformengesetz.
“A new sheriff is in town” – Der Digital Services Act
Mit dem Leuchtturmprojekt Digital Services Act (DSA) hat die EU eine Regelung geschaffen, die eine neue Ära im Internet einläuten und die Moderation von Inhalten aus der „Black Box“ der Online-Plattformen in ein transparentes und sicheres Verfahren überführen soll.
Der DSA schafft einen Spagat, der sicherlich noch für Diskussionen sorgen wird: Die Verordnung regelt grundsätzlich nur den Umgang mit Inhalten, die nach nationalem oder EU-Recht als rechtswidrig gelten.
Schädliche, aber nicht zwingend rechtswidrige Inhalte, wie z.B. Desinformation, werden primär über nicht bindende Verhaltenskodizes behandelt.
Ein genauer Blick in die Verordnung zeigt allerdings, dass Betreibern von Online-Plattformen nunmehr auch die Verantwortung für nicht rechtswidrige, jedoch schädliche Inhalte übertragen wird.
Dies stellt die Anbieter von Online-Plattformen vor die verantwortungsvolle Aufgabe, zum Teil rechtlich komplexe Sachverhalte zu beurteilen, bei denen auch eine Abwägung von Grundrechten erforderlich sein kann.
Der DSA wird somit zweifellos die Diskussion über Meinungsfreiheit und Zensur im Internet weiter anheizen.
Grundrechtsbindung 2.0?
Die Wissenschaft ist nun gefragt, mögliche Schwachstellen des DSA zu identifizieren und weitere Lösungsansätze für den Umgang mit der beachtlichen Machtposition von Online-Plattformen zu finden, die gleichzeitig immer stärker in die Pflicht genommen werden, um Recht im Internet durchzusetzen.
Ein – derzeit in der Rechtswissenschaft äußerst umstrittener – Ansatz könnte sein, Betreiber von Online-Plattformen stärker an die Grundrechte zu binden.
Denn Grundrechte werden in erster Linie als Abwehrrechte gegen den Staat angesehen. Zwar ist eine solche Grundrechtsbindung 2.0 von sozialen Netzwerken derzeit noch nicht absehbar, es sind jedoch Tendenzen in Richtung eines Paradigmenwechsels erkennbar.
Maßnahmen zur Risikominderung
Besonderes Augenmerk ist auf die Risikoanalyse zu richten, die sehr große Online-Plattformen künftig für ihre Dienste durchführen müssen.
Der DSA verpflichtet diese Diensteanbieter Risiken, die von ihren Diensten ausgehen, zu identifizieren und hierfür angemessene Risikominderungsmaßnahmen zu ergreifen.
Eine solche verpflichtende „Selbstregulierung“ der Diensteanbieter muss jährlich einem – noch näher zu regelnden – unabhängigen und externen Audit unterzogen werden.
Diese Überprüfung der sehr großen Online-Plattformen ist ein Novum und soll sicherstellen, dass sie ihren Verpflichtungen zum Risikomanagement nachkommen.
Damit dieses Risikomanagement konstruktive Lösungen hervorbringt und nicht zum Papiertiger verkommt, bedarf es aber klarer Kontrollmechanismen und Regelungen – insbesondere zur Überprüfung der Audits.
Forschung an der JKU – Fokus auf Digitalisierung
Die digitale Transformation des Rechts ist ein Forschungsschwerpunkt der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Johannes Kepler Universität Linz, die mit ihrer strategischen Ausrichtung auf Digitalisierung mit starkem Fokus auf eine interdisziplinäre Betrachtung zu den führenden Forschungseinrichtungen in diesem Feld zählt.
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