Die Fassade ist lieblos mit Graffiti beschmiert. „Fürchte den Zorn Gottes“ stand bis vor Kurzem hier, unlängst hat jemand eine Regenbogenfahne darüber gesprayt. Wenn die Broken-Windows-Theorie stimmt, dann ist das Gebäude ein Problem für die Nachbarschaft.
Nicht das Einzige. Schuhgeschäft, Modeboutique, mehrere Bankfilialen? Die Shops, mit denen das „Einkaufszentrum“ – so die Eigendefinition – im Biesenfeld im Internet beworben wird, gibt es längst nicht mehr.
Schaukästen, die Veranstaltungen in der Nachbarschaft ankündigen sollen, sind verwaist. Auch das bekannte Weinfest, das hier alljährlich über die Bühne geht, hat an Strahlkraft verloren. Und die Bäckerei sperrt überhaupt zu Mittag zu. „Vorübergehend“, steht auf dem Schild, das an der Tür klebt. Wegen des Personalmangels.
Zwei Arztpraxen, die es jahrelang gab, sind geschlossen – dafür wirbt die städtische Bestattung mit Aufstellern für Begräbnisangebote.
Bewegte Geschichte
„Viele der Geschäftstreibenden waren von Anfang an hier und sind zuletzt in Pension gegangen“, erzählt Renate Preining. Sie ist die Senior-Chefin der Konditorei hier. Seit 1981, also von Anfang an, gibt es den Betrieb. Als der Sohn vor acht Jahren übernommen hat, hat man das angeschlossene Kaffeehaus weiterverpachtet.
Zumindest hier läuft das Geschäft, auch während des Tages sind meist fast alle Tische besetzt. „Uns geht es gut“, sagt Preining – und klopft demonstrativ auf Holz. Dass die anderen Unternehmen so häufig wechseln, macht ihr Sorgen: „Eine der Banken hat einfach ihre gut gehende Filiale zugesperrt, das versteht keiner.“ Auch der Ärztemangel mache sich bemerkbar. „Früher gab es hier alles, was man brauchte.“
Die Konditorei, die brauchen die Bewohner jedenfalls, andere Angebote gibt es im näheren Umfeld nicht. Das Publikum besteht aus Stammgästen und ist durchwegs älter. Die Vitrine ist klassisch bestückt mit Malakofftorte, Kardinalschnitte und allem, was eben zu Linz gehört – von der Linzer Torte bis zum Linzer Auge.
Die Konditorei ist eine Institution, die Familie selbst ist dem Areal seit Generationen verbunden: Das Biesenfeld, auf dem die „Vereinigten Linzer Wohnungsgenossenschaften“ ab den 70er-Jahren die bis zu acht Stockwerke hohen Bauten errichtete, stand zuvor in ihrem Eigentum. Hier gab es Wiesen, Felder, einen Bauernhof mit Pferdekoppel. Preining senior hatte sich dem Trabrennsport verschrieben.
Das Projekt galt als Meilenstein im Linzer Wohnbau. Inmitten der wabenförmig angelegten Bauten, die mehr als 600 Wohneinheiten fassen, entstand klug geplanter Grünraum. Die Wohnungseigentümer durften im Planungsstadium sogar über den Grundriss ihrer Wohnungen mitentscheiden. Über zwei Straßenbahn-Stationen ist das Areal an die Öffis angebunden.
Als „Demonstrativ- und Mitbestimmungsmodell Biesenfeld-Ost“ wurde der Prozess ab den 70er-Jahren sogar von Forschern der Linzer Uni wissenschaftlich begleitet.
Gebaut wurde nach den Plänen des Architekten Artur Perotti, der das Linz der Nachkriegszeit – unter anderem mit mehreren Wohnanlagen und dem Hotel am Schillerplatz – entscheidend mitgestaltete.
Schmerzhaft
Umso schmerzhafter ist der Verfall des Biesenfelds: „Dem Namen Einkaufszentrum wird es nicht mehr gerecht“, sagt Simon Himmelbauer, der 2021 hier den Bio-Laden „Genussecke“ eröffnet hat. Er setzt auf hochwertiges Fleisch, Obst und Gemüse aus dem Mühlviertel. Dienstag ist Knödeltag, Donnerstag ist Strudeltag. (Und ja, Freitag ist Bratltag.)
„Wir leben vor allem von Mundpropaganda“, sagt Himmelbauer. Und von den Bewohnern: „Die Älteren sind froh, dass sie endlich wieder ein Geschäft vor der Tür haben. 70 bis 80 Prozent unserer Kunden sind Pensionisten.“
Neue Projekte
Eine Entwicklung, „die es in vielen Stadtteilen gibt“, sagt der für Wohnbau und Stadtentwicklung zuständige Stadtrat Dietmar Prammer (SPÖ) im KURIER-Gespräch. Da einst viele junge Menschen in die Siedlung zogen, „kommt es irgendwann zur Überalterung“. Die Lehre, die man daraus ziehen kann: „Bei neuen Projekten von Anfang an auf die Durchmischung zu achten.“
Für das Biesenfeld hat er dennoch Lob übrig: Es sei infrastrukturell gut angebunden und beweise, dass dicht bebaute Areale lebenswert sein können. „Eine hohe Dichte ist in Städten unumgänglich, das zeigt die aktuelle Debatte über die Bodenversiegelung. Hier war man in den 70er-Jahren seiner Zeit voraus.“
Die Hoffnung, dass im Biesenfeld bald wieder neues Leben einzieht, hat man noch nicht aufgegeben: Zuletzt kamen ein Massage- und ein Fußpflegestudio. Und auch der einstige Billa könnte bald von den Graffiti befreit werden.
Das Immobilienunternehmen, dem das Gebäude gehört, hat um eine Baubewilligung angesucht, wie die Anrainer Ende November erfuhren. Es soll aufgestockt werden und Platz für ein Ärztezentrum bieten, bestätigt Stadtrat Prammer. Auch ein Blutlabor soll einziehen, heißt es.
„There is Hope“ hat zuletzt jemand auf die Billa-Fassade gesprayt. Da ist Hoffnung.
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