Airan Berg war als künstlerischer Leiter für darstellende Kunst und für Konzept und Regie der Klangwolke bei der Kulturhauptstadt Linz 2009 tätig. Nach dem Festival der Regionen im Salzkammergut (2018-2021) betrat er im Oktober 2021 als Direktor des Zirkus des Wissens die Manege in dem Projekt der Johannes Kepler Universität (JKU).
KURIER: Sie sind ein Reisender zwischen den Ländern und Kulturen. Wo sind Sie zu Hause?
Airan Berg: In meinem Körper. Ich bin als elfjähriger aus Israel nach Österreich gekommen. Und wenn du als Kind den Ort deiner Geburt verlässt, ist das Herumbewegen viel leichter. Ich wiederhole mich so ungern. Sich selbst immer neu zu erfinden, ist ja auch eine Wissenschaft.
Sie sind ein Kind von Flüchtlingen. Gibt es für Menschen auf der Flucht ein Ankommen?
Im Moment ist ja die Stimmung nicht so, dass Leute integriert werden. Die Angst vor dem Fremden, die Unterteilung in gute Flüchtlinge, das sind die Christen und schlechte Flüchtlinge, das sind die Moslems. Es ist jetzt viel schwerer, und das schafft leider auch große politische Instabilität. Wir müssen lernen und kapieren, dass wir die Menschen brauchen. Wir können es uns auch leisten, großzügiger zu sein.
Corona, Klimakatastrophe: Tun wir uns schwer, mit dem Verstehen, oder die Wissenschaft mit dem Vermitteln?
Was das Vertrauen in die Wissenschaft betrifft, liegt Österreich in der EU an vorletzter Stelle. Man merkte ja auch in Zeiten von Covid, was da los war. Ich hoffe, dass der Zirkus des Wissens da etwas verändert. Dass er mit seiner sinnlich lustvollen Vermittlung von Wissenschaft dazu führt, die Beziehung zwischen Publikum und der Wissenschaft zu verbessern. Oder sich mehr Menschen für die Wissenschaft interessieren.
Der Zirkus des Wissens ...
... ist eine wunderbare Idee von Rektor Meinhard Lukas. Die Vision, an einer Uni, die nicht Kunst, Musik oder Theater unterrichtet, mehr Kunst an den Campus zu bringen.
Es geht also um Kunst.
Ich bin so dankbar, dass er Zirkus des Wissens heißt und nicht Theater des Wissens. Zirkus lädt viel mehr Leute ein. Da kannst du arm sein oder reich, sitzt um diese Manege und alle sind gleich, ein Ort von Anarchie und Spaß. Der Auftrag ist, Kunst mit Wissenschaft und Forschung zu verbinden.
Das letzte Programm hieß „Und da oben dazwischen die Sterne“. Ist es wichtig, zu wissen, was „da oben“ ist?
Es ging um Wissenschaft und Ethik, kein unaktuelles Thema. Es geht nicht so sehr darum, darüber Bescheid zu wissen. Es geht mehr darum, Fragen zu stellen, Dinge zu hinterfragen. Jeder entscheidet selbst, was für ihn die Antwort ist. Wenn wir über Keplers Gesetze sprechen, gelten die schon. Aber wenn es um Ethik geht, müssen wir die Möglichkeit geben, eigenen Gedanken zu fassen.
Der Zirkus kommt gut an?
Die Reaktion ist super. Dass ich Zirkusdirektor genannt werde, hilft mir sehr. Künstlerischer Leiter ist so etwas Abgehobenes, aber Zirkusdirektor will doch jeder sein. Wir spielen Dinge, die man sonst nicht sehen kann. Wir berühren komplexe Themen und setzen sie sinnlich, verspielt und lustvoll um.
Eine moderne Form der Wissenschaftskommunikation.
Ja, und bis jetzt ist es sehr gut gegangen. Dass jemand wie Parade-Akkordeonist Otto Lechner und Schauspielerin Anne Bennent sich mit Photosynthese beschäftigen, wer hätte das gedacht? Otto Lechner, der blinde Akkordeonspieler, ist ja auch so eine Art Lebensphilosoph. Er hat zum Physiker gesagt: „Wir singen über die Liebe, wir singen über den Frühling. Aber wir singen nie über die Photosynthese. Aber ohne Photosynthese gäbe es keine Liebe und keinen Frühling.“
Das haben die Physiker verstanden?
Das war der Schlüssel. Die Physiker haben alles Wissen beigetragen und dabei die eigenen Ängste erkannt, die in diesen Musikstücken und Texten verwendet wurden.
Wie hat Linz09 die Stadt verändert, was ist geblieben?
Mit dem Prozess zur Kulturhauptstadt und der Zelebrierung ist die Verwandlung der Stadt von einer Industriestadt zu einer Kultur- und Industriestadt, erfolgt. Das ist erfolgreich im Gang. Die Hotels waren früher am Wochenende nicht voll. Dabei darf man nicht vergessen, dass 2008 die Finanzkrise war. Viele Städte haben im Tourismus verloren. Linz09 hat der Stadt stark geholfen, da durchzutauchen.
Also eine Intervention zum richtigen Zeitpunkt.
Ja, das war eine Glücksache. Viele Sponsorverträge und die Verträge mit den öffentlichen Geldgebern waren schon abgeschlossen. Linz hat jetzt eine andere Art von Tourismus. Der Erfolg darf aber nicht nur daran gemessen werden. In der Kultur ist durch die Begegnung mit anderen ein Qualitätsschub gekommen. Und ein Direktor meinte, durch Linz09 sind sie als Schule mutiger geworden.
Ein schöner Satz.
Ja, wir haben viele Leute berührt, das verändert eine Stadt. Natürlich geht durch die Zeit etwas verloren, Nachhaltigkeit braucht politischen Willen. Ich glaube, dass die Stadt noch viel mehr hätte herausholen können.
Sind neue Impulse nötig?
Man müsste immer neue Impulse setzen, wie Lille: Dort haben Leute aus der Kulturhauptstadt den Weg in die städtischen Strukturen gefunden. Dadurch war der Geist noch da. Dort gibt es alle drei Jahre eine große Intervention. Nicht wie eine Kulturhauptstadt, aber die Vision Lille3000, die gibt was her.
Linz ist ...
... rough, ehrlich, ganz anders als Wien. Wenn wem was nicht passt, kriegst du es direkt gesagt. Linz ist eine wunderbare Verbindung von Kultur, Natur und Industrie. Linz ist nicht so bürgerlich.
Was haben Sie in den nächsten Jahren vor?
Unser Anspruch ist es, auch schwierigere Altersgruppen zu erreichen, ihnen mit spannenden Themen wissenschaftlich und künstlerisch zu begegnen. Es muss wissenschaftlich und künstlerisch wertvoll sein. Wir dürfen nicht schummeln.
Manege frei
Seit April des Vorjahres werden in der neuen Manege an der Johannes-Kepler-Universität in Linz Wissenstücke erarbeitet und in die Manege gestellt.
Unter dem vielsagenden Titel „Dummheit“ wurde eine Reise in die Unendlichkeit erarbeitet, auf der eine „Künstliche Intelligenz“ die Fragen stellte, eine Wissenschafts-Offizierin um Antworten bemüht war und eine Laborratte mitgezeichnet und kommentiert hat.
„Gespeist aus ihren Erfahrungen als forensische Psychiaterin und Neurologin zeigt Heidi Kastner auf, dass sich messbare Intelligenz und Dummheit nicht ausschließen müssen, und analysiert messerscharf die Spielarten der Dummheit“, beschreibt die JKU dieses Stück.
Ab 14. Jänner stehen die nächsten Projekte am Spielplan: „Kasperls Mut. Das tut gut“ ist eine Kooperation mit dem Linzer Puppentheater und den OÖ-Kinderfreunden.
Im Well-Being-Schwerpunkt wird das Buch „Was Kindern jetzt gut tut“ von Martin Schenk präsentiert. Mit Psychologin Hedwig Wölfl geht Schenk Fragen der Kindergesundheit nach.
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