"In den Semesterferien steht nur ein HNO-Arzt zur Verfügung"
Christine Haberlander (ÖVP, 41) ist Landeshauptmannstellvertreterin, zuständig für die Agenden Frauen, Bildung und Gesundheit.
KURIER: Auf den positiven Kommentar im OÖ Sonntagskurier zum oberösterreichischen Gesundheitssystem gab es teilweise heftige Reaktionen. So wird zum Beispiel den Professoren der Universitätsklinik vorgehalten, sich primär mit Forschung und Lehre zu beschäftigen, nicht aber mit den Patienten, die sie links liegen lassen würden. Wenn überhaupt, würden sie sich nur mit Klasse-Patienten beschäftigen. Ist das so?
Christine Haberlander: Unser Gesundheitssystem gehört weltweit zu den Besten. Ich halte aber nichts davon, es über den grünen Klee zu loben, es hilft uns weder ein Krankreden noch ein Gesundbeten, wir brauchen eine neue Ehrlichkeit.
Der Vorteil des Uniklinikums ist, dass die Professoren einen Versorgungsauftrag haben. Sie haben geteilte Anstellungsverhältnisse, damit sie nicht allein in die Forschung abdriften. Diese Kombination ist eine Brücke, die dem Patienten hilft, weil der Professor sich mit dem Fortschritt auseinandersetzt. Sie hilft auch den Mitarbeitern, weil der Fortschritt ins Haus geholt wird.
Ich halte das für eine optimale Kombination. Wir fordern von den Professoren ein, dass sie natürlich auch bei den Patienten am Bett sind.
Es gibt häufig Klagen über Wartezeiten für Operationen, die es früher nicht gegeben habe. Wie lange sind die Wartezeiten?
Wir sehen uns die Wartezeiten an, sie werden auf den Homepages veröffentlicht. Es gibt sie, sie haben unterschiedliche Gründe. Wir haben die freie Arztwahl, jeder kann entscheiden, welchen Arzt er bevorzugt. Es gibt Operateure, die einen besseren Ruf haben und bei denen es teilweise lange Wartezeiten gibt. Wir spüren die demografische Entwicklung. In manchen Bereichen gibt es mehr Patienten ...
... zum Beispiel bei Hüftoperationen ...
Die Menschen werden älter, der Lebensstil macht sich bemerkbar. Mit dem Älterwerden sind Krankheiten verbunden. Das Leistungsspektrum erweitert sich, gleichzeitig haben wir eine engere Personalsituation in vielen Bereichen. Wenn uns zum Beispiel Pfleger im OP-Bereich fehlen, können wir weniger operieren. Hier gibt es Unterschiede in den verschiedenen Fächern und in den verschiedenen Häusern.
Ich stehe auch dazu, dass die Geschäftsführungen in den Spitäler dafür sorgen, dass die Mitarbeiter die Ruhezeiten einhalten können. Corona war für diese eine sehr, sehr anstrengende Zeit. Wenn wir nun alles das nachholen sollen, was durch Corona zeitlich verzögert worden ist, ist das gegenüber den Mitarbeitern nicht verantwortbar. Denn diese sind dann frustriert und brennen aus, sie kündigen. Wir müssen uns nicht nur um die Patienten kümmern, wir müssen auch auf die Mitarbeiter schauen.
Wie lange ist die durchschnittliche Wartezeit auf Operationen?
2019 sind 5,5 Prozent der geplanten Operationen abgesagt worden, das waren 2223 von 40.144, wobei bei rund 500 der Grund ausschließlich in der Sphäre der Patienten lag. Vom 1. Oktober 2021 bis zum 1. Oktober 2022 wurden 14,9 Prozent der geplanten Operationen abgesagt, das waren 6635 von 44.647. 700 davon lagen in der Sphäre der Patienten.
Von den Krankenhäusern wurden folgende durchschnittliche Wartezeiten angegeben. Ried/I.: eine bis drei Wochen; Klinikum Wels-Grieskirchen: vier bis fünf Wochen; Keplerklinikum und MedCampus III Linz: 44 Wochen; Pyhrn-Eisenwurzen-Klinikum (Steyr-Kirchdorf): sechs Wochen; Rohrbach: neun Wochen; Freistadt: 16 Wochen; Schärding: drei Wochen; Salzkammergut-Klinikum (Bad Ischl-Gmunden-Vöcklabruck): neun Wochen; Braunau: vier Wochen.
Die Krankenhäuser leiden unter Personalmangel. Wie viel Pflegepersonal benötigen sie?
Wir nehmen alle auf, die sich melden und qualifiziert sind. Wir suchen händeringend nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. So wie viele andere Branchen. Die Anzahl ist je nach Krankenhaus unterschiedlich. Wir schaffen zum Beispiel Springer-Pools.
Work-Life-Balance ist ein großes Thema. Im Krankenhaus haben wir an sieben Tagen der Woche eine Versorgung rund um die Uhr. Die Mitarbeiter sind mit dem Einspringen, mit Überstunden, mir Krankenständen belastet. Die Grippewelle macht auch nicht vor den Krankenhäusern halt.
Die Pflege ist ein klassischer Frauenberuf. Viele arbeiten Teilzeit. Es ist mir wichtig, auf die Gefahr der Teilzeitfalle hinzuweisen, denn sie wirkt sich negativ auf die Pension aus. Ich verstehe das Anliegen der Work-Life-Balance, aber ich möchte dazu einladen, mehr Stunden zu arbeiten. Wir werden in der Gesundheitsholding nun Gespräche mit den Mitarbeitern über das Pensionskonto führen. Das ist auch ein Emanzipationsthema.
Viele werden argumentieren, sie haben zu Hause Kinder und es ist schwer, jemanden zu finden, der sich um sie kümmert.
Es braucht ein Kinderbetreuungsangebot, wenn man als Arbeitgeber will, dass die Eltern mehr arbeiten. Wir haben inzwischen in jedem Krankenhaus Angebote zur Kinderbetreuung. Teilweise rund um die Uhr. Wir wollen, dass Oberösterreich das Kinderland wird, wo jedes Kind, das Betreuung braucht, sie im entsprechenden Ausmaß bekommt. Das muss in den nächsten Jahren zur Verfügung gestellt werden. Die Kinder werden älter. Trotzdem bleiben viele Frauen in der Teilzeit.
Die Diskussionen um das Pensionssystem (weniger Einzahler, mehr Pensionisten) führen zu einer Verunsicherung bei den Jungen, ob sie überhaupt noch eine ausreichende Pension erhalten werden.
Ich kenne viele junge Menschen, die diese Sorge umtreibt. Diese neue Ehrlichkeit, die es beim Gesundheitssystem braucht, braucht es auch beim Pensionssystem. Es braucht eine ehrliche Diskussion. Was ist, was fehlt, was braucht es? Es kann aber nicht der Zugang sein zu sagen, das Pensionsthema ist mir vorläufig egal.
Die Spitalsambulanzen waren während der Grippewelle zu Weihnachten völlig überlaufen. Wie kann man hier gegensteuern?
Ja, das stimmt. Wir hatten teilweise Steigerungen von 20 bis 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das sorgt mich massiv. Ich verstehe die Ärzte und die Pfleger, die sagen, wir können so nicht arbeiten. Ich schaue auch sorgenvoll auf die Semesterferien.
Ich hatte vergangene Woche ein Gespräch mit den Geschäftsführern der Krankenhäuser. Laut ihren Aussagen hat in den Semesterferien nur ein HNO-Arzt im niedergelassenen Bereich Dienst. Ich vergönne allen ihren Urlaub, aber es ist Aufgabe der Sozialversicherung, dass sie die niedergelassene Versorgung, die Hausärzte und Fachärzte, 52 Wochen im Jahr gewährleistet.
Aber das ist nicht der Fall. Laut Ärztekammer sind 38 Arztstellen unbesetzt.
Das ist die Aufgabe der Sozialversicherung. Die erste Ansprechebene im medizinischen Bereich sind die Hausärzte und die Fachärzte. Sie sind die Nahversorger. Wenn sie nicht da sind, dann kommen die Patienten ins Krankenhaus.
Früher sind die Menschen, die an Grippe erkrankt sind, zum Hausarzt gegangen bzw. er ist nachmittags zum Hausbesuch gekommen. Rund um Weihnachten haben viele Gruppeerkrankte die Ambulanzen der Krankenhäuser aufgesucht.
Es kann nicht sein, dass die Krankenhäuser die Leidtragenden der Untätigkeit der Sozialversicherungen sind. Ich verstehe den Patienten, der sagt, es ist für mich nicht wichtig, wer zuständig ist, ich brauche eine Behandlung. Es ist wesentlich, den Patienten zu informieren, wer zuständig ist und wo er behandelt wird. Mit einem eingewachsenen Zehennagel muss man nicht in die Notfallambulanz.
Wenn der Patient an der falschen Stelle ist, ist nicht nur er unzufrieden, weil er lange warten muss, sondern er belastet auch die Mitarbeiter, die sich nicht um die richtigen Patienten kümmern können. Es wird Unzufriedenheit im System erzeugt, von den Kosten will ich gar nicht reden.
Um das Problem der unbesetzten Hausarztstellen zu lösen, bieten drei Bundesländer Medizinstudenten Stipendien mit der Verpflichtung an, fünf Jahre lang als Hausarzt bzw. Facharzt zu arbeiten. Können Sie sich so eine Lösung auch für Oberösterreich vorstellen?
Die Gesundheitsreferenten der Bundesländer haben das diskutiert. Sie fordern eine bundeseinheitliche Lösung, die Österreichische Gesundheitskasse hat sie entwickelt. Diese Lösung wird kommen. Ich halte sie für wichtig.
Wir haben vor neun Jahren gegen viele Widerstände die medizinische Fakultät in Linz durchgesetzt. Es war ein enormes Investment des Landes Oberösterreich. Die Ersten haben ihr Studium bereits abgeschlossen. Wir bieten sehr viele Ausbildungsangebote für die Allgemeinmedizin, wo die Studenten an die Ordinationen und an die Praxis herangeführt werden.
Wir haben nun in Traun das neunte Primärversorgungszentrum eröffnet. Diese neuen Modelle von mehreren Ordinationen sind für die jungen Ärzte interessant und bringen Vorteile für die Patienten wie zum Beispiel erweiterte Öffnungszeiten.
Das Gesundheitsbudget des Landes ist für heuer um 20 Prozent von einer Milliarde Euro auf 1,2 Milliarden erhöht worden. Reicht das?
Die Kosten für das Gesundheitssystem werden weiter steigen. Die Rahmenbedingungen für die Mitarbeiter müssen passen. Wir haben mehr Menschen, die älter werden. Und wir haben eine bessere Medizin, die es uns ermöglicht, Krankheiten zu heilen oder zu lindern. Der medizinische Fortschritt ist gigantisch, er kostet Geld. Sowohl in der Spitze wie in der Breite.
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