„Die Maske könnte so etwas wie der Winterreifen sein“

Univ. Prof. Bernd Lamprecht
Jede/r Oberösterreicher/in ist durchschnittlich zwei Mal gegen Covid geimpft. Dieser Grundschutz hilft uns jetzt durch den Winter, sagt Bernd Lamprecht.

Bernd Lamprecht (47) ist Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde an der Linzer Kepler Universitätsklinik und Spezialist für Corona. Zudem ist er seit Februar Universitätsprofessor am Lehrstuhl für Innere Medizin mit Schwerpunkt Pneumologie.

Das Nationale Impfgremium hat am Mittwoch die Corona-Auffrischungsimpfung für alle Menschen ab zwölf Jahren empfohlen. Sie sollen sich ihre vierte Impfung holen, hieß es am Mittwoch. Das Impfschema solle unabhängig von Infektionen eingehalten werden. Bisher galt die Empfehlung für den vierten Stich: für Menschen ab 60 Jahren. Gesundheitsminister Johannes Rauch erwartet im Herbst deutlich steigende Fallzahlen und sprach eine FFP2-Masken-Empfehlung für Innenräume aus.

KURIER: Die allgemeine Stimmung ist so, als wäre Covid bereits Geschichte. Hin und wieder trifft man Menschen, die daran erkrankt sind, aber Covid wird als normale Grippe gesehen.

Bernd Lamprecht: Es ist insofern viel Wahres dran, als es in den vergangenen eineinhalb Jahren gelungen ist, das Übersetzungsverhältnis von Infektion in klinisch relevante Erkrankung sehr günstig zu beeinflussen. Immer weniger Menschen haben im Fall einer Infektion schwerwiegende gesundheitliche Probleme und einen Bedarf an medizinischer Hilfe und Unterstützung. Das führt zu der wahrgenommenen Entspannung. Das äußert sich also nicht nur in reduzierten Zahlen von Intensivpatienten, sondern auch in der Wahrnehmung vieler, die entweder sagen, ich bin mehrmals geimpft und habe dadurch einen guten Schutz, oder ich habe bei mir selbst oder in der Familien schon eine Infektion erlebt, die weitgehend unproblematisch verlaufen ist. Das führt zu einem Gefühl der Entspannung.

„Die Maske könnte so etwas wie der Winterreifen sein“

Bernd Lamprecht

Persönlich würde ich glauben, ganz bewältigt haben wir die Corona-Problematik dann, wenn wir es geschafft haben, einen Herbst und Winter ohne größere Probleme über die Bühne zu bekommen. Wir sind jetzt das dritte Mal in der Lage, einen Sommer zu genießen. Bei den Wintern sind wir noch im Hintertreffen. Der letzte Winter war noch gekennzeichnet von der Untersagung von Großveranstaltungen, Bälle waren noch nicht möglich. Wenn das auch noch gelingt, ist das Problem tatsächlich bewältigt.

Rechnen Sie mit einem Anschwellen der Infektionen im Herbst und Winter?

Natürlich rechnen wir damit, dass das Infektionsgeschehen an Dynamik zulegen wird. Das erklärt sich durch ganz einfache Rahmenbedingungen. Die Immunität jener, bei denen die Impfung schon länger zurückliegt, nimmt ab. Auch bei jenen, die im Frühjahr genesen sind. Dann haben wir niedrigere Temperaturen, mehr Aufenthalte in Innenräumen und damit zweifellos Umgebungsfaktoren, die für ein zunehmendes Infektionsgeschehen vorteilhaft sind. Aber wie exakt die Herbstwelle und die Winterwelle aussehen werden, lässt sich deshalb nicht sagen, weil es in großem Ausmaß davon abhängig ist, wie hoch die aktuelle Dunkelziffer ist.

Das weiß man nicht.

Wir sehen eine immer größere Distanz zwischen detektierten Fällen, die als Fälle gemeldet werden, Abwasseranalysen und Krankenhauspatienten.

Viele Erkrankten melden ihre Infektionen nicht mehr.

Während das früher in einer bestimmten Relation stand, ist das jetzt ziemlich entkoppelt. Das bedeutet, dass es eine relativ hohe Dunkelziffer gibt. Das kann für den Herbst und Winter sogar von Vorteil sein. Denn jene, die die Infektion jetzt durchmachen, werden nicht die Ersten sein, die wieder in Gefahr laufen, eine Infektion zu haben. Sie nehmen den bevorstehenden Wellen etwas die Spitze. Über die Höhe der Welle können wir noch nichts Konkretes sagen. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass es ein wellenartiges Geschehen bleibt.

Sollte man nicht jenen neuen Impfstoff abwarten, der auch vor der Omikron-Variante schützt?

Für Menschen, für die derzeit noch gar keine Impfung empfohlen ist, ist ein Zuwarten auf einen Impfstoff, der in einigen Wochen verfügbar ist, zweifellos eine Option. Menschen, die derzeit schon die Kriterien erfüllen, die Impfung in Anspruch zu nehmen, würde ich ein Zuwarten nicht empfehlen. Das würde bedeuten, noch eine Zeit lang in einem schlechteren Zustand zu verweilen. Wir dürfen auch nicht außer Acht lassen, dass dieser an Omikron angepasste Impfstoff auch nicht alles anders machen wird. Er wird zum Schutz vor schwerer Erkrankung sich sehr ähnlich bis gleich verhalten wie die bereits verfügbaren Impfstoffe, er wird etwas besser vor Infektion schützen, aber das auch nur für einen begrenzten Zeitraum. Der Infektionsschutz verzehrt sich bei allen Impfstoffen nach zwei bis drei Monaten. Und dann bleibt der Schutz vor schwerer Erkrankung übrig, den auch die etablierten Impfstoffe bieten.

Empfehlen Sie das Tragen einer Maske?

Das kommt auf die persönliche Risiko-Situation und auf die örtliche Gegebenheit an. Jemand, der ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf bei einer Erkrankung hat, der kann, wenn er in einem engen Raum mit vielen Menschen zusammentrifft, aus einer Maske einen Vorteil ziehen. Sei es bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln im Winter, sei es bei einem dynamischen Infektionsgeschehen. Andere Personen, die immunkompetent sind, die Schutzimpfungen haben oder die genesen sind, werden sie nicht in diesem Maße benötigen. Sie werden dafür Sorge tragen, dass sie Menschen in ihrer Umgebung nicht gefährden.

Rechnen Sie mit einer erneuten, generellen Maskenpflicht?

Im Moment rechne ich damit nicht. Wir können sehr schwer vorhersagen, wie sich im Winter das Zusammenspiel zwischen anderen Atemwegserkrankungen wie der echten Grippe und Corona darstellen wird. Ich halte den Vergleich mit Winterreifen, wie er in Deutschland angestellt wurde, nicht für ganz untauglich. Man muss im Sommer nicht mit den Winterreifen fahren, aber in den Wintermonaten könnte die Maske so etwas sein wie ein Winterreifen. Wir sind jetzt zweifellos in einer Phase, wo die Eigenverantwortung wirklich gefragt ist, vor allem für jene, die den besonderen Schutz noch brauchen. Weil die Gesamtheit der Bevölkerung nicht mehr den Schutzschirm darstellt, wie das in den vergangenen Jahren der Fall war.

In einer Woche ist Schulbeginn. Halten Sie es für sinnvoll, dass an Covid erkrankte Lehrer mit Maske unterrichten?

Ich würde generell sagen, wer krank ist, sollte nicht am Arbeitsplatz erscheinen. Wer Symptome hat, gehört nicht an den Arbeitsplatz, sondern sollte zu Hause sein. Wir müssen wohl auch akzeptieren, dass wir schon jetzt eine Situation haben, wo viele Menschen von ihrer Infektion schlicht nichts wissen, weil sie keine Symptome haben.

Vor zwei Jahren war die Covid-Situation dramatisch, jetzt verläuft sie wie eine normale Grippe. Warum hat sich die Situation so entschärft?

Zwei Entwicklungen sind die Erklärung. Einerseits hat sich in der Bevölkerung ein sehr gutes Immunitätsniveau herstellen lassen. In erster Linie durch Impfungen, aber natürlich auch durch durchgemachte Infektionen und Genesungen. In Oberösterreich wurden schon beinahe drei Millionen Impfungen verabreicht. Das wären durchschnittlich für jeden Oberösterreicher zwei Impfungen. Viele, vor allem die Zielgruppe, haben drei Impfungen oder schon eine Auffrischungsimpfung. Das hat natürlich eine Immunität hergestellt, vor allem einen Schutz vor Behandlungen auf den Intensivstationen.

Gleichzeitig hat sich am Virus selbst eine Veränderung ergeben. Die Mutationen, die stattgefunden haben, haben dazu geführt, dass die Pathogenität etwas abgenommen hat, dass der Erreger nicht mehr in so hohem Maße schwere Erkrankungen hervorruft. Das bedeutet noch nicht, dass man ohne einer aufgebauten Immunität zurechtkäme. Das zeigen Vergleiche mit anderen Populationen, zum Beispiel in Asien, wo Omikron auf eine Bevölkerung mit einem niedrigeren Immunitätsniveau trifft, weil es weniger Impfungen oder Genesungen gibt. Omikron führt dort in einem höheren Prozentsatz noch zu schweren Erkrankungen. Aber unsere Konstellation aus einer ganz guten Immunität plus einer abgeschwächten Virusvariante ist letztlich günstig. Das ist genau das, was wir wollten. Wir wollten eine Übersetzung, Infektionen in eine klinische Variante günstiger zu gestalten, und das ist jetzt der Fall.

Es gibt Länder wie China, die sehr rigoros auf Covid reagieren, was wirtschaftlich zu weltweiten Lieferausfällen führt. Verstehen Sie das?

Ich bin kein China-Experte, ich kann das nur aus medizinischer Sicht sagen. Diese Zero-Covid-Politik ist leider nicht Hand in Hand mit einem sinnvollen Angebot an Immunitätsaufbau gegangen. Wenn man einer Bevölkerung eine Immunitätswelle erspart, dann wäre es gleichzeitig gut, durch Impfung für eine Immunität zu sorgen, um später wieder in die Normalität übertreten zu können. Wenn das unterbleibt, ist die Bevölkerung bei einem dynamischen Infektionsgeschehen immer wieder gefährdet, auch einen erheblichen Anteil an schwerer Erkrankten zu haben. Das führt dazu, dass man aus dieser Spirale nicht mehr herauskommt.

Da habe ich die Vorgangsweise in Europa besser gefunden, wo man vielleicht nicht eine ganz so strenge Zero-Covid-Politik zulassen konnte und wollte, und man gleichzeitig versucht hat, mit der Impfung einen Schutzschirm aufzuspannen, der für diese Zeit danach tauglich ist.

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