Zu Besuch bei der Parallelgesellschaft

Onur Yavuz ist sich sicher: „Nur wer Deutsch beherrscht, kommt auch weiter“
23 Prozent Migrationsanteil machen die Integration in der Stadt schwer. Projekte sollen helfen.

"Ich bin auch im Getto aufgewachsen. Bis zum Kindergarten habe ich kein Wort Deutsch gesprochen. Leider ist die Integration in der Stadt völlig schiefgelaufen". Onur Yavuz ist ein 23-jähriger Wiener Neustädter mit türkischen Wurzeln. Er wollte nicht mehr zusehen, wie Türken in der Stadt ihr Leben in einer Parallelwelt führen – mit ihren eigenen Kaffeehäusern, türkischen Friseuren und Supermärkten. Auch wenn er deshalb als Außenseiter gesehen wird, hält er weiter an seinen Plänen fest.

Yavuz ist seit 2015 Integrationsbeauftragter der Stadt und soll dabei helfen, das Problem der Parallelgesellschaften zu lösen. 23 Prozent Migrationsanteil bringen die größte Schul- und Kindergartenstadt Niederösterreichs in ein bildungspolitisches Schlamassel. 50 Jahre lang wurde eine Wohnungspolitik betrieben, die eigene Zuwanderervierteln geschaffen hat. Am deutlichsten wird das Problem bei den Jüngsten. In der Hälfte aller Schulen und Kindergärten der Stadt liegt die Zahl der Kinder mit fremder Muttersprache über 50 Prozent. "Außer im Unterricht müssen die Kinder nicht Deutsch sprechen. Sie leben in ihren Vierteln, wo sie selbst in ihrer Freizeit ohne ein Wort Deutsch auskommen", sagt Yavuz.

Sport verbindet

Zu Besuch bei der Parallelgesellschaft
Wiener Neustadt Türken
Bei ihm war es nicht anders, bis er im Verein mit dem Fußballspielen begann. "Gerade in Vereinen oder beim Sport werden die Barrieren gebrochen und es wird Deutsch gesprochen", erklärt der 23-Jährige. Die Zukunftschancen der Kinder sind untrennbar mit der Sprache verbunden. Nur wer sie beherrscht, hat auch die Grundlage für eine gute gesellschaftliche Entwicklung und einen Job, sagt der 23-Jährige. Deshalb hat er sich zum Ziel gesetzt, die Jugend für den Sport, die Musik und andere Aktivitäten zu begeistern. Es sei kontraproduktiv, dass sich Migranten kaum bei traditionellen österreichischen Organisationen engagieren. "Ich kenne keinen Türken bei der Feuerwehr oder beim Roten Kreuz."

Positive Erfahrungen haben Yavuz und zahlreiche Freiwillige mit einem ihrer Integrationsprojekte gemacht. Als Lesepaten gehen sie von Schule zu Schule, um mit Kindern beim Lesen deren Deutschkenntnisse zu verbessern.

Angesichts der Probleme fordert die Politik das auch ein. Seit die Stadt eine härtere Gangart gegen integrationsunwillige Einwanderer eingeschlagen hat, ist der Ton rauer geworden. Die Kampagne gegen türkische Flaggen im Stadtbild, der KURIER hat berichtet, hat Wiener Neustadt sogar auf die Titelseiten türkischer Zeitungen gebracht. Die türkischen Vereine in Wiener Neustadt meiden seither sogar den Kontakt zur Stadtführung. "Auch wenn Österreich ein freies Land ist, muss es gewisse Benimmregeln geben. Ich finde es auch unnötig, dass man in Österreich für Erdoğan auf die Straße geht," sagt Yavuz.

Viele sind da anderer Meinung. Einen davon treffen wir beim Lokalaugenschein im Porscheviertel – einem der Migranten-Hotspots: "Ich bin hier geboren, fühle mich aber auch als Türke. Warum soll man nicht auf die Straße gehen dürfen? Solange das friedlich abläuft, ist das ein Grundrecht", sagt der 24-jährige Sinan Oktay.

Von den 43.800 Einwohnern in Wiener Neustadt haben etwas mehr als 10.000 Migrationshintergrund. Die Stadt liegt damit im Vergleich der österreichischen Städte im absoluten Spitzenfeld.

Der anhaltende Zuzug aus dem Ausland speziell ins attraktive Industrieviertel wird sich auch in den kommenden Jahren stark bemerkbar machen. Nach Prognosen werden alleine in Wiener Neustadt im Jahr 2030 rund 14.000 Menschen leben, die nicht in Österreich geboren wurden. Zum Teil sind es EU-Bürger, zum Teil Migranten aus Drittstaaten.

Bereits jetzt haben in acht von 17 Kindergärten und in fünf von acht Volksschulen der Stadt mehr als die Hälfte aller Kinder eine fremde Muttersprache. Deutliche Sprachdefizite sind bei ihnen die Folge. Durch fehlendes Management bei den Wohnungsvergaben gibt es zumindest in drei Schulsprengeln eine verschärfte Situation. In einigen Klassen liegt der Anteil der Kinder mit einer fremden Muttersprache bereits bei über 80 Prozent. Wegen der starken Zuwanderung müssen bis 2017 in Wiener Neustadt neun zusätzliche Kindergartengruppen geschaffen werden.

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