Verfassungsschützer: "Wir wollen keine Scharia-Polizei"

Verdächtige im Fall Kaltenleutgeben
Der oberste Verfassungsschützer Niederösterreichs, Roland Scherscher, über selbst ernannte Sittenwächter und islamischen Extremismus.

Der Fall der vier selbst ernannten "Sittenwächter", die an einem idyllischen See in Kaltenleutgeben im Bezirk Mödling, NÖ, eine oben ohne badende Frau dazu gezwungen haben, ihren Oberkörper zu bedecken, hat hohe Wellen geschlagen. Der beängstigende Videomitschnitt, in dem die Täter der Frau mit Vergewaltigung drohen, wurde in sozialen Medien fast 850.000 Mal gesehen. Dass die drei verdächtigen Tschetschenen und ein Afghane ausgerechnet als Asylberechtigte in Österreich Hilfe und Schutz erhalten, aber nicht nach den hier geltenden Regeln leben, stößt vielen Nutzern sozialer Medien sauer auf. Der KURIER hat mit dem Leiter des nö. Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, Roland Scherscher, über das heikle Thema gesprochen.

Verfassungsschützer: "Wir wollen keine Scharia-Polizei"
Roland Scherscher,LPD NÖ,LVT
KURIER: Der Fall wird in der Öffentlichkeit mit enormen Interesse verfolgt. Sie führen die Ermittlungen. Haben wir ein Problem mit religiösen Sittenwächtern in Österreich?Scherscher:Ein Vorfall wie dieser war uns bislang nicht bekannt. Allerdings bekommen wir immer wieder Hinweise, dass vor allem Muslime von anderen Muslimen aufgefordert werden, islamische Kleidungs-, Verhaltens- und Ernährungsvorschriften einzuhalten. Ganz klar ist: Wir wollen keine Scharia-Polizei. Man muss sagen, wir haben derzeit auch keine.

Viele Beobachterinnen reagieren extrem verängstigt auf das gezeigte Video und die Drohgebärden. Wie sollen sich Frauen in so einem Fall verhalten?

Dafür gibt es keine generelle Lösung. Es kommt immer auf die Umstände an. Die Polizei hat zu dem Thema eine eigene Broschüre heraus gebracht. "Gemeinsam.Sicher mit Frauen" (www.gemeinsamsicher.at) enthält gute Tipps, wie man sich in solchen Fällen verhalten kann. In jedem Fall sollte eine Anzeige erstattet werden.

Das ist anfangs in diesem Fall nicht passiert?

Nein. Da es sich um ein Offizialdelikt handelt, also eine strafbare Handlung die von Amtswegen verfolgt werden muss, sind die Staatsanwaltschaft und der Verfassungsschutz aktiv geworden.

Die vier Verdächtigen wurden rasch ausgeforscht. Sie haben allesamt positive Asylbescheide. Viele fragen sich, wieso die Täter noch auf freiem Fuß sind?

Zu dem aktuellen, justizanhängigen Fall, kann ich leider keine Auskünfte geben.

Die Tat erweckt den Eindruck einer radikal-islamischen Gesinnung. Der Verfassungsschutz war gerade deswegen noch nie so gefordert?

Wir bekommen im Bereich des islamistischen Extremismus sehr viele Hinweise aus der Bevölkerung, besonders nach erfolgten Anschlägen in Europa. Die Anzahl steigt seit 2014 kontinuierlich. 2014 führten wir in Niederösterreich gegen etwa 100 Personen Ermittlungen durch, im Vorjahr schon gegen 370. Wir gehen natürlich jedem Hinweis im Rahmen einer Gefahrenerforschung penibel nach. Beim überwiegenden Teil ergibt sich, dass keine Gefahr vorliegt. Die Gründe für diese Diskrepanz liegen zum einen in der erhöhten Sensibilität in der Bevölkerung, aber auch in einer latenten Unkenntnis islamischer Gebräuche und Gewohnheiten.

Wie meinen Sie das? Wird in jedem bärtigen Südländer ein Extremist gesehen?

Nicht jeder heranwachsende Bursche, der sich einen Bart wachsen lässt, ist radikal. Nicht jedes Mädchen, das ab einem gewissen Alter ein Kopftuch trägt, wird fundamental erzogen. In letzter Zeit haben wir auch oftmals Diffamierungen nach Beziehungsstreitigkeiten feststellen müssen. Liegt ein Anfangsverdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung vor, wird die Person der zuständigen Staatsanwaltschaft angezeigt. Im Vorjahr 70-mal.

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