„Wie sich ein Virus verhält, lässt sich nicht vorhersagen“
Warum Expertin Christina Nicolodi vom Verlauf der Pandemie nicht überrascht ist, die Krise die Forschung beflügelte und wo sie Gefahren für die Zukunft sieht
„Wirklich überraschend oder untypisch war diese Entwicklung nicht“, sagt Christina Nicolodi und meint damit das Dauerthema der vergangenen zwei Jahre: die Corona-Pandemie. Die Laxenburgerin (Bezirk Mödling) ist mit dem Verursacher sehr gut bekannt, als Virologin und Impfstoffexpertin beschäftigt sie sich intensiv mit SARS-CoV-2. Und auch wenn vieles erforscht und beobachtet ist, „man kann nicht vorhersagen, in welche Richtung sich ein Virus entwickelt“, sagt Nicolodi.
Bestes Beispiel für diese Unberechenbarkeit ist der bei uns vielen unbekannte, ältere Bruder des Coronavirus, nämlich SARS-CoV-1, der 2002 auftrat. „Der hatte Potenzial für eine Pandemie, ist aber von selbst wieder verschwunden“, sagt Nicolodi. Und: „Es wurde versucht, einen Impfstoff zu entwickeln, es gelang aber nicht“.
Eben dieses Eigenleben der Viren macht sie faszinierend – und gefährlich. Für Nicolodi zeigt sich das gut bei der altbekannten Influenza, die besonders mutationsfreudig ist und sich binnen weniger Monate verändert. Und gerade deshalb „ist Grippe nicht harmlos. Es gibt Studien, die eine Übersterblichkeit, vor allem bei den Älteren, zeigen. Aber wir haben sie unterschätzt und unterschätzen sie immer noch“.
Wählerisch sind Viren nicht, kreativ schon. Vogelgrippe, Schweinegrippe waren die jüngsten Varianten. Die Namen geben dabei schon den Hinweis auf die „Brutstätten“ – mit kräftiger menschlicher Nachhilfe. Nicolodi: „Man muss sich nur anschauen, wo das herkommt. Unser Umgang mit der Ware Tier ist bedenklich“.
Tiere dürften auch beim aktuellen Coronavirus die entscheidende Rolle gespielt haben, wobei „im Endeffekt hat man bis heute nicht nachweisen können, wo es herkommt. Am wahrscheinlichsten ist, dass es mit Tieren eingeschleppt wurde“. Das ominöse Labor in Wuhan streicht Nicolodi von der Liste: „Dort gab es keine Coronaviren und man darf sich das auch nicht als Bruchbude im Hinterhof vorstellen, die Standards sind so hoch wie bei uns.“
Naturverbunden
Die berufliche Richtung zeichnete sich bei der gebürtigen Steirerin früh ab. „Ich war schon immer sehr naturverbunden, hab mich mit Tieren und Pflanzen beschäftigt“, erzählt Nicolodi. Als in der Volksschule alle ihr Lieblingsbuch mitnehmen sollten, präsentierte sie ein Sachbuch über Meeresbiologie. Auf den Spuren von Hans Hass wollte sie forschen, aber „ich kam bald drauf, dass meine wildromantischen Vorstellungen von der Wissenschaft nicht funktionierten“. Rein pragmatisch wählte sie Mikrobiologie als Studium („weil das gute Zukunftschancen hatte“) und später Limnologie (Gewässerkunde). Bei der Untersuchung von Flusswasser fiel ihr auf, wie Viren Bakterien infizieren und „so bin ich zu den Viren gekommen“.
Nach dem Studium folgten Jobs bei einer Pharmafirma, bei einem Start-up, das an einem Influenza-Impfstoff forschte und in der Abteilung für Impfstoffe beim Pharmariesen Baxter. Nachdem die Sparte verkauft wurde („Impfstoff war damals nicht lukrativ“) machte sich die Impfstoffberaterin und Virologin selbstständig. Und dann kam Corona.
Nachdem sie auf Anfrage einer befreundeten Virologin im Mai 2020 einen Artikel für ORF Science darüber geschrieben hatte, wie Impfstoffe entwickelt werden, stand Nicolodi in der Öffentlichkeit. „Plötzlich kamen ständig Anfragen für Interviews; Virologen traten vor den Vorhang, während vorher das Interesse enden wollend war.“
Wobei dieses (notgedrungene) Interesse „die Forschung angekurbelt hat. MRNA-Impfstoffe etwa, das ist die neue Generation, und die Pandemie haben der Entwicklung einen Push gegeben, während noch vor drei Jahren kaum Geld für die Impfstoffforschung da war“.
Wobei, „es ist noch immer zu wenig Geld und Interesse da. Die großen Firmen entwickeln auch fast nichts selbst, das wird alles von kleinen Start-ups im universitären Umkreis eingekauft“, erklärt Nicolodi. Und betont, dass es noch einige Lücken in der Forschung gibt: „Antibiotika-Resistenzen etwa, das wissen wir seit Jahren, aber es wird zu wenig getan, weil es für die Großen nicht lukrativ genug ist. Oder Krankheiten wie Alzheimer“.
Sie befürchtet, dass „wir aus der Pandemie nicht viel gelernt haben und wieder in alte Muster verfallen. Die Impfquote in Afrika etwa ist bedenklich. Das ist ein Reservoir, wo sich neue Varianten entwickeln. Da haben wir nix dazugelernt. Man muss diesen Ländern die Möglichkeiten für Impfungen geben. Ich vermisse auch bei uns Kampagnen. Die Impfquote bei Kindern ist schaurig. Das Problem ist, dass zu Beginn gesagt wurde, Kinder trifft es nicht stark, das wurde bagatellisiert. Man darf das aber nicht unterschätzen. Es geht um die Gesundheit der Kinder und um eine Grundimmunisierung, schließlich wissen wir nicht, was im Herbst kommt“.
Womit wir wieder bei der Unberechenbarkeit der Viren sind: „Den Sommer sehe ich entspannt. Wenn wir Glück haben, werden es dann nicht mehr so virulente Varianten sein“. Für die Expertin ist aber klar: „Es wird uns immer wieder treffen“.
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