Wenn es für den Einkauf nicht mehr reicht: Die vielen Gesichter der Armut
Es ist Dienstag kurz nach 10 Uhr am Vormittag und der Secondhandladen Carla der Caritas in Krems ist gut besucht, vor der Kassa hat sich eine lange Schlange gebildet. Nicht nur hier merkt man, dass die Zahl jener Personen, die durch die Teuerungen noch mehr auf das Geld schauen müssen, immer weiter steigt.
Dabei geht es um ganz alltägliche und existenzielle Dinge, wie Lebensmittel. Im Carla ist aber auch zu bemerken, dass die kalte Jahreszeit begonnen hat. So suchen mehrere Kundinnen nach leistbarem, passendem Wintergewand für die Kinder.
Bereits im Vorjahr galten rund 1,3 Millionen Menschen in Österreich als armutsgefährdet und 201.000 Menschen waren akut von Armut betroffen. Aktuelle Daten der Statistik Austria zeigen, dass im zweiten Quartal 2023 die Zahl der erheblich sozial oder materiell deprivierten Menschen weiter gestiegen ist.
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Wolfgang Studeny ist einer von denen, der viele Gesichter der Armut kennt. Er ist derzeit im Waldviertel für die Caritas als Energieberater unterwegs. Dabei macht er Hausbesuche und überprüft etwa Haushaltsgeräte. Oft könne er so beim Senken der Energiekosten helfen, sagt der gelernte Elektriker. Es seien vor allem Mindestpensionistinnen, die seine Unterstützung in Anspruch nehmen.
Pension in Armut
„Das sind Frauen, die ihr ganzes Leben gearbeitet haben, Kinder großgezogen und dann vielleicht noch Angehörige gepflegt haben“, schildert Studeny. In der Pension reicht dann das Geld dennoch nicht. Eine Frau, bei der er zu Hause war, habe den Kühlschrank nur noch als Kasten verwendet, weil er kaputt war. „Einen neuen hätte sie sich nicht leisten können.“ Durch das Gerätetausch-Angebot der Caritas kann diese Frau nun zumindest wieder Lebensmittel kühl halten.
Beate Wildthan, Sozialberaterin der Caritas, bestätigt, dass es gerade im Bereich Wohnen und Energie schwierig geworden sei und das Leben für ihre Klientel nicht mehr leistbar ist. Dieses Thema sei auch schambehaftet. Viele Personen, die sich an die Sozialberatung wenden, hätten nie geglaubt, dass sie diese einmal in Anspruch nehmen müssen, sagt Wildthan.
Positiv sei, dass man viele zumindest an Förderstellen weiterleiten könne. Aber sie kritisiert, dass etwa Mindestpensionisten und Sozialhilfeaufstockerinnen der Zugang zu Lebensmitteln erschwert wird. Spürbar sei auch die Angst vor den Energieabrechnungen, viele würden gar nicht mehr heizen.
Käse ist Luxus
In den Sozialmärkten der Caritas merkt man die Teuerungen ebenso – und zwar gleich in zweierlei Hinsicht. Auf eine größere Nachfrage kommen geringere Mengen gespendete Lebensmittel.
Für Karina Baumann, eine 29-jähriger Alleinerzieherin, wäre das Leben mit ihren beiden kleinen Kindern ohne den Sozialmarkt kaum zu finanzieren. 30 Autominuten legt sie einmal in der Woche zurück, um im Carla die Grundnahrungsmittel wie Mehl zum Backen, Milch sowie frisches Obst und Gemüse zu kaufen – hier kann sie sich das gerade noch leisten. Zu den Luxusgütern zählen Wurst, Käse und für die Kinder gibt es manchmal Schokolade. „Das ist aber die Ausnahme.“
Mehr als 200.000 Menschen, darunter etwa 36.000 Kinder, seien hierzulande 2022 „massiv von Armut betroffen“ gewesen, betonte Caritas-Präsident Michael Landau bei einem Besuch im Secondhand-Shop der Caritas in Krems. Das seien um 40.000 Personen mehr als im Jahr zuvor gewesen.
Und der Trend geht leider weiter in diese Richtung. „In den österreichweit 71 Sozialberatungsstellen der Caritas sind die Erstkontakte im letzten Jahr um mehr als 50 Prozent gestiegen, die Anfragen steigen in diesem Jahr weiter“, so Landau.
Zwar habe es schon etliche Maßnahmen zur Abfederung der Teuerung gegeben, doch „der Druck, der auf den Schultern vieler Menschen lastet, ist nach wie vor enorm. Arbeiten wir gemeinsam an Lösungen, dann werden die Menschen wieder in ein selbstbestimmtes Leben zurückfinden“, so Landau.
Österreichweit bietet die Caritas 71 Sozialberatungs- und 41 Familienberatungsstellen, zwölf Mutter-Kind-Häuser, viele Lebensmittelausgabestellen, 61 Secondhand-Shops und 68 Lerncafés.
Baumann würde gerne arbeiten, ist aber Alleinerzieherin und bräuchte ein Betreuungsangebot für ihre zweijährige Tochter. Das sei auf dem Land nicht so einfach. Und ihre Familie lebe weit entfernt.
Auch für Erna Schaupp ist der Sozialmarkt eine große Hilfe. Sie ist eine der oft angesprochenen Mindestpensionistinnen. Die 81-Jährige habe das Glück, dass sie aus einer Generation kommt, wo sie aus wenigen und billigen Lebensmitteln vieles kochen könne. Sie werde auch von ihren Kindern unterstützt. „Ich darf nicht so viel jammern, weil ich hier einkaufen kann.“
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