Tschetschenen-Mord in Gerasdorf: 14 Jahre Haft für Bodyguard

Tschetschenen-Mord in Gerasdorf: 14 Jahre Haft für Bodyguard
Im Juli des Vorjahres wurde der tschetschenische Blogger Ansor von Wien erschossen.

Es war ein waghalsiger Plan, den Ansor von Wien, ein tschetschenischer Kritiker von Präsident Ramsan Kadyrow geschmiedet hatte: Er wusste, dass ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt war. Angeblich fünf Millionen Euro. Also wollte er den Täter in eine Fall locken.

Dazu wollte er auch den Verfassungsschutz ins Boot holen: "Er hat gesagt, er würde eine Puppe benötigen, um seine Häscher zu täuschen. Die würde er ins Auto setzen, wenn sie darauf schießen, würden sie denken, dass sie ihn getötet haben. Dann könnten sie uns den Täter übergeben", schildert ein Wiener Verfassungsschützer Donnerstagvormittag im Landesgericht Korneuburg. Er lehnte ab: "Ich hab gesagt, das ist verrückt. So etwas ist Aufgabe der Polizei." 

Einen Tag später, am 4. Juli 2020, war Ansor von Wien tot. In Gerasdorf bei Wien wurde fünf Mal auf ihn geschossen.

Mord in Gerasdorf

Cobra vor der Haustür

Es ist ein besonders heikler Prozess, der am Donnerstag in Korneuburg stattfindet. Der politische Hintergrund ist brisant. Der tschetschenische Präsident soll dafür gesorgt haben, dass ein Regimekritiker aus Wien ermordet wird. Es ist nicht das erste Mal. 2009 wurde Kadyrow-Kritiker Umar Israilov in Wien erschossen.

Entsprechend groß sind die Sicherheitsvorkehrungen. Die Spezialeinheit Cobra steht vor dem Gerichtsgebäude. Verfassungsschützer sitzen zuhauf im Verhandlungssaal. Der Saal selbst und der Angeklagte wird von sechs schwer bewaffneten Mitgliedern der Einsatzgruppe der Justizwache bewacht. Der Angeklagte trägt eine schusssichere Weste.

Tschetschenen-Mord in Gerasdorf: 14 Jahre Haft für Bodyguard

Hohe Sicherheitsvorkehrungen beim Prozess

Doch Angeklagter Ahmed A. ist nicht jener Mann, der die tödlichen Schüsse auf den 42-jährigen Ansor aus Wien, alias Martin B., abgegeben hat. Er war sein "Bodyguard". Er soll die Waffe in Richtung des Todesschützen gerichtet haben (der in U-Haft sitzt und schweigt). Nur weil sich eine Patrone in der alten Tokarev-Pistole verkeilt hatte, brach kein Schuss. Dennoch: Ahmed A. wird Mordversuch vorgeworfen.

Vorbereitet

Der 37-jährige Leibwächter lebt seit 15 Jahren in Österreich. Er war mit dem Mordopfer befreundet. "Er ist ein gut aussehender, gebildeter, höflicher Mann", beschreibt ihn der Staatsanwalt. "Er hat Fachliteratur über Körpersprache, Vernehmungstechniken und Prozessabläufe gelesen. Was sie hier sehen, ist also alles nur Fassade."

Ahmed A. begleitete Ansor schon seit einiger Zeit. "Ich habe ihm gesagt, er soll sich Polizeischutz nehmen", sagt er. Der wurde Ansor auch oftmals angeboten - er lehnte ab. Dass er ins Visier von Kadyrow gekommen war, entging auch dem Verfassungsschutz nicht. "Seit Mai 2020 hat er Videos gepostet. Für uns war klar, dass dadurch eine massive Gefahr besteht", schildert der Verfassungsschützer.

"Sie haben ihn geschossen"

Am Abend des 4. Juli läutete bei dem Beamten das Telefon. Ahmed A. hatte ihn angerufen: "Sie haben ihn geschossen. Sie haben ihn geschossen. Komm schnell."

Ansor und Ahmed A. hatten sich auf einem aufgelassenen Betriebsgelände an der Brünner Straße mit einem weiteren Tschetschenen, Sar-Ali A., getroffen. Sie wollten einen alten BMW gegen eine Glock-Pistole tauschen. Sar-Ali A. galt als Waffenschieber. Und als Kadyrow-Unterstützer. "Ich habe Ansor mehrmals gesagt, wir sollten uns nicht treffen. Aber ich konnte ihn nicht beeinflussen. Ich bin mit ihm mitgefahren, um ihm zu helfen", sagt der Angeklagte.

Er versteckte sich in einer Halle. Ansor hatte ihm zwei Wochen zuvor eine Pistole gegeben. Auch sie soll von Sar-Ali A. stammen. Und auch Ansor selbst kam bewaffnet zu dem Treffen.

Tschetschenen-Mord in Gerasdorf: 14 Jahre Haft für Bodyguard

Der Tatort in Gerasdorf, ein aufgelassenes Gelände

Plötzlich fielen fünf Schüsse. Ahmed A. schildert, dass er daraufhin nach vor gelaufen sei, den Schützen beim Einsteigen ins Auto gesehen habe. Dann habe er auf die Reifen des Fluchtfahrzeuges schießen wollen, um ihn zu stoppen. "Damit er nicht über die Grenze nach Brünn fliehen kann. Denn das ist kein klassischer Mord. Das ist ein politischer Mord."

Doch die Waffe, Baujahr 1957, funktionierte nicht. Die 35 Jahre alten Patronen waren feucht und verklumpt. Eine verkeilte sich.

Zwei weitere Männer am Gelände

Als die Schüsse fielen, waren die drei Männer übrigens nicht allein auf dem Gelände. Ein Detail, das im Prozess zum ersten Mal zur Sprache kommt. Zwei Männer, wahrscheinlich unterstandslos, hatten sich hier aufgehalten. Doch sie sollen keine unmittelbare Wahrnehmung von der Tat gehabt haben. Als Zeugen sind sie am Donnerstag nicht geladen. Ebenso wenig wie der mutmaßliche Mörder von Ansor - obwohl Sar-Ali A. nur ein paar Meter weiter in der Justizanstalt untergebracht wäre.

Nur dank des Angeklagten konnte der mutmaßliche Schütze kurze Zeit nach der Tat bei Linz von der Cobra gestellt werden. Er konnte der Polizei Auto und Kennzeichen nennen. Und er benannte auch den mutmaßlichen Auftraggeber des Schützen - es soll sich dabei um Salman M. handeln. Der allerdings konnte rechtzeitig untertauchen. Er soll sich in Tschetschenien befinden. Nach ihm wird per internationalem Haftbefehl gesucht.

Von ihm sollen auch Audio-Aufnahmen existieren, in denen er angibt, dass er schon zwei Personen gefunden habe, die den Auftrag erledigen würden. Die Waffe sollte danach zu Kadyrow nach Tschetschenien gebracht werden.

Urteil: Die Geschworenen konnte Ahmed A. nicht davon überzeugen, dass er nur auf die Reifen des flüchtenden Fahrzeuges schießen wollte. Sie verurteilten ihn zu 14 Jahren Haft wegen Mordversuchs; nicht rechtskräftig.

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