Seitenstetten: Abt Petrus über Egoismus, Werte und Lebensstandard
Die Würde des Menschen dürfe in der Werte-Diskussion nicht beschädigt werden, fordert der 60-jährige Klosterprimus. Und was er bei der 2025 anstehenden Abtwahl im Stift Seitenstetten vorhat.
Es sind viele Gedanken, die Abt Petrus Pilsinger am Ende dieses Jahres und zum Weihnachtsfest spontan durch den Kopf schießen. Welche davon er in seine Predigt beim Hochamt am Christtag in der Stiftskirche von Seitenstetten (Bezirk Amstetten) ausführen wird, weiß er in der letzten Woche des Advents noch nicht.
Es war ein aufwühlendes Jahr mit dem Hochwasser, den vielen Kriegen und politischen Turbulenzen. "Man redet von Atomwaffen, Putin nimmt sich kein Blatt vor den Mund und der NATO-General sagt, wir müssen aufrüsten“, ist der Abt besorgt. Gesellschaftlich und politisch habe man den Eindruck, "dass es gilt, zuerst auf sich selber zu schauen. ,First‘ ist angesagt. Österreich zuerst, Amerika zuerst. Man schaut weniger darauf, was braucht es innerhalb unserer Vernetzung“, sinniert der erste Mann im "Vierkanter Gottes“, wie das Mostviertler Benediktinerstift auch genannt wird.
Auch den Abt beschäftigt dieses Auseinanderklaffen im täglichen Leben, „dass die Menschen durcheinanderbringt“. Das ständige Maximieren, das jährlich schon früh angeheizte Weihnachtsgeschäft, das besser laufen müsse als im Vorjahr oder Firmenrekorde und im Gegenzug Großkonkurse. Dazu Menschen, die sich das Leben oder die Energie nicht leisten könnten. Widersprüche, „die schwer zu verstehen und trügerisch sind“, so Abt Petrus. Bei vollen Adventmärkten und Gasthäusern sei jetzt vor Weihnachten zum Glück aber keine augenscheinliche Tristesse zu erkennen.
Hochwasseropfer
Der Klosterprimus rückt aber auch das Schicksal der Hochwasseropfer in den Fokus. "Viele haben sogar noch die Anzahlungen für die neue Einrichtung durch den Leiner-Konkurs verloren. Wer soll da helfen, außer dass man sagt, wir helfen uns gegenseitig“, sinniert er.
Zum Nachdenken in so schwierigen Zeiten regen den Abt jedenfalls auch publizierte Warnungen an, die vor sinkendem Lebensstandard warnen. "Wir befinden uns beim Lebensstandard auf einem sehr hohen Niveau. Man darf Lebensstandard aber nicht mit Lebensqualität gleichsetzen. Wer sagt, dass jemand, der weniger hat, nicht eine unglaublich schöne Lebensqualität haben kann?“, fragt der Abt.
Mehr persönliche Unabhängigkeit „von diesen äußeren wirtschaftlichen Dingen“ sollte für jeden eine Herausforderung sein, rät der Abt im vorweihnachtlichen KURIER-Gespräch.
In diesem Kontext begleite ihn seit etlichen Jahren der Buchtitel, den der deutsche Bischof Franz Kamphauser verfasst habe, "Mach’s wie Gott, werde Mensch“, erzählt Abt Pilsinger. Die christliche Weihnachtsbotschaft „Ehre sei Gott und Friede den Menschen“ sei ein klarer Wegweiser. „Wie kann ich Gott die Ehre erweisen? Eigentlich nur dadurch, dass ich in meinem Menschsein so lebe, wie es vorgesehen ist. Jesus war der Erste, der das exemplarisch gelebt hat“, so der Abt.
Wertedebatte
Mehr Ausgeglichenheit und weniger Radikalität fordert er in der Werte-Debatte. Kreuze in Spitälern seien sehr erwünscht und würden Patienten Trost und Hilfe spenden, ist Petrus überzeugt. Wer Werte fordere, müsse dafür aber etwas tun und diese auch weitergeben. "Wenn Werte in der Bedeutung auch sinken, so darf die Würde des Menschen niemals sinken“, fordert der Benediktiner.
Viel Vorfreude empfindet Abt Petrus auf die gemeinsame Feier mit dem 25-köpfigen Konvent am Heiligen Abend. Dafür nehmen sich die Mönche einige Stunden am späten Nachmittag Zeit, bevor sie wieder in die 14 von den Benediktinern betreuten Pfarren im Mostviertel ausschwärmen, um dort die Christmetten zu zelebrieren.
Neben der Mette um 24 Uhr in der Stiftskirche ist die von den Mönchen im feierlichen Ornat in der Kirche gesungene Vesper um 17 Uhr sicher ein Geheimtipp für Interessierte und Liebhaber von Chorälen.
Persönlich freut sich der Abt, wie jedes Jahr, auch auf einen gemeinsamen Tag mit seiner Familie in seinem Geburtsort Euratsfeld. An seine Lieben wird er eigentlich seit dem heurigen Sommer immer, wenn er seine Abtei verlässt, erinnert. Im historischen Klostergang hängt ein riesiges Puzzle an der Wand. Das aus 13.000 Teilen bestehende Gemälde (Michelangelos Erschaffung des Adam aus der Sixtinischen Kapelle) hat Pilsinger mit seinen Angehörigen bei seinen Weihnachtsbesuchen in den letzten Jahren gebaut. Zu seinem 60. Geburtstag, den er im Juni feierte, brachte ihm die Familie, das fertige Werk als Geschenk ins Kloster.
Weil sie von dieser Leidenschaft des Abtes wussten, schenkten ihm Mitbrüder ebenfalls ein Puzzle. Das Bild der Pfarrkirche St. Johann/Engstetten wartet nun in 2.000 Teilen im Vorraum der Abtei auf die Fertigstellung.
Abtwahl
Für den 2013 zum Abt gewählten früheren Direktor des Stiftsgymnasium steht im kommenden Frühjahr auch eine neue persönliche Erfahrung an. Nach den Regeln des Konvents steht nach zwölf Jahren wieder die Abtwahl an. Petrus will sich der Wiederwahl stellen. "Wenn die Gemeinschaft sagt, es hat gepasst und wenn man selber auch sagt, ich bin wieder bereit, soll dem nichts entgegenstehen“, erklärt er. Sollte es aber andere Wünsche geben, könne er damit auch gut umgehen.
Im komplexen Klosterbetrieb samt Stiftsgymnasium geht 2025 auch die seit neun Jahren laufende Generalsanierung der zum Kloster gehörenden Wallfahrtsbasilika Sonntagberg weiter. 2026 soll das aufwendige Millionenprojekt abgeschlossen werden.
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