Sozialhilfe: Durch alle Netze gefallen

Jeder 7. Mensch in Österreich ist armutsgefährdet oder arm.
Menschen mit humanitärem Bleiberecht stehen vor dem Nichts - Alte, Kranke und Kinder.

Schwer sei es, sagt Mariam (Name von der Redaktion geändert, Anm.). „Es kommen ständig Rechnungen, aber ich kann sie nicht bezahlen.“

Seit einem Jahr ist das Leben der Alleinerzieherin aus Niederösterreich ein Existenzkampf – seit sie wegen der Corona-Pandemie ihren Job als Küchenhilfe verloren hat. Lediglich dank Spenden kann Mariam, die seit neun Jahren im Land lebt, Lebensmittel für ihre fünf Kinder und ein Enkelkind kaufen oder die Miete bezahlen. Zwar erhält sie die Familienbeihilfe für ihre vier minderjährigen Buben. Doch das Geld reicht nicht. Krank werden, das darf Mariam sowieso nicht. Sie ist nicht versichert. Und das während einer der größten Gesundheitskrisen in der Geschichte der Zweiten Republik.

Seit gut einem Jahr haben Menschen wie Mariam, die dank des humanitären Bleiberechts in Österreich leben dürfen, keinen Anspruch mehr auf Sicherung des Lebensunterhalts oder auf Wohn- sowie weiterer Beihilfen. Da ist nämlich mit 1. Jänner 2020 das neue Sozialhilfe-Ausführungsgesetz in Kraft getreten ist. Betroffene stehen damit ohne finanzielle Versorgung da. Sie können sich vielfach nicht einmal mehr etwas zu essen leisten, geschweige denn eine Wohnung.

Rund 300 Betroffene in NÖ

Die Diakonie schätzt, dass in NÖ mittlerweile knapp 300 Menschen durch das soziale Netz fallen. Laut offiziellen Zahlen erhielten 150 Personen im Vorjahr humanitäres Bleiberecht.

„Das sind Menschen, die teilweise schon lange im Land leben“, sagt Claudia Lui, die in der Diakonie-Beratung mit Dutzenden Fällen konfrontiert ist – und diese nun berät und Hilfe vermittelt. Sogar Sozialämter schicken die Menschen mittlerweile zu Lui.

Zwar dürfen einige der Betroffenen arbeiten, doch aufgrund der Corona-Pandemie haben viele – wie Mariam – ihren Job verloren.

Ein großer Teil jener, die humanitäres Bleiberecht erhalten haben, sind aber Kinder, chronisch Kranke oder Senioren, die gar nicht (mehr) am Arbeitsmarkt Fuß fassen können, erklärt Martin Schenk von der Armutskonferenz. „Das ist eine besonders verletzliche Gruppe, die da betroffen ist.“

Das betont auch Lui. „Wir haben einen Klienten, der seit 16 Jahren im Land lebt. Er ist 70 und nicht pensionsversichert.“ Viele kranke Menschen hätten sogar ihre Therapien abbrechen müssen.

Bund oder Land?

Hintergrund für die neue Sozialhilfe ist eine Gesetzesänderung auf Bundesebene. Die Ausführung obliegt den Ländern. Doch während Oberösterreich eine Regelung gefunden hat, Menschen mit humanitärem Bleiberecht zu versorgen, heißt es beim zuständigen nö. Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) aber auch beim Verfassungsdienst des Landes, dass nur der Bund das Gesetz ändern könne (siehe unten).

In der Zwischenzeit springen Privatpersonen, Stiftungen, Vereine, NGOs und Religionsgemeinschaften ein. Rund 50 Akteure haben sich mittlerweile zu einer Plattform zusammengeschlossen – und leisten, was das Gesetz versagt

Mittlerweile kommt auch in der Politik Bewegung. Die ÖVP hat eine Resolution eingebracht, die einstimmig im Landtag beschlossen wurde und in der der Sozialminister aufgefordert wird, zu handeln. Soziallandesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig hingegen sieht das Land am Zug.

Indes will Mariam nur eines: einen Job.

Das neue Sozialhilfegesetz, das unter der türkis-blauen Regierung beschlossen wurde, hat vielfach für Kritik gesorgt. Teile wurden vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben. Für die Ausführung sind aber die Länder zuständig – und manche nutzen ihren Spielraum.

Denn was Sozialhilfe für Menschen mit humanitärem Bleiberecht betrifft, hat Oberösterreich – das wie NÖ das Gesetz 2020 umgesetzt hat – , „dauerhaft niedergelassene Fremde“, die mehr als fünf Jahre im Land leben, als anspruchsberechtigt definiert. In NÖ wird die Gruppe nicht umfasst. Zudem haben die Betroffenen auch keinen Anspruch auf Grundversorgung, sie fallen also aus dem System.

So wird es auch in Salzburg gehandhabt, wo die neue Sozialhilfe 2021 in Kraft trat. Kärnten wiederum orientiert sich an OÖ. In NÖ argumentiert man, dass man den Vorgaben des Bundes folge und nur dieser das Gesetz reparieren kann. Das sieht Martin Schenk von der Armutskonferenz anders – und verweist auf die verschiedenen Regelungen der Länder. Die Formulierung im oö. Gesetz stehe etwa nicht im Widerspruch zum Bundesgesetz.

Kommentare