Semmering-Basistunnel: Anrainer erzwingen Baustopp

Blick auf die Baustelle für das Nordportal zum Semmering-Basistunnel: Die Bauarbeiten müssen aufgrund eines VwGH-Urteils gestoppt werden. (Archivbild)
Gericht hebt UVP-Genehmigung auf. ÖBB hoffen auf nur kurze Verzögerung.

Man kann von Zweckoptimismus sprechen, wenn Verkehrsministerin Doris Bures meint, dass am Zeitplan für den Bau des Semmering-Basistunnels festgehalten wird. Denn für ÖBB-Insider war es am Montag nicht einmal mehr sicher, ob der Tunnel in seiner ursprünglichen Form überhaupt noch umgesetzt werden kann.

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat überraschend die UVP-Genehmigung für den Semmering-Basistunnel aufgehoben. Das 3,1-Milliarden-Projekt ist damit vorerst gestoppt. Die ersten Grabungsarbeiten für die beiden 400 Meter tiefen Tunnelschächte im Fröschnitzgraben zwischen NÖ und der Steiermark sind bis auf Weiteres eingestellt.

Semmering-Basistunnel: Anrainer erzwingen Baustopp
Karte Semmering, bestehende Strecke, Tunneltrasse Grafik 0171-14-Bahn.ai, Format 134 x 108 mm

Für die Tunnelgegner ist der VwGH-Entscheid ein Etappensieg im Kampf gegen das „unnötige Milliardengrab“. Die leidgeplagten Anrainer, die Initiative „Stopp dem Tunnelwahn“ und die Landschaftsschutz-Organisation „Alliance for Nature“ (AfN) haben das Projekt mit einer Flut an Beschwerden und Einsprüchen torpediert und nun mit einigen Einwänden recht bekommen. „Wir haben von Anfang an die Rechtmäßigkeit einiger eingesetzter Sachverständiger angezweifelt“, erklärt AfN-Generalsekretär, Christian Schuhböck. Bei genauer Prüfung hat der Verwaltungsgerichtshof diese Verfahrensverletzung auch festgestellt. Einer der beauftragten Sachverständigen hatte für Detailfragen einen nicht beeidigten Gutachter eingesetzt.

Der zweite Knackpunkt für die Aufhebung des UVP-Bescheides betrifft die Anrainer- und Lärmsituation in Göstritz bei Schottwien (NÖ), von wo ein „Zwischenangriff“ (Arbeitstunnel) erfolgen soll. 980 Lastwagen mit Bauschutt sollen pro Woche von dem Baulos abtransportiert werden – genau an dem Bauernhof einer Familie vorbei. Der VwGh stellte fest, dass die Lärmbelastung des Hofes nicht richtig erhoben wurde und Messungen an falschen Punkten durchgeführt wurden. Die Bürgerinitiative hatte von Anfang an protestiert, dass Göstritz während der Arbeiten „für mindestens sieben Jahre quasi unbewohnbar wird.“

Semmering-Basistunnel: Anrainer erzwingen Baustopp
APA16896404-2 - 10022014 - GLOGGNITZ - ÖSTERREICH: ZU APA 320 WI - Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat den Baubescheid für den Semmering-Basistunnel aufgehoben. Zentraler Punkt: ein Sachverständiger war nicht nach dem Eisenbahngesetz beeidet und damit nicht zu Gutachten berechtigt. Im Bild: Neben der Reichenauer Straße bei Gloggnitz wird am Mittwoch, 25. April 2012 die Baustelle für das Nordportal zum Semmering-Basistunnel eingerichtet. (ARCHIVBILD) APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH

Einer der Hauptkritikpunkte der Tunnelgegner ist nach wie vor das Wasser. Obwohl Umweltexperten prognostizieren, dass durch den Tunnel täglich etwa 38 Millionen Liter Bergwasser verloren gehen, hat dieser Umstand keinen Niederschlag im Verfahren gefunden. „Gott sei dank ist die Genehmigung für dieses völlig unnötige Projekt gekippt. Durch die nachhaltige Schädigung des Wasserhaushaltes wird wahnsinnig viel Natur zerstört“, so Anrainer Peter Derl.

Wie es weitergeht

Das Verkehrsministerium und die ÖBB sind nun gefordert, die vom VwGh festgestellten Mängel im UVP-Verfahren auszumerzen. Dass eine völlig neue Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig ist, glaubt man allerdings nicht. „Bei derart komplexen Genehmigungsverfahren muss immer wieder mit solchen Aufhebungen gerechnet werden. Wir gehen aber davon aus, bald weitermachen zu können“, so ÖBB-Sprecher Michael Braun.

Der Baustopp betrifft übrigens nicht den Hochwasserschutz und die notwendigen Straßenbauten.

Verwaltungsgerichtshof

1980 - 1989

Vorplanungen der ÖBB für einen Semmering-Basistunnel Semmeringstrecke

März 1989

Südbahnstrecke zwischen Wien und Spielfeld wird zur Hochleistungsstrecke erklärt. Planung und Bau des Semmeringtunnels wird an Hochleistungs AG (HL-AG) vergeben.

1991

Niederösterreich, Steiermark und Kärnten beziehen Tunnel in ihre Verkehrskonzepte ein. Übereinkommen über Weiterbestand der Ghega-Strecke auch nach Bau des Tunnels.

1992

Bewilligung der Vorarbeiten inklusive Sondierstollen. Verkehrsminister Viktor Klima (S) verfügt befristete Unterbrechung der Vorarbeiten bis zum Abschluss von weiteren Untersuchungen.

1993

Baustopp wird aufgehoben.

1994

Baubeginn am Sondierstollen.

1995

Öffentliche Ausschreibung für Bau und Betrieb der Hochleistungsstrecke Gloggnitz-Mürzzuschlag.

1997

Drei private Bieterkonsortien geben Angebote für Finanzierung und Bau ab.

April 1998

Widerruf der Konzessionsausschreibung durch Minister Caspar Einem (S), neue Variantenuntersuchung bestätigt Tunnel als optimales Projekt.

Juni 1998

Das Land Niederösterreich erlässt einen negativen Naturschutzbescheid. Das Projekt wird gestoppt.

Juli 1998

Die HL-AG legt beim VfGH Beschwerde gegen den Bescheid ein.

1999

Der VfGH setzt ein früheres NÖ-Naturschutzgesetz wieder in Kraft, grünes Licht für Bau des Tunnels. Niederösterreich verhängt neuen Naturschutzbescheid. Der Bau des Semmering-Basistunnels wird neuerlich gestoppt.

2000

Der Verwaltungsgerichtshof hebt den NÖ-Bescheid auf. Niederösterreich ändert das Landesgesetz und erlässt einen neuen Bescheid.

2001

HL-AG klagt auch gegen den NÖ-Bescheid. Der VwGH muss neuerlich entscheiden. Die Gelder für den Semmering-Tunnel werden zum Ausbau der Koralmbahn umgeleitet.

2002

Die Regierung legt einen Generalverkehrsplan vor. Demnach wird der Baubeginn für den Semmering-Tunnel 2007 angepeilt, die Kosten werden auf 800 Mio. Euro geschätzt. Die Fertigstellung ist für 2011 geplant.

April 2004

Der VwGH hebt den NÖ-Bescheid nach fast drei Jahren wieder auf. Niederösterreich muss einen neuen Bescheid erlassen. Eine Einigung scheint nicht in Sicht.

März 2005

Das Projekt wird endgültig zurückgezogen. An seine Stelle soll ein neueres und modernes Vorhaben für den Semmering treten. Der Ministerrat segnet die Neuplanung ab.

April 2005

Entschließungsantrag des Nationalrates für das Projekt neu, Vereinbarung Bund - ÖBB-Holding über Realisierung und Finanzierung

31. Jänner 2006

Die ÖBB präsentieren - auf dem Semmering - den "Beginn der Planungen für den Semmering-Basistunnel neu".

9. Februar 2007

Kanzler Alfred Gusenbauer (S) erklärt bei einem Treffen mit dem steirischen LH Franz Voves und Infrastrukturminister Werner Faymann in Graz Koralm- und Semmeringtunnel zur "Priorität Eins". Einen Monat später wird aus ÖBB-Kreisen Widerstand gegen das Projekt laut. Faymann bekräftigt, dass die erste Bautranche trotz Neuplanung bereits 2012 starten werde.

26. April 2008

Faymann teilt Voves mit, dass eine neue zweiröhrige Tunneltrasse südöstlich der Passhöhe geführt werden soll, mit einer Bauzeit von 2012 bis 2020. NÖ-LH Erwin Pröll (V) reagiert vorsichtig-zustimmend.

25. April 2012

Am künftigen Nordportal in Gloggnitz, NÖ, erfolgt der Spatenstich für zwei Tunnelröhren von 27,3 Kilometern Länge. Die Bauzeit soll zwölf Jahre betragen (bis 2024), die Kosten 3,1 Mrd. Euro betragen. Die neue Südbahn, Teil des transeuropäischen Verkehrsnetzes, wird die Fahrzeit Wien - Graz um ein Drittel verkürzen und den Zuwachs im Güterverkehr bedienen, gleichzeitig bleibt das Unesco-Weltkulturerbe Ghega-Bahn über den Semmering erhalten.

10. Jänner 2014

Im Fröschnitzgraben beginnen die Arbeiten an den Tunnelschächten. Durch ein VwGH-Urteil müssen die Arbeiten einen Monat später gestoppt werden.

Die Verbindung zwischen Wien und Triest war das bedeutendste Eisenbahnprojekt des 19. Jahrhunderts. Vor allem galt es, den Semmering zu überwinden, der mit einer Höhe von 1000 Metern die ungünstigsten Verhältnisse zur Errichtung einer Bahnstrecke bot: Die Landschaft ist stark zerklüftet und außergewöhnlich unwegsam.

Mit 17 Jahren Doktor

Da holten sich die k. k. Staatsbahnen Carl Ghega, der mit nur 17 Jahren sein Doktorat der Technik erworben hatte! Der in Venedig geborene Bahningenieur wurde vorerst in die Vereinigten Staaten von Amerika geschickt, um den dortigen Bahnbau zu studieren, stieß aber in Österreich auf ganz andere landschaftliche Verhältnisse. Mit der Semmeringbahn sollte dann die erste Gebirgsbahn der Welt entstehen.

Man bedenke die damaligen baulichen Möglichkeiten: Die 16 Tunnels, 17 Viadukte und elf Brücken mussten ohne jedes Sprengmittel errichtet, die meisten Arbeitsvorgänge händisch durchgeführt, die Felsen mit einfachen Handbohrern bearbeitet werden. Und die Transporte erfolgten mit Pferdegespannen.

All diese Schwierigkeiten hatte Carl Ghega, der für die Gesamtplanung verantwortlich war, zu bewältigen. Dazu kam, dass es zu dieser Zeit kaum Lokomotiven gab, die für derartige Steigungen wie sie über den Semmering zu überwinden sind, geeignet waren. Auch um die Weiterentwicklung entsprechender Loks kümmerte sich Ghega selbst.

Die Bauarbeiten begannen im Revolutionsjahr 1848, wobei es von Anfang an schwere Angriffe auf Ghega gab, dem Neider aus allen Teilen der Monarchie Unfähigkeit und technisches Unverständnis vorwarfen.

Doch die größten Probleme entstanden erst während der Bauarbeiten. Da die Arbeiter in primitiven Holzhütten und unter katastrophalen sanitären Verhältnissen untergebracht waren, brachen Cholera und Typhus aus. Mehr als 700 Männer fielen diesen Seuchen während der Bauzeit zum Opfer. Für sie wurde am Fuße des Semmering ein eigener Friedhof errichtet.

Die Eröffnung

Doch allen Problemen zum Trotz konnten nach dreijähriger Bauzeit mit der Lokomotive „Save“ die ersten Versuchsfahrten unternommen werden, und am 17. Juli 1854 fand die feierliche Eröffnung des Personenverkehrs statt.

Auch der unverheiratet gebliebene Carl Ritter von Ghega, den Kaiser Franz Joseph für seine Verdienste in den Adelsstand erhob, war während der Bauarbeiten an Tuberkulose erkrankt. Er starb nur sechs Jahre nach der Eröffnung seines Lebenswerks im Alter von 58 Jahren in Wien.

Die alte „Ghega-Strecke“, die schon in der Ersten Republik unter Denkmalschutz gestellt und 1998 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde, wird laut ÖBB auch nach Fertigstellung des neuen Basistunnels erhalten bleiben.

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