Schlepper-Prozess: Blamage für Justiz

Stillstand im Schlepper-Prozess: Richterin muss den Akt überarbeiten
Alle Angeklagten enthaftet und Prozess vertagt. Der Richterin kamen Zweifel an der Stichhaltigkeit der Anklageschrift.

Die Staatsanwältin kam den Verteidigern zuvor: Sie beantragte kurz nach Beginn des fünften Prozesstages die Enthaftung von sechs Angeklagten. Zwei der acht Männer, die sich im Landesgericht Wiener Neustadt wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Schlepperei vor einem Schöffensenat verantworten müssen, waren bereits frei. Die Verhandlung wurde für die Enthaftung kurz unterbrochen – und dann bis zum 6. Mai vertagt. Richterin Petra Harbich will den 10.000 Seiten umfassenden Akt, den sie offen kritisierte, bis dahin überarbeiten.

Politisch brisant war das Verfahren von Beginn an: Just als acht im Servitenkloster untergekommene Flüchtlinge nach Pakistan abgeschoben wurden, vollendete das Bundeskriminalamt seinen Schlag gegen das "organisierte Schlepperwesen". Es gab acht Verdächtige, vier stammten aus dem Kloster. Die Exekutive bediente mitten in der Vorwahlkampfzeit die Medienorgel: Über "beinharte Bosse" die "zehn Millionen" mit der Ware Mensch verdienten, berichtete danach die Krone. Schwangere seien zurückgelassen worden, erklärte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner.

"Kleine Fische"

Übrig blieb davon nichts. Weder sind die Männer aus Pakistan, Afghanistan oder Indien, die sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten, millionenschwer, noch war je Gewalt im Spiel. "Kleine Fische", die für Sachspenden oder ein paar Euro Landsleute aus Ungarn abgeholt hätten – so beschrieb sie ein Anwalt.

Bereits am Montag hatte Harbich "Faktenüberschneidungen" bekrittelt. Gerichtssprecher Hans Barwitzius präzisiert: "Bestimmte Fakten sind offenbar doppelt angeklagt worden."

Der Akt strotze laut Verteidigern vor Fehlern: Ein Vorfall rund "um den 4. April" werde gleich vier Verdächtigen angelastet. "Es ist nicht nachvollziehbar, warum", sagt Verteidiger Stefan Traxler. Für Nachwehen sorgt das Kapitel "Übersetzungen". So sei das Wort "Leute" synonym für "Schleppungswillige" verwendet worden.

Traxler, der schon Tierschützer im ersten Verfahren in Wr. Neustadt verteidigt hat, hält der Polizei vor, sie habe "schlampig gearbeitet. Die Staatsanwältin war damit überfordert.“ Auf Fragen nach der Ermittlungsarbeit in diesem Fall antwortete der Chef des Bundeskriminalamtes auf Ö1: "Wir werden uns mehr Zeit nehmen müssen."

In der Kritik stand einmal mehr die Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt. Gegenüber dem KURIER kündigte der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser an, die Behörde "im Justizausschuss zum Thema" zu machen. "Die teilweisen Blamagen sind für das Ansehen der Justiz fatal." Er spielt damit auf den Tierschützer- und einen umstrittenen NS-Wiederbetätigungsprozess (mit angeblich rechtslastigem Gutachter) an. Im Büro des Justizministers Wolfgang Brandstetter betonte man das "Vertrauen in die Justizbehörden und in die Fachaufsichten."

Die Staatsanwältin begründete die Enthaftungsanträge mit der "Verhältnismäßigkeit" der Tat zur U-Haft, die durch die Vertagung nicht gegeben sei. Der Sprecher der Anklagebehörde, Erich Habitzl: "Die reflexartige und undifferenzierte Kritik hat uns überrascht."

Immerhin habe das Gericht den dringenden Tatverdacht bejaht, es gebe Geständnisse und noch kein Beweisverfahren.
Die Flüchtlinge kamen in Caritas-Heimen unter.

"Die reflexartige und undifferenzierte Kritik hat uns überrascht."
Erich Habitzl, Sprecher der Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt

"Die Richterin ist von allen Beteiligten sicher am besten vorbereitet."
Hans Barwitzius, Sprecher des Landesgerichts Wr. Neustadt

"Ich möchte ,schlampig‘ nicht in den Mund nehmen müssen, auf keinen Fall. Wir werden uns mehr Zeit nehmen müssen."
Franz Lang, Chef des Bundeskriminalamtes, auf Ö1 über die Ermittlungsarbeit der Behörde

"Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ist mehrmals auffällig geworden. Die teilweisen Blamagen sind für das Ansehen der Justiz fatal."
Albert Steinhauser, Justizsprecher der Grünen im Nationalrat

"Die Ermittler waren schlampig, die Staatsanwältin war dann damit überfordert."
Stefan Traxler, Verteidiger eines Verdächtigen

"Wir haben Vertrauen in die Justizbehörden und in die Fachaufsichten."
Aus dem Büro des Justizministers Wolfgang Brandstetter

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