Versiegelung: Die Wut der Bürger gegen Konzerne und die Politik
Es war schon weit nach Mitternacht, als der St. Pöltner Gemeinderat endlich beim 33. Tagesordnungspunkt angelangt war. Nach stundenlangen Diskussionen über Subventionen, den Rechnungsabschluss und Kanalkataster, ging es zu nachtschlafender Zeit schließlich ans Eingemachte. Die Mitglieder des Stadtparlaments mussten darüber entscheiden, wie es mit dem geplanten Zentrallager des Rewe-Konzerns in der Landeshauptstadt weitergehen soll.
Als Zuhörer hatten sich im Rathaus auch Aktivisten eingefunden, die seit Monaten gegen das Vorhaben mobil machen. Zuvor hatten rund 100 Personen eine Menschenkette vor dem Rathaus gebildet. Sie wollten damit ein Zeichen gegen die Versiegelung setzen. Das Wort „Klimahölle“ war auf Transparenten zu lesen.
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Anfangs von manchen Politikern noch belächelt, gibt es in St. Pölten mittlerweile mehrere Organisationen, die sich für den Naturschutz einsetzen. Im Mittelpunkt steht dabei Romana Drexler, die bereits mehr als 10.000 Unterschriften gegen die geplante Traisental-Schnellstraße S34 sammeln konnte. Bundesministerin Leonore Gewessler (Grüne) reiste daraufhin nach St. Pölten, um sich selbst ein Bild der Lage zu machen.
Das Ergebnis: Gewessler legt sich gegen den Bau quer, SPÖ-Vizebürgermeister Harald Ludwig und weitere S34-Befürworter brachten daraufhin kerhtwendend eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft gegen die Politikerin ein.
Nun geht es gegen Rewe – und wieder einmal gegen die Politik. Knapp 3.000 Unterschriften reichten mehr als deutlich aus, um im Gemeinderat einen Initiativantrag gegen das geplante Zentrallager im Süden der Stadt einbringen zu können.
Hochwasserlinien
Um gegen das 17 Hektar große „Frischelager“ vorgehen zu können, haben sich Drexler und ihre Mitstreiter auch rechtlichen Beistand gesucht. Tatsächlich wurden die Aktivisten fündig, um das Großprojekt vielleicht noch verhindern zu können.
Es geht um mehrere Grundstücke, die die Stadt bereits an den Konzern verkauft hat. Diese sollen, so die Meinung der Aktivisten, allerdings im Bereich von Hochwasserlinien liegen. Die Initiative Bodenschutz beruft sich nun auf das niederösterreichische Raumordnungsgesetz.
Dieses besagt, dass als Bauland gewidmete und noch nicht bebaute Flächen rückzuwidmen sind, wenn sie sich in einem hochwassergefährdeten Gebiet befinden würden. „Das ist ein Versäumnis der Politik und nicht des Magistrats“, betonte Gemeinderat Walter Heimerl-Lesnik von den Grünen in der nächtlichen Sitzung.
Kritisiert wurde auch, dass Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ) in einem KURIER-Interview Zahlen in Zweifel zog, die vom Rewe-Konzern selbst veröffentlicht wurden. Das Unternehmen rechnet mit rund 1.000 Lkw-Fahrten pro Tag.
Ob das Projekt nun tatsächlich durchgezogen wird, ist noch unklar. Die mit absoluter Mehrheit regierende SPÖ will nun ein Rechtsgutachten erstellen lassen. Ein Teilerfolg für die Aktivisten, ein letztes Wort ist in dieser Causa aber noch (lange) nicht gesprochen.
Proteste gegen Amazon
Rund 99 Kilometer weiter im Westen stößt ein geplantes Amazon-Verteilzentrum in St. Valentin (Bezirk Amstetten) seit Monaten auf Protest einer Bürgerinitiative. Der Immobilienentwickler Fraktal will auf einem 53.000 Quadratmeter großen Areal ein Betriebsobjekt bauen und an den US-Paketdienst Amazon vermieten.
Die Bürgerinitiative hat bereits mehr als 2.000 Unterschriften im Zuge einer Petition sammeln können. „Ich denke aufgrund der Aussagen des Landes und den Nachbargemeinden ist es nicht so einfach, das Projekt durchzuwinken“, sagt Susanne Webersdorf von der Initiative.
Die Gemeinden Ennsdorf und Amstetten erließen Resolutionen, die sich gegen den Bau des Verteilzentrums aussprachen. Auch der für Raumordnung zuständige LH-Stellvertreter Stephan Pernkopf (ÖVP) betonte, eine mögliche Umwidmung der Grundstücke „auf Basis der Gesetze strengstens“ zu prüfen. Bedenken äußerte auch Bischof Alois Schwarz. Der Pfarrkirche St. Valentin gehören Teile des Grundstückes.
„Wir können uns zu einem laufenden Verfahren beziehungsweise Vertragsverhandlungen nicht äußern“, heißt es von Fraktal. Die Gemeinde St. Valentin steht dem Projekt grundsätzlich positiv gegenüber, neue Erkenntnisse gebe es aktuell nicht, so Stadtchefin Kerstin Suchan-Mayr (SPÖ).
Mitarbeit: Paloma Pöltinger
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